Besuch bei Eastwood:"Vergessen Sie die höheren Mächte!"

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Wer war noch mal "Clint Eastwood"? War das nicht dieser rüstige Unruheständler, der im Alter von fast 75 ganz Hollywood aufmischt? Der Mann ist größer als je zuvor. Also mussten wir ihn besuchen auf seiner Ranch in Kalifornien - und wurden dort bekehrt. Von Tobias Kniebe

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Ein Weg, der zu ihm führt, ist der Highway One Richtung Norden.

"Ich will mich zurückzuziehen. Ich möchte nicht alles erklären, nicht hinter jedes Gefühl ein Ausrufezeichen setzen." (Foto: Foto: Warner)

Die Straße beginnt in Feuerland, sie endet in Alaska, aber hier vor dem kalifornischen Städtchen Carmel muss sie am schönsten sein.

Bergzacken ragen ins Meer, Gischt liegt über der Brandung, dahinter verliert sich der Horizont in Swimmingpoolblau, endlos winden sich die Kurven. Schon in der Vorstellung steht Eastwood vor diesem Stück Natur als Rückenfigur, Blick: raus auf den Horizont.

In dieser Vorstellung, die man sich nunmal macht auf der Reise zu Clint Eastwood, kneift er die Augen zusammen. Er steht so da, wie nur Eastwood dastehen kann, mal Standbein, mal Spielbein, die Züge versteinert, eingemeißelt ins Bildgedächtnis der Welt. Im Fernsehen mag er bescheiden und humorvoll wirken, wie neulich bei den Academy Awards. Aber ehrlich gesagt, das kann ja wohl nicht die ganze Wahrheit sein.

Hochphilosophische Einstiege hat man ausgeheckt und ist dann doch, Stichwort München: sofort beim Spaghettiwestern. Den ersten davon hat nämlich eine gewisse Constantin mitproduziert. Eastwood schaut zurückhaltend und nett, sagt, dass München eine so unglaublich schöne und klassische Stadt sei, und dass es die erste Stadt gewesen sei, die er, als er damals mit der Constantin zu tun gehabt habe, besuchte in Deutschland.

Also gleich los mit der Frage, die wirklich auf den Nägeln brennt. Es geht um diese Szene in "Zwei glorreiche Halunken" (The Good, The Bad And The Ugly), sein Meisterwerk mit Sergio Leone, fast vierzig Jahre alt. Keine große, brutale oder dramatische Szene, aber sie ist: quintessentieller Eastwood.

Eine Stadtruine, vom Bürgerkrieg zerstört. Rauchschwaden, einschlagende Kanonenkugeln. Blondie aka The Good (Eastwood) und Tuco aka The Ugly (Eli Wallach) bilden eine Allianz gegen sechs Schurken, die irgendwo um die Ecke lauern müssen. Ennio Morricones Crash-Gitarren. Dann laufen sie die Straße entlang: Tuco geduckt, schleichend, extrem auf der Lauer, die Augen aufgerissen.

Eastwood dagegen: majestätisch. Steigt über die Trümmer, seine Hände hängen am Körper herab wie Flossen, seine Hüfte wird vom Gewicht des Colts leicht nach rechts gezogen, im Gegenzug lehnt er sich etwas nach links. Cowboystiefel, Sporen, eine dunkle Hose, ein blaues, von der Sonne gebleichtes Hemd, eine Weste aus Schaffell. So driftet er die Straße entlang, auf Ideallinie in die Ewigkeit, exponiert für jeden Hinterhaltund doch unaufhaltsam. Der Gang eines jungen Gottes.

Mr. Eastwood: Wie schafft man es, so zu gehen wie in dieser Szene?

"Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich will es auch gar nicht wissen."

Dieser Mann ohne Namen, der vor Selbstvertrauen fast platzt. Steckt darin der junge Eastwood?

"Nein. Es ist eine Filmfigur. Wissen Sie, man tut einfach, was zu tun ist. Alles andere blendet man aus."

Aber äääh, haben Sie denn nicht gespürt, dass hier ein Bild für die Ewigkeit entsteht? Mal ganz ehrlich?

"Ich wusste, dass ein Bild entsteht, und dass die Kamera es festhält.

