BGH-Urteil zu "Sampling":Keine drei Sekunden

Lesezeit: 4 min

Pop war immer schon eine parasitäre Form der Musik - doch nun hat der Bundesgerichtshof entschieden: Ein Beat ist vor Sampling geschützt.

Andrian Kreye und Jens-Christian Rabe

Zwei Takte. Keine drei Sekunden. So kurz ist die metallisch peitschende Schlagwerksequenz aus dem 1977 erschienenen Kraftwerk-Song "Metall auf Metall", die sich der Frankfurter Hip-Hop-Produzent Moses Pelham 1997 borgte und in Endlosschleife unter den kleinen Sabrina-Setlur-Hit "Nur mir" legte. Um Erlaubnis bat Pelham nicht für diese Aktion, die in der Popmusik "Sampling" genannt wird, also die Verwendung fremder Tonaufnahmen in eigener Musik.

Kraftwerk: Pioniere der elektronischen Musik und eine der meistgesampleten Gruppen der Musikgeschichte. (Foto: Foto: ap)

Er hätte es lieber tun sollen, denn die berühmten Düsseldorfer Pioniere der elektronischen Musik, die zu einer der meistgesampleten Gruppen der Musikgeschichte gehören und ohne die die beiden letzten Poprevolutionen Hip-Hop und Techno kaum denkbar gewesen wären - Kraftwerk also, genauer Ralf Hütter und Florian Schneider -, fühlten sich beklaut und klagten sich bis vor den Bundesgerichtshof in Karlsruhe.

Dort, vom ersten Zivilsenat, wurde jetzt zugunsten der Düsseldorfer Elektro-Pioniere Kraftwerk entschieden und damit eine Grundsatzentscheidung getroffen, die für einigen Aufruhr sorgen wird. Dem Urteil zufolge sind künftig nicht nur Melodien urheberrechtlich geschützt, sondern auch Rhythmussequenzen, wenn sie auf einem Tonträger eingespielt sind.

Kleinste Tonfetzen

Ein Novum. Es greife, so der Senat, bereits derjenige in die Rechte des Tonträgerherstellers ein, "der einem fremden Tonträger kleinste Tonfetzen entnimmt". Dieser Schutz reicht über den urheberrechtlichen Schutz von Melodien und Kunstwerken hinaus. Der Tonträgerhersteller wird nicht privilegiert, weil einzelne Töne, Bassläufe oder eben Schlagzeugfiguren ein eigenes schöpferisches Werk darstellen, sondern weil sein unternehmerischer Akt, dem Markt das Werk auf dem Tonträger anzubieten, als schützenswert gilt.

Die Begründung des Gerichts bezieht sich auf Paragraph 85 des Urheberrechtsgesetzes. Dort werde die zur "Festlegung der Tonfolge auf dem Tonträger erforderliche wirtschaftliche, organisatorische und technische Leistung des Tonträgerherstellers" geschützt. Und weil eben jener "Tonträgerhersteller", im aktuellen Fall also die Band Kraftwerk, diese Leistung für den ganzen Tonträger erbringe, gebe es "keinen Teil des Tonträgers, auf den nicht ein Teil dieses Aufwands entfiele und der daher nicht geschützt wäre".

Die Frage, inwieweit mit solchen juristischen Entscheidungen der Eigenart der Kunstform Popmusik Rechnung getragen wird, ist in den letzten Jahren immer komplizierter geworden. Pop war schließlich in sämtlichen seiner Spielarten bis hin zum Jazz immer schon eine parasitäre Form der Musik. Gerade der Nachkriegspop bediente sich von Anfang an bei fremden Genres, schöpfte seine Kraft aus dem Blues, dem Gospel, dem Reggae. Spätestens mit Hip-Hop und Punk bediente sich der Pop dann bei seiner eigenen Geschichte.

Doch die Entwicklung begann viel früher. Wie radikal zum Beispiel der Be Bop von Charlie Parker Anfang der vierziger Jahre war, erschloss sich dem Publikum immer dann, wenn er sich an seichtem Material verging. Da spielte er dann recht brav Strophe und Refrain einer Broadwayschnulze wie "How High The Moon", um sich nach dem ersten Durchgang mit einer so atemberaubenden Geschwindigkeit und Raffinesse durch die Harmoniewechsel zu improvisieren, dass man ihm auch heute noch kaum folgen kann.

