Blog-Streit im Springer Verlag:"Es müssen nicht immer gleich Köpfe rollen"

Lesezeit: 4 min

"Bild"-Chef Diekmann wurde auf "Welt Online" in einem Blog hämisch angegriffen. Christoph Keese, erster Journalist der "Welt"-Gruppe, über die Unterschiede zwischen Journalismus und Blogs.

Christopher Keil

Christoph Keese, Jahrgang 1964, ist seit Sommer 2004 Chefredakteur der Welt am Sonntag und mittlerweile auch zuständig für Welt online.

Kai Diekmann, "Bild"-Chefredakteur mit dem Ergebnis seiner Arbeit (Foto: Foto: Reuters)

sueddeutsche.de: Herr Keese, in der vergangenen Woche kritisierte Welt-am-Sonntag-Autor Alan Posener in seinem Blog Apocalypso die Bild-Zeitung und Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Sie haben den Beitrag entfernt. Wäre es nicht smarter gewesen, Diekmann hätte Posener geantwortet?

Christoph Keese: Bisher haben wir es so gehalten, dass Blogs nicht den normalen Arbeitsgang, den work flow, passieren müssen, sondern von den Autoren online gestellt und nicht gegengelesen werden. So war es auch bei diesem Beitrag. Ich habe den Text von der Seite genommen, weil er stilistisch und argumentativ nicht unseren Anforderungen entsprach. Es war eine Polemik über ein Buch, das der Autor nicht gelesen hatte - und das geht nicht. Überdies enthielt der Text Ausdrücke, die nicht zu uns passen.

sueddeutsche.de: Einen Blog-Beitrag von der Seite nehmen heißt, das Wesen des Blogs infrage zu stellen.

Keese: Ich finde, es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen professionellem Journalismus und Blogs. Blogs sind private Tagebücher, professioneller Journalismus besteht aus der Kombination von Schreiben und Redigieren. Im Journalismus gibt es keinen Einhandbetrieb, sondern Autoren, die Texte schreiben, und Redakteure, die Texte bearbeiten, oft in einem vielstufigen Verfahren. Erst dadurch entsteht professioneller Journalismus.

Gute Redaktionen lesen Texte in drei, vier oder fünf unterschiedlichen Stufen gegen, bevor diese veröffentlicht werden. Was am Ende in der Zeitung oder online erscheint, ist Teamarbeit. Genau das erwarten Leser von uns: ein sorgsam begründetes Urteil aufgrund sachlich korrekter Informationen. Blogs arbeiten völlig anders - es sind subjektive Tagebücher. Beide Konzepte markieren Gegensätze.

sueddeutsche.de: Daraus müsste sich die Frage ergeben, ob es überhaupt institutionalisierte, journalistisch eingebundene Blogs für Qualitätsmedien geben darf?

Keese: Meine Meinung dazu ist jetzt klar: Keine der beiden Formen kann gewinnen, wenn man sie vermischt. Deshalb sollten professionelle Journalisten bei ihrer normalen Tätigkeit auf einer journalistisch professionell betriebenen Website keine subjektiven Blogs verfassen.

sueddeutsche.de: Also wird Poseners Blog abgeschafft?

Keese: Er wird künftig wie alle Blogs eigener Redakteure vor der Veröffentlichung gegengelesen. Das ist der normale Gang der Dinge.

sueddeutsche.de: Arbeitsrechtliche Konsequenzen hat Posener immer noch nicht fürchten?

Keese: Es müssen doch nicht immer gleich Köpfe rollen.

sueddeutsche.de: Das heißt, bei Welt-Online wird der Blog, verglichen mit seinem Ursprung deformiert oder konsequenterweise abgeschafft?

Keese: Wir sollten als professionelle Journalisten selbstbewusst genug sein, uns auf die Kraft überprüfter, redigierter Texte zu besinnen. Damit ist die Presse stark geworden, danach verlangt das Publikum auch im Internet. Es bringt nichts, seine Persönlichkeit spalten zu wollen in den professionellen Journalisten und den einsamen Wolf, der im Alleingang bloggt. Diese Spaltung nimmt einem ohnehin niemand ab.

sueddeutsche.de: Ein bisschen sieht es aber auch so aus, dass man mit den Geistern, die man rief, nicht mehr fertig wird. Das Internet war doch auch im Axel-Springer-Verlag Vision, Versprechen, publizistische Aufgabe. Mit jeder neuen Technik verändern sich auch die Inhalte. Verbote bremsen in aller Regel Entwicklungen, wie sie das Internet in die Medienhäuser trug, nicht. Verbote bremsen doch fast immer den, der zu bremsen versucht?

Keese: Pressefreiheit ist die Freiheit einer Redaktion gegenüber einem staatlichen Zensor und gegenüber Drittinteressen. Eine binnenredaktionelle Pressefreiheit gegenüber dem Chefredakteur kann es nicht geben - das wäre ein absurder Gedanke. Redaktionen haben eine hierarchische Struktur, weil Jahrhunderte Erfahrung gezeigt haben, dass so die höchste Qualität entsteht. In den Gesetzen der Bundesländer ist geregelt, wer die presserechtliche Verantwortung trägt.