Sonst hätten wir die Szene ja nochmal drehen müssen. Alles andere ist Unsinn.

Falls Leone zum Beispiel beschlossen hätte, dass dieser Gang zu lange dauert, dann läge die Ewigkeit, von der Sie gerade sprachen, heute noch auf dem Boden des Schneideraums."

Ein Lächeln. Und die unausgesprochene Ansage, dass man hier für Personenkult am falschen Ort ist. Aber das wollen wir erstmal sehen.

Geben Sie zu, dass Sie der einzige Mensch auf der Welt sind, der so irrsinnig gehen konnte?

"Es spielen viele Faktoren mit. Körper. Aussehen. Die Gene, die du von deinen Eltern geerbt hast. All das entzieht sich der, well: Bewusstheit."

Schon klar. Aber haben Sie Ihre einzigartigen Gene, wenigstens für einen Augenblick denn mal genossen?

Da wiegt er den Kopf.

"Wissen Sie, es ist komisch. Man tut diese Dinge als junger Mann und denkt nicht darüber nach. Man zieht also diese Waffe, man übt diesen Blick, und es bedeutet so wenig."

Er zieht - ein typischer Eastwood-Griff - aus dem Handgelenk einen imaginären Colt Peacemaker.

Verengt die Augen und fixiert einen imaginären Gegner. Die Sonne betont, wie so viele Wüstensonnen zuvor, die Warze rechts auf seiner Oberlippe. Großer, alter, nachsichtiger Mann.

Jetzt kommt er in Fahrt.

Er sagt: "Das alles wird ein Problem, wenn man bekannt dafür wird. Wenn die Leute auf der Straße ,Hey Pistolero!' rufen. Wenn an jeder Ecke einer steht, der deinen Blick imitiert.

Dann muss man alles von sich wegschieben: Erwartungen, Selbstanalyse, Ruhm. Verstehen Sie? Schauen Sie sich Marlon Brando an! The Great American Actor. All das Lob. Plötzlich verfluchte er die Schauspielerei.

Plötztlich las er Texte von Papptafeln ab. Wissen Sie, was ich denke? Der Ruf, die heißeste Kanone der Stadt zu sein, hat sein Leben ruiniert."

Was die Wahrheit ist. Ein Schicksalsthema, mal eben so.

Angesprochen von einem, der rechtzeitig die Gefahr erkannt hat, der sein Leben nicht ruiniert hat, der wachsam war und noch immer ist und es auf diese Weise geschafft hat, zu wachsen und sich zu verwandeln, bis hin zum Status eines Giganten, aber eben: eines lebenden, arbeitenden, tatendurstigen und noch immer topfitten Giganten.

Jetzt ist er der älteste Regisseur, der je den Oscar für die beste Regie bekam, und zwar zurecht für das "Million Dollar Baby", das jetzt auch bei uns im Kino läuft.

Da hält - über eine Strecke von 50 Jahren Hollywood - kein anderer mit.

Wir sitzen also auf seiner Farm, der Mission Ranch in Carmel.

Ein blendweißer Weidezaun, dahinter eine unwirkliche, eine überirdisch grüne Wiese.

Diese Farben hier. Schafe schauen her, sie kauen Gras als sei es Kaugummi.

Links ein paar Eukalyptusbäume, angeblich die größten der USA, das glaubt man gern.

Rechts ein paar uralte Zypressen. Geradeaus das Meer, die Landzunge von Point Lobos. Der Legende nach musste Robert Louis Stevenson, als er diesen Ausblick sah, sofort die "Schatzinsel" schreiben.

Der Fotograf Edward Weston machte ein Buch über diese Landzunge. Ein Schlüsselwerk des Westens und der modernen Fotografie zugleich.

Wie sehr Clint Eastwood auf der Hut ist, erkennt man zum Beispiel an den Sandwiches, die jetzt eine nette ältere Dame bringt: Schinken, Käse, Truthahn.

Es bietet sich eine hinreißende kleine Szene dar, die man nicht mehr vergessen wird.

Eastwood wird sich freundlich bei der alten Dame bedanken, dann die Sandwiches aufdecken und ein ausführliches Weilchen draufschauen.