Picasso als Sampler

Die Methode des Sampling verfährt gar nicht so anders. Der Unterschied liegt in den technischen Möglichkeiten. Wer die Musik eines anderen auf einem Instrument auf originelle Weise neu interpretiert und umformt, verfährt mit dem Kulturgut ganz ähnlich, wie sich Picasso bei Motiven von Delacroix bediente oder Brahms bei ungarischer Tanzmusik. Auch wer eine Rhythmusspur auf dem Computer zusammenbaut, komponiert letztlich einen Song, auch wenn er Versatzstücke aus anderen Songs benutzt.

Wer heute in einem Studio arbeitet, dem steht die gesamte Geschichte der Popmusik als eine Art Bibliothek zur Verfügung, aus der er sich Zitate und Anleihen besorgen kann. Doch weil die Popmusik die zugänglichste Kunstformen ist, erschließen sich solche Adaptionen auch einem Massenpublikum. Weil der Pop aber gemeinhin als Unterhaltungsware und nicht als Kunst betrachtet wird, geht es sehr schnell um Geld.

Und das Verfahren ist so einfach wie nie. Wer sich etwa auf zwei Schlagzeugtakte von Kraftwerk beziehen will, der kann diese in wenigen Minuten von einer CD in sein eigenes Stück montieren, wo die beiden Takte eine schlüssige Einheit mit dem Song bilden. Nun wird es kompliziert - welche Bedeutung hat dieses Versatzstück nun im fertigen Song? Hinzu kommt, dass im Pop Rhythmen und Klänge denselben Stellenwert haben wie Melodien und Harmonien, auf denen Plagiatsverfahren bisher basierten.

Die verbreitete Sorge, die Rechtsprechung mache Stück für Stück die "Kulturentwicklung" im Pop unmöglich, ist dennoch unbegründet. Erstens ist es niemanden benommen, für die Verwendung von Samples um Erlaubnis zu fragen. Es ist nicht nur im Mainstream, der trotz allem nach wie vor vielfach mit Versatzstücken aus fremden Material arbeitet, längst selbstverständlich.

Und zweitens wird dort, wo der Pop immer wieder neu erfunden wird, wo immer weiter gepuzzelt wird, auch weiterhin keine Rücksicht auf Urheberrechte genommen. Zu Entwicklungen wie dem "Bastard Pop" oder "Mash Up" der neunziger Jahre, bei dem Musikcollagen entstanden, also sofort wiedererkennbare Stücke von zwei oder mehr Interpreten aus oft ganz unterschiedlichen Pop-Epochen illegal zusammengemischt wurden, ist es trotz der Bedingungen eines restriktiven Urheberschutzes gekommen.

Nicht ganz erledigt

Auch der deutlich jüngere Trend des "Editing", bei dem kein Remix gebaut, sondern nur ganz leicht modifizierte, also für den Dancefloor optimierte, minimal umarrangierte Versionen alter Originalaufnahmen erstellt werden, scherte sich bei seiner Entstehung nicht um juristische Feinheiten.

Ganz erledigt ist die Sache Kraftwerk vs. Pelham jedoch noch nicht. Der Bundesgerichtshof hat den Fall zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Hamburger Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Der Grund: Dort sei versäumt worden zu prüfen, ob sich der Frankfurter Musikproduzent nicht einfach auf das "Recht zur freien Benutzung" berufen dürfe. Paragraph 24 Abs. 1 des Urhebergesetzes besage schließlich, dass ein selbständiges Werk, das in "freier Benutzung" des Werkes eines anderen geschaffen wurde, ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden könne. Wenn also, so das Gericht, der "Abstand" des neuen Werkes zur geborgten Tonfolge groß genug sei, dann könnte Pelham möglicherweise doch nicht das Urheberrecht verletzt haben.

In zwei Fällen allerdings ist eine freie Benutzung von Anfang an ausgeschlossen. Der erste Fall dürfte in der aktuellen Sache keine Rolle spielen: Melodien sind immer geschützt. Umso interessanter ist der Ausgang im zweiten Fall: Ist nämlich der, der fremde Töne und Klänge verwendet, "befähigt und befugt, diese selbst einzuspielen, gibt es für eine Übernahme der Leistung des Tonträgerherstellers keine Rechtfertigung". Waren Moses Pelham und Sabrina Setlur dazu nicht in der Lage?

© SZ vom 21.11.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: