Biographien:Geschwärzter Tratsch-Trash

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Der deutsche Bücherherbst findet vor Gericht statt.

Von Alex Rühle

(SZ vom 11. Oktober 2003) Paul Valéry sagte einmal, die Biographie sei die Concierge der Literatur. Als Kompliment kann er das nicht gemeint haben. Für Simenons Maigret ist die Concierge meist die wichtigste Zeugin, die aber - dank Geltungssucht und gallegrüner Engherzigkeit - so gut wie immer falsche Aussagen trifft.

Tagaus tagein starrt sie durch ihren Türspion in den dunklen Hausflur, der ihr die Welt ist. Und sobald ihre Mieter morgens aus dem Haus sind, stöbert sie in deren Schränken und Biographien herum.

Jetzt bekommt die Concierge einen Maulkorb. Es ist auffällig, wieviele Biographien, Autobiographien und autobiographisch eingefärbte Romane in diesem Jahr in Deutschland mit Zensur oder einstweiliger Verfügung belegt, verboten, eingestampft, umgeschrieben werden müssen: Herbert Grönemeyer hat eine einstweilige Verfügung erwirkt gegen eine Biographie, die bei Hoffmann und Campe über ihn erscheint. Dieter Bohlens Tratschtrash wurde in Frankfurt eingeschwärzt und hinter Glas gestellt.

Ein paar Stände weiter präsentierte Nadja Abd el Farrag gerade ihre Biographie "Ungelogen", als plötzlich, man könnte auch sagen pünktlich, denn der Bildfotograf war merkwürdigerweise auch zur Stelle, der Gerichtsvollzieher mit einer einstweiligen Verfügung auftauchte.

Nun soll sogar Harald Juhnke versucht haben, gegen die Biographie seiner Frau eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Harald Juhnke? Der im Pflegeheim sitzt und nicht einmal weiß, dass seine Frau dieses Buch geschrieben hat?

Die Klatschbiographie scheint das Genre der Zeit zu sein: Im Moment stehen die Lebensgeschichten von Grönemeyer, Susanne Juhnke, Daniel Küblböck und Naddel auf der Spiegel-Bestsellerliste. Verona brütet noch, Boris Becker schlägt im November auf, Nena verspricht ihren Titel fürs Frühjahr, und bei den Verlagen steht die Prominenz Schlange: "Jeder, der irgendwann im Fernsehen war, sucht einen Verlag", sagt Hubert Bücken, Geschäftsführer von Zeitgeist Media, dem Verlag von Superstar Alexander.

All diese Bücher werden gerade wegen der prekären Stellen von Leuten gekauft, die mit Büchern sonst nicht viel am Hut haben. "Das sind nicht Leute, die dafür ihren Thomas Mann aus der Hand legen. Das sind Leute, die gar nicht lesen," sagt Reinhard Rohn, Verlagsleiter von Rütten und Loehning. Bohlen hätte also seinen Auftrag gar nicht richtig erfüllt, wenn Thomas Anders nicht dagegen zu Felde gezogen wäre. Es dürfte bald wie ein Gütesiegel wirken: Jetzt neu mit einstweiliger Verfügung!

Das interessiert niemanden

Auffällig ist nun aber, dass es in diesem Jahr auch in der Literatur recht justitiabel zugeht. Virginia Woolf zufolge fiel schon immer alle Literatur unter Concierge-Verdacht. In ihrem Roman "Die Fahrt hinaus" stöhnt eine Figur, die einen Roman schreibt: "Einen Roman liest man nur, um herauszufinden, was für ein Kerl der Verfasser ist, und falls man ihn kennt, welche von seinen Freunden er unterbringt. Der Roman selber, seine Konzeption, wie du die Sache siehst, wie du fühlst, das interessiert niemanden."

Weshalb sie es jetzt lassen mit der Sublimierung und gleich den Kerl raushängen lassen und die Freunde und Feinde, die sie darin unterbringen, mit dem Leuchtstift zeichnen: Alban Nikolai Herbst hat in seinem Roman "Meere" die Beziehung zu seiner Exfreundin auf eine Art verwurstet, dass diese sich wohl zu Recht verletzt sah.

Und von Maxim Billers Roman "Esra" fühlten sich dessen frühere Lebensgefährtin und deren Mutter dermaßen verunglimpft, dass sie vor Gericht gingen. Die jeweils Klagenden standen vor dem Paradox, dass sie erst durch die Klage ins Interesse der Öffentlichkeit rückten. Die weißen Stellen in der zensierten Fassung von "Esra" weisen ja erst recht auf die Klägerinnen hin und stellen etwa die Mutter, die vorher als intrigante Hexe dargestellt wurde, nun auch noch als öffentlich-rechtliche Zensur-Hyäne hin.