Dann wird er den Schinken und den Käse sorgsam herunternehmen, das Geflügel drauflassen, das Sandwich wieder zuklappen, lächeln.

Und murmeln: "Ich bin eher der Truthahn-Typ."

I'm more the turkey kinda guy.

Exakt deswegen hat er kein Gramm Fett am Leib. Und es wird klar: Fett, in geistiger, emotionaler oder körperlicher Form, wie überhaupt lange Entscheidungswege, ausgelebtes Großkünstlertum, Bandwurmsätze, zu lange Produktionsbesprechungen, endlose Drehtage, endloses Gelaber von Wichtigtuern aller Art - das alles wäre sein Untergang.

Eastwood hat deshalb eine Crew von jahrzehntelang geprüften Haudegen, die ebenso denken wie er und jedes Grummeln von ihm sofort decodieren.

Reden ist am Set praktisch überflüssig.

Er hat Autoren, die nach ihrer ersten Fassung noch eine zweite schreiben wollten, das Drehbuch mit Gewalt weggenommen.

Die Geschichte ist die Geschichte, alles andere ist: Drehbuchentwicklungshölle.

Auf der Mission Ranch steht eine ehemalige Scheune, in der er seine Filme schneidet.

Für den letzten hat er - inklusive Golfspielen am Nachmittag - ungefähr eine Woche gebraucht.

Das ist unglaublich. Und als der Regisseur Anthony Minghella ("Der Englische Patient") auf einer dieser Hollywood-Podiumsdebatten darauf angesprochen wurde, musste er stellvertretend für alle modernen Regiekünstler erstmal weinen vor Wut.

Reduktion. Jahr für Jahr immer weniger Ballast. Immer weniger Ursachen, immer größere Wirkungen.

Kein Zufall, dass die Oscars gerade jetzt kommen. Wieder so eine Eastwood-Szene, in dem neuen "Million Dollar Baby".

Der alte Boxtrainer Frankie (Eastwood) und seine Kämpferin Maggie (Hilary Swank) fahren nachts über den Highway, irgendwo zwischen Missouri und Arkansas. Er ist ihr Trainer geworden, aber ihr Manager will er noch immer nicht sein.

Sie hat, gegen alle Erwartungen, alle Gegnerinnen umgehauen, Geld verdient, ein Haus gekauft.

Zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie kein Niemand mehr, bald könnte sie Champion werden. Doch der Besuch bei ihrer Familie ist furchtbar schiefgegangen, ihre Mutter ist kalter, herzloser trash, und zum ersten Mal ahnt man, dass dies kein triumphaler Film ist, dass nicht alles gut werden wird.

Maggie erzählt Frankie eine Kindheitsgeschichte, und man sieht nur, was man eben sieht, wenn man nachts auf dem Highway fährt: Hier ein Licht, das ihre Augen erhellt, dort ein Flackern, dass seine Züge beleuchtet.

"Außer dir hab' ich niemanden, Frankie", sagt sie und taucht ins Schwarz ab. "Aber du hast mich", sagt er. "Zumindest bis wir einen richtigen Manager finden."

Dann lächelt er, weil er weiß, dass das nur eine Floskel ist, dass ihre Liebe nun für alle Zeiten besiegelt ist.

Er schaut wieder nach vorn auf die Straße, und ein feiner Lichtsaum huscht über sein Profil. Das ist nun, schlicht gesagt: große Meisterschaft. Eine der besten Szenen, die dieser Mann je gedreht hat.

Mr. Eastwood, warum haben Sie beschlossen, das Licht wegzulassen?

"Weil ich es dunkel mag. Wissen Sie, moderne Filme hauen einem alles um die Ohren. Bilder, Töne, Bedeutungen, Erkenntnisse.

Aber ich verstehe das nicht. Ich will mich zurückzuziehen. Ich möchte den Zuschauer in den Film locken, ich möchte nicht alles erklären, nicht hinter jedes Gefühl ein Ausrufezeichen setzen. In meinen Filmen muss man selbst etwas wissen wollen, das gilt auch für die Figuren, die man sieht. Man muss auch mal ins Dunkel starren und sich anstrengen, um überhaupt etwas zu sehen.