Dieser Verantwortliche muss das Recht haben, Maßstäbe zu setzen und deren Einhaltung zu kontrollieren. Das ist keine Zensur, sondern normaler Journalismus. Eine gute Redaktion wie wir pflegt intern eine lebhafte Debatte. Aber absolute Freiheit eines Redakteurs gegen den Rest und die Spitze der Redaktion kann es nicht geben. Wenn ein Redakteur absolute Pressefreiheit gegenüber seinem Chefredakteur in Anspruch nähme, wäre das ein Widerspruch in sich. Alan Posener hat diese totale Freiheit übrigens nie reklamiert, die Forderung kommt von anderen. Er weiß ja, wie es in einer Redaktion läuft.

sueddeutsche.de: Die Blog-Szene diskutiert den Fall Posener allerdings sehr.

Keese: In der Diskussion taucht immer wieder der Begriff des Zensors auf. Doch wer sich als professioneller Autor redigieren lässt, unterwirft sich keiner Zensur, sondern der Bearbeitung durch einen Kollegen. Dies ist etwas ganz und gar anderes. Dem Internet als solchem lassen wir ja freien Lauf. Mit Welt Online beanspruchen wir nicht, das Internet in seiner ganzen Vielfalt zu repräsentieren. Wir arbeiten lediglich in einer Sparte: Nachrichten und Kommentare. In dieser Sparte gelten Qualitätsregeln, für die wir stehen und die man von uns erwartet.

sueddeutsche.de: Oder anders ausgedrückt: durch Qualitätskontrolle.

Keese: Ja. Wie gesagt: Nicht der Gegenstand des Kommentars war an sich kritikwürdig, sondern die Art der Aufbereitung. Wenn man ein Buch kritisiert, muss man es gelesen haben und dann auf eine Art und Weise behandeln, wie man das beispielsweise für die "Literarische Welt" tun würde. Alles andere passt nicht zu unserem Stil. Auch aggressive Angriffe auf Kollegen im eigenen Haus sind nicht unsere Art.

sueddeutsche.de: Ist Polemik grundsätzlich ausgeschlossen?

Keese: Wir haben ein umfangreiches Stilbuch, in dem genau beschrieben ist, auf welche Art und Weise wir schreiben. Blogger aus der Redaktion müssen dieses Stilbuch berücksichtigen, weil sie automatisch mit Welt und Welt am Sonntag in Verbindung gebracht werden. Wir drucken und senden oft Polemiken, aber die sind anders geschrieben.

sueddeutsche.de: Wenn Posener privat bloggt, können Sie ihm doch eigentlich keine Vorschriften machen.

Keese: Natürlich nicht. Aber es ist eine Illusion zu glauben, dass private Blogs privat rezipiert würden. In Poseners Fall war das gut zu beobachten. Wer immer das Thema aufgriff, fügte seinem Namen die Funktionsbezeichnung "Kommentarchef der Welt am Sonntag" hinzu. Wenn man als Amtsträger wahrgenommen wird, muss man sich auch privat seinem Amt gemäß verhalten.

sueddeutsche.de: Das Fazit wäre: keine Blogs mehr bei institutionellen Online-Portalen?

Keese: So apodiktisch will ich das nicht formulieren, aber Qualitätsmedien sollten sich damit auseinandersetzen. Wir müssen als professionelle Medien eine Haltung zu Blogs entwickeln, und die Debatte darüber steht noch aus. Blogs haben ihre Berechtigung und sind eine Bereicherung des Internets. Aber sie stehen für etwas ganz anderes als wir.

Christoph Keese wurde 1964 im nordrhein-westfälischen Remscheid geboren. Er verbrachte seine Schulzeit in den USA, Frankreich und Deutschland. Nach einem Wirtschaftsstudium absolvierte er die Hamburger Journalistenschule und arbeitete zunächst als Vorstandsassistent und Leiter der Unternehmenskommunikation bei Gruner und Jahr.

1993 wechselte Keese zur Berliner Zeitung, wo er geschäftsführender Redakteur und zeitweise Leiter der Ressorts Wirtschaft und Medien war. Von 1999 an arbeitete er am Aufbau der neuen Wirtschaftszeitung Financial Times Deutschland. Nach der Neugründung (Februar 2000) war der Sohn eines IBM-Managers erst Prokurist, von 2001 an wirkte er als Chefredakteur. Unter Keeses Führung gab die FTD im Bundestagswahlkampf 2002 eine klare Empfehlung für den Kanzlerkandidaten der CDU/CDU, Edmund Stoiber. Seit Sommer 2004 ist Christoph Keese Chefredakteur der Welt am Sonntag und mittlerweile auch zuständig für Welt online.

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