Herbsts Roman wurde vom Verlag als "provozierende Grenzüberschreitung zwischen Leben und Kunst" beworben. Wow, Glückwunsch zu soviel Mut. Das Epitheton "provozierend" stammt aus dem Fundus der Kunstkritik der frühen Siebziger: Was für eine provozierende Inszenierung dieser Peter Stein da gewagt hat! Was aber soll in Zeiten omnipräsenter Pornographie provozierend sein - außer eben der unverhohlenen Zurschaustellung des privaten Personals?

Herbst, der für sein Buch seine Biographie plünderte, zieht im Nachhinein zwischen beiden einen riesigen Trennungsstrich, denn er insistiert, die Kunst gehorche poetischen, nicht biographischen Gesetzen. "Wenn", so fragte Jens Jessen darauf in der Zeit, "die Autoren auf die Freiheit der Kunst verweisen: Welche Freiheit bleibt den Klägerinnen?"

Der Germanist Klaus-Detlef Müller belegte in seiner Studie "Autobiographie und Roman", wie um 1800 aus dem pietistisch getränkten, autobiographischen Konfessionsschreiben der Bildungsroman entstand: "Anton Reiser", Jung-Stillings "Mein Leben", Kügelgen ... Es scheint, als werde diese Sublimierung nun aufgehoben.

Es steht zwar noch Roman auf diesen Werken, aber sie sind doch so unverhohlen und drastisch nah am autobiographischen Notat, dass über ihren fiktionalen Status immerhin gestritten werden muss. Es kann nicht darum gehen, alles Private aus der Kunst herauszuhalten; alle Romane müssten sonst auf leeren Inseln zwischen Flechten und Moosen spielen. Aber es scheint so zu sein, als werde gerade das Privateste oft nurmehr der justitiablen Schau- und Show-Werte wegen ausgestellt.

Auf Kosten anderer

Bis vor kurzem wurde gegen die Printmedien und gegen literarische Werke von Privatpersonen kaum gerichtlich vorgegangen. Der Medienwissenschaftler Wolfgang Donsbach glaubt, bei den Gerichten habe aber in den vergangenen Jahren ein "Paradigmenwechsel" stattgefunden: Sowohl beim Presserat als auch vor Gericht nehmen die Beschwerden kontinuierlich zu.

Liegt das nun daran, dass die Medien mehr hinlangen als früher? Sind die Schriftsteller fieser geworden? Oder liegt es daran, dass sich die Betroffenen früher und vehementer zu Wehr setzen?

Beides ist wohl wahr: Der Ton ist rauer geworden. Außerdem gibt es in Sachen Medienrecht inzwischen eine prosperierende Prozessindustrie. Anwälte wie Matthias Prinz sind selbst zu Stars geworden. Auf seiner Homepage "Prinzlaw.com" schwärmt der Hamburger Anwalt über seine Verdienste: "Im Medienrecht hat Prof. Dr. Prinz seine Vorstellungen eines modernen und umfassenden Persönlichkeitsschutzes mit zahlreichen Grundsatzprozessen bis hin zum Bundesgerichtshof umgesetzt und das Medienrecht entscheidend geprägt."

Zum Teil hat das perverse Auswüchse: Harald Juhnkes Verfügung wurde vom Landgericht Berlin abgewiesen. Der demente Juhnke selbst weiß von der Verfügung nichts; sie wurde eingereicht von dem Berliner Rechtsanwalt Johannes Eisenberg, der einst eingesetzt worden war, um die Persönlichkeitsrechte des 74-jährigen Juhnke zu schützen. Der Familienanwalt der Juhnkes sagte zu dem Vorgang: "Was hier stattfindet, ist völlig absurd. Ich habe den Eindruck, da will sich jemand auf Kosten anderer profilieren."

Vor allem aber, so Wolfgang Donsbach, finde in Deutschland ein juristischer Paradigmenwechsel statt: Eigentlich stehen Persönlichkeitsschutz und Kunst- beziehungsweise Meinungsfreiheitfreiheit einander gleichberechtigt gegenüber. De facto aber sei seit einem Urteil aus dem Jahre 1958, das die Meinungsfreiheit als Wert interpretierte, der auch in der Privatrechtssphäre Geltung hat, immer zugunsten der Meinungs- und Kunstfreiheit Recht gesprochen worden. Das ändere sich nun langsam.

Bleibt die Frage, warum Bohlen und Co., denen kein ausgeprägtes Verhältnis zur Literatur nachgesagt werden kann, überhaupt Bücher schreiben, sich also eines Mediums bedienen, das im Vergleich zur Verbreitung der Bild-Zeitung oder einer Fernsehshow fast obskurantistisch erscheint.

Vielleicht gehen sie ja nur unter die Autoren, weil sie hier auf Verfügung und Zensur hoffen können: In einer Talkshow würde alles, was Bohlen über diesen oder jene zu berichten hat, im johlenden Applaus untergehen. Nur im bislang doch recht zahmen Gehege der Literatur wird daraus noch der Skandal, für den diese Bücher überhaupt geschrieben wurden.

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