Die Tatsache, dass man sich wirklich darauf einlassen muss, macht die Sache interessanter. Zumindest für mich."

Aber die Studios haben nicht gerade Vertrauen in diesen Ansatz?

"Nein. Warner Brothers wollte ,Million Dollar Baby' zuerst nicht machen.

Sie waren nicht überzeugt, dass es ein kommerzieller Film wird.

Sie haben den Film als Boxerfilm gesehen und erklärt, dass man mit solchen Filmen kein Geld verdient. Für mich aber war es schon immer eine Liebesgeschichte. Das ist in Ordnung. Jeder darf eine Meinung haben.

Ich war entschlossen, den Film auf jeden Fall zu machen. Und am Ende sind sie doch eingestiegen. Bei ,Mystic River' war es nicht anders: Sie fanden den Film zu düster.

Dann habe ich gesagt, dass ich meine Gage zurückstelle. Da haben sie eingewilligt. Das war schon ironisch, genau wie damals 1971, als ich zum ersten Mal Regie führte, bei ,Sadistico - Play Misty For Me'.

Damals sagte mein Vater, ein Stahlarbeiter, ein Depressionsära-Typ: ,Zeig ihnen, was du kannst, Junge! Denk nicht ans Geld. Das Geld wird später kommen.' Ja, und genau so war es."

Stimmt es, dass Sie keinen Vertrag mit Warner haben und dass also alles per Handschlag passiert?

"Es gab nie einen Vertrag. Mit meiner Produktionsfirma Malpaso habe ich dort seit 30 Jahren mein Quartier. Aber es gibt keine Verpflichtungen. Ich bin eine unabhängige Seele."

Independent Soul, sagt er. Überhaupt seine Sprache. Sanfte Stimme. Leise. Ein kaum hörbares und aber wundervolles Glucksen, wenn er einen Witz macht.

Und dann diese Ausdrucksweise. Don Siegel, sein großer Mentor, ist kein "great director", kein "famous director", er ist nicht einmal wirklich Regisseur.

Sondern: "A fellow I worked with quite a bit." Darin hört man Eastwood, den Jazzmusiker, der jede Note trifft. Kein Wort ist Zufall. Da weiß einer genau, dass Sprache Musik ist.

Aber weiter. Vor den Oscars gab es eine politische Kontroverse um seinen neuen Film. Das muss angesprochen werden.

Mr. Eastwood, wie kann es sein, dass Sie - eine Ikone der Republikaner - plötzlich ins Kreuzfeuer der Rechten geraten?

"Kreuzfeuer? Also, das waren ein paar wenige, wenn auch laute Meinungsmacher, oder? Die dürfen jede Meinung haben, die sie wollen.

Aber es ist nicht alles so politisch, wie sie es gern hätten.

,Million Dollar Baby' ist eine Liebesgeschichte ohne Happy End, das ist in meinen Augen das Wesentliche.

Wie Romeo und Julia oder jede andere Liebesgeschichte, wo sie nicht glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben.

Ein Mann findet die Tochter, die er immer gesucht hat. Dann wird sie ihm wieder genommen.

Als Erzähler müssen wir doch Geschichten mit einem gewissen Drama erzählen, sonst schlafen die Leute ein. Okay, es geht um eine Entscheidung, die Frankie Dunn, meine Figur, am Ende trifft.

Ich glaube nicht, dass ich dieselbe Entscheidung treffen könnte. Aber ich weiß es nicht. Ich war nie in so einer Situation. Fast niemand war es. Inklusive der Kritiker."

Kann es sein, dass die Rechten in Amerika gerade sehr triumphal, aber auch sehr wütend sind?

"Oh, nicht nur die Rechten. Alle haben jeden Respekt verloren. Vielleicht werde ich nur alt und nostalgisch, aber mir scheint es so, als ob man früher verschiedener Meinung sein und sich dennoch respektieren konnte.

Zum Beispiel zu der Zeit, als ich Bürgermeister von Carmel war. Da gab es noch Respekt für die Demokratie, die nun mal auf unterschiedlichen Standpunkten beruht.

Heute beschwört jeder sofort den Weltuntergang, wenn es nicht exakt nach seinen Wünschen läuft. Hoffentlich werden die kühleren Köpfe die Oberhand behalten, aber Sie haben Recht: Amerika macht eine seltsame Phase durch."

Was ist das für eine Phase?

"Es hängt damit zusammen, dass wir auf eigenem Boden attackiert wurden. Das ganze 9/11-Ding, das sind wir nicht gewohnt.

Noch dazu auf diese hinterhältige Art. Der Start eines neuen Krieges, für den es, wenn wir ehrlich sind, keine Handbücher gibt.

Jeder lernt dazu, keiner kennt die Antworten. Wie konnte es soweit kommen, wie konnte es sein, dass wir nicht wachsam genug waren? Ein Wort nur: Selbstgefälligkeit."

Hatte Amerika früher nicht Führer, die mit den Aufgaben gewachsen sind?

"Manchmal hatten wir die. Wir wissen es nur eben erst hinterher. Auch die jetzigen Führer könnten sich, je nach Ergebnis, noch als brillant erweisen.

Denken Sie, wir fanden unsere Führer im Zweiten Weltkrieg brillant? Nicht, so lange die Sache am Laufen war. Glauben Sie mir: Roosevelt, Morgenthau, Eisenhower, diese ganzen Burschen, sie haben Tonnen von Fehlern gemacht."

Das klingt nun extrem besonnen, beinahe weise. Wo bleibt das Blitzen echter Wut, das aus seinen Augen schlagen kann, wenn er Eastwood der Rächer ist?

Tut ihm das wirklich alles nur leid, seine ganze Dirty-Harry-Phase?

Kritiker hören es gern, wenn er sich davon distanziert. "Dirty Harry will Sorry sagen", schreiben sie. Aber man braucht die Filme nur anzuschauen, auch die neueren wie "Unforgiven" und "Mystic River".

Gerächt werden muss darin, trotz aller Zweifel, noch immer. Mr. Eastwood, im Laufe Ihrer Karriere haben Sie jedem nur denkbaren Psychopathen eine Knarre ins Gesicht gehalten.

Haben Sie dabei das Böse studiert?

"Nicht so, wie Sie meinen. Dirty Harry zum Beispiel, der hatte einen Hass auf die Bürokratie und suchte nach Wegen, trotzdem ein paar Dinge, nun ja: zu erledigen. Aber wir haben nicht die Geschichte seiner Gegner studiert.

Wenn er einen Psycho vor der Revolvermündung hatte, war die Frage unwichtig, was diesem Psycho in seiner Kindheit widerfahren war. Ob ihn seine Großtante als Baby vielleicht geschlagen hat oder nicht.

Kennen Sie Jeffrey Dahmer?"

Den 15-fachen homosexuellen Mörder, der seinen Opfern Säure ins Gehirn träufelte, um sie zu Sklaven zu machen?

"Eben den. Neulich hab ich mir mit meiner Frau zusammen vorgestellt, wie er als Baby war, der kleine Jeffrey. Wie Mr. und Mrs. Dahmer ihn auf dem Arm hatten und sagten: ,Oh, Little Sweeety Jeffrey, ist er nicht süß?'

Und wie sich die Dahmers dann später fragen mussten, was aus ihrem Jeffrey geworden ist."

Das findet er jetzt so richtig lustig. Die Augen blitzen vor Freude. "Ein Witz auf Kosten der Opfer, oder?", fragt er.

Mr. Eastwood, ist Jeffrey Dahmer die Art von Kerl, dem Sie wirklich gerne eine 44er Magnum an den Kopf halten würden und sagen: ,Make my day'?

"Oh, absolut! Es gilt als unschicklich, das auszusprechen, aber hier haben Sie's: Es wäre mir eine Freude gewesen, diesem Leben ein Ende zu setzen.

Um der Opfer willen. Ja, das denke ich."

Auch da wird er noch einmal lachen. Aber gleichzeitig kriecht nun tatsächlich diese unglaubliche Kälte in seine Augen.

Eigentlich bestätigt sich ja nur, was man immer schon wissen konnte: Dass ein Mann, der sein Schicksal so klar kontrolliert wie Eastwood, am Ende doch hauptsächlich Dinge unternimmt, die ihm Spaß machen.

Fünf Dirty Harrys inklusive. Die großen Hits ihrer Zeit, aber auch eine persönliche Leidenschaft.

Was er natürlich heute, als Oscar-Eastwood, routinemäßig herunterspielt. Man rührt an dieses Thema auf eigene Gefahr.

Eastwood legt die Beine auf den Stuhl. Die Sonnenbrille ist über die Augenwinkel gebogen.

Brauner Blouson über weißem Polohemd, helle Leinenhose, Sneaker für den Golfplatz.

Sein Stil ist einfach, trügerisch einfach.

Man denkt, dass er einen relativ normalen Mercedes fährt.

Tatsächlich ist es auch ein sogar total normaler Mercedes - dem eine Spezialfirma allerdings nachträglich 500 PS unter die Haube gepackt hat.

Aber das sehen nur Eingeweihte, und er selbst würde nie darauf hinweisen. Also weiter.

Mr. Eastwood, kann es sein, dass der Einzelne in Ihren Filmen die höchste Autorität ist?

Von Dirty Harry bis zum Boxtrainer Dunn - alle müssen selbst über Recht und Unrecht entscheiden.

"Oft versuchen diese Individuen, einer höheren Macht zu folgen. Aber höhere Mächte helfen nicht, vergessen Sie also die höheren Mächte! Ich glaube, der Einzelne ist sehr, sehr stark. Ich glorifiziere das ein bisschen. Vielleicht ist dieser Gedanke überholt, aber es war doch immer ein Traum der Menschen, eine individuelle Statur zu haben. Niemand respektiert dich, wenn du Teil eines Mobs bist. Du musst schon selbst für etwas stehen."

Institutionen trauen Sie weniger.

"Richtig. Das ist der Glamour des Westerns. Damals gab es kaum Institutionen, man war auf sich allein gestellt.

Ich frage mich noch heute, wenn ich hier übers Land fahre: Wie zur Hölle haben sie das gemacht, unsere Vorfahren?

Neben Planwagen herlaufen, tausend, zweitausend Meilen. Nun, sie waren starke Persönlichkeiten. Das war der Deal. Nur so konnte der Westen funktionieren."

Jetzt sieht er auf die Uhr und sagt, dass er mal eben weg muss.

Eine Schulbesprechung mit Tochter Morgan, sie ist sechs Jahre alt, das jüngste seiner sieben Kinder von fünf oder mehr Frauen, so genau will man das nicht wissen.

Praktischerweise ist die River School gleich nebenan, eine normale öffentliche Schule. In den Pausen dürfen die Kinder auf derselben und wirklich unglaublich grünen Wiese spielen, auf der auch Eastwoods Schafe liegen.

"I'll be back", sagt er und grinst. Und kommt nach einer halben Stunde wieder.

Draußen tollt Morgan herum, mit wildem braunem Haar und Stupsnase, sie hat einen Kurzauftritt in "Million Dollar Baby", als Kind an der Tankstelle.

"Los, noch ein paar Fragen!"

Also gut: Ungelöste Legenden aus goldenen Zeiten! Stimmt es, dass der Plot von "Für eine Handvoll Dollar" geklaut war?

"Yep! Ganz klar, von Akira Kurosawas ,Yojimbo - Der Leibwächter'. Ich hatte den Film in den 50ern gesehen und sagte sofort, als ich Leones Drehbuch las: ,Ah, Yojimbo!'

Ich dachte immer, das der Film auch einen tollen Western hergeben würde.

Also nahm ich die Rolle an. Von Leone wusste man nicht viel, ich freute mich darauf, zum ersten Mal nach Europa zu kommen und eine Auszeit vom Fernsehen zu nehmen, von der Serienarbeit bei ,Tausend Meilen Staub'.

Ich erzählte allen stolz, dass ich ein Remake von ,Yojimbo' drehen würde.

Bis nach der Hälfte des Drehs diese lustigen Italiener zu mir kamen und ganz aufgeregt sagten: ,Du, mit dieser ,Yojimbo'-Sache, eeeh, behalt das mal für dich. Die Rechte sind noch nicht ganz geklärt!' Hehe!"

Stimmt es, dass Sie Dialoge verkürzt haben, weil Sie den Mann ohne Namen noch schweigsamer machen wollten?

"Nun ja, jedenfalls hat der wichtigste Mann - der Regisseur - am Set nicht verstanden, was ich da redete. Die Filme wurden zwar in Englisch gedreht, aber Sergio Leone war der Sprache überhaupt nicht mächtig. Er konnte ,Good Morning', ich konnte ,Bon Giorno'. Das war's."

Und ist es wahr, dass Leone Ihnen anbot, den Mythos vom Mann ohne Namen zu begraben, indem Ihre Figur in den ersten zehn Minuten von "Spiel mir das Lied vom Tod" erschossen wird?

"Nicht, dass ich wüsste. Er bot mir die Rolle des schweigsamen Rächers an, die dann, hmmm, ja, Charlie Bronson übernommen hat.

Den Typen mit der Zigarre hatte ich, wenn wir ehrlich sind, schon dreimal gespielt. Ich dachte: Genug."

Und haben Sie je tatsächlich die Waffe abgefeuert, an der Ihr Image klebt: Dirty Harrys' 44er Magnum?

"Ja. Gute Waffe. Aber sehr stark. Die haut dir den Arm weg. Für praktische Zwecke empfehle ich eher die 375er."

Okay. Wir nähern uns dem Ende.

Es scheint eine Ewigkeit vergangen zu sein, auch wenn es für die Schafe auf der Weide nur ein Moment war.

Ein Moment in ihrer speziellen Schafs-Unendlichkeit. Aber der Ausblick auf diese Schafe, das ist noch ein wichtiger Punkt.

Mr. Eastwood, was verbindet Sie mit diesem wunderbaren Flecken Erde?

"Ich kam als junger Soldat zum ersten Mal hierher, 1951, während des Koreakriegs. Meine Militärbasis war in der Nähe.

Mein erstes legales Bier hatte ich genau hier, auf dieser Terasse. Damals war das ein Restaurant, aber eigentlich sind die Gebäude schon viel älter.

Früher war alles eine Molkerei. So ist das. Ich habe mich also in die Aussicht verliebt.

Ich hatte kein Geld, aber ich nahm mir vor, sollte ich je einen Dollar verdienen, dass ich dann wiederkommen und hier ein bisschen Land kaufen würde."

Was Sie dann taten.

"Yeah. Exakt in dem Moment, als ich erfolgreich wurde. Aus dem bisschen Land wurde ein bisschen mehr Land. Ich glaube an Land. Es ist die Form von Besitz, die ich verstehe. Wissen Sie, dieses ganze Börsenfieber ging völlig an mir vorbei.

Südlich von hier fließt der Malpaso Creek, da habe ich auch mal hundert Hektar besessen, und weil mir der Name Malpaso gefiel, hab ich meine Firma so genannt.

Die Mission Ranch stand in den achtziger Jahren zum Verkauf, das war die Zeit, als ich zum Bürgermeister von Carmel gewählt war. Ich beschloss, sie vor den Spekulanten zu retten. Sehen Sie das Grün dieser Wiese?"

Ja, ein unglaubliches Grün.

"Das liegt daran, dass wir in letzter Zeit viel Regen hatten, verstehen Sie? Die Wiese ist immer sehr grün gewesen.

Aber dieses Jahr ist sie extrem grün."

Dann ist alles vorbei.

Sehr freundlicher Abschied. Ein 500-PS-Mercedes, der davongleitet, vorbei an der spanischen Mission von 1771, die der Papst mal besucht hat auf seinem Trip duch die USA, aber das mit den höheren Mächten wollten wir ja lassen.

Am Ende stehen wir im Büro der Mission Ranch und sehen ein ziemlich, nein, ein ungeheuerlich geschmackloses Aquarell an der Wand. Ein Schauspielerportrait.

"American Legend" steht darunter. Und es zeigt: John Wayne. Oh, Mann!

Hören wir da aus der Ferne wieder das wundervolle Glucksen? Es ist dieses kleine, leise Glucksen, wenn der große Clint Eastwood einen Witz macht.

© SZaW v. 26./27./28.03.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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