"Berliner Zeitung" in Aufruhr:Der ungeliebte Mister Cash

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Der doppelte Josef: Die "Berliner Zeitung" erscheint nur in einer Notausgabe. Grund: Die Redaktion protestiert so gegen den neuen Chef, der beides sein soll - Erster Redakteur und Geschäftsführer.

Marcus Jauer, Hans-Jürgen Jakobs und Christiane Langrock-Kögel

Als die Berliner Zeitung im Mai 2005 den 60. Geburtstag feierte, gab sie eine dicke Beilage heraus. Darin erzählte das Blatt aus Berlin-Mitte von alten Zeiten - mit dem sowjetischen Oberst Alexander Kirsanow als erstem Chefredakteur und den späteren SED-Parteisoldaten, die sich um publizistische Linie bemühten in der DDR. Aber auch der ¸¸Zukunft der Zeitung" galten viele Seiten. Für ein Schmuckfoto setzten die Macher ein Papierschiffchen mit dem Kopf des Berliner Blatts aufs Wasser und texteten: ¸¸Solange die Zeitung in Bewegung bleibt, kann ihr nichts passieren."

Josef Depenbrock muss also für Montgomery & Co. eine Art publizistischer Superstar sein - der Redaktion der Berliner Zeitung freilich war diese Qualität verborgen geblieben. (Foto: Fotos: ddp)

Genau das ist unsicher. Mehr denn je ist die Berliner Zeitung in Bewegung - doch dass ihr nichts passiert, davon kann keiner mehr ausgehen. Am Dienstag erschien, aus Protest, nur eine Notnummer. Die Redaktion schrieb nicht, sondern redete über ihre Eigentümer.

Seit Oktober 2005, als der britische Zeitungsinvestor David Montgomery und der Fonds Veronis Suhler Stevenson (VSS) den Verlag übernahmen, war die Stimmung aufgeheizt. Sie entlud sich am Montag: Da verkündeten die neuen Herren morgens, wer ¸¸mit sofortiger Wirkung" Chefredakteur werde: Josef Depenbrock, 44, bislang Chefredakteur und Geschäftsführer der Hamburger Morgenpost (Mopo). Das Boulevardblatt haben Montgomery und VSS auch gekauft und in ihre BV Deutsche Zeitungsholding eingegliedert - in deren Geschäftsführung werde Depenbrock ¸¸für die redaktionellen Belange der Gruppe zuständig sein", heißt es in der Pressemitteilung. Zudem werde er Mit-Herausgeber der Mopo.

Josef Depenbrock muss also für Montgomery & Co. eine Art publizistischer Superstar sein - der Redaktion der Berliner Zeitung freilich war diese Qualität verborgen geblieben. Sie wurde von der News just an dem Tag überrascht, an dem der Redaktionsausschuss mit Geschäftsführer Peter Skulimma über das neue Redaktionsstatut reden wollte. In einem Brief - mit 110 Unterschriften - hatte die Redaktion zuvor noch das Management gebeten, keinen Chefredakteur vor Verabschiedung des Statuts zu holen. Ein ¸¸scharfer Affront", erklärt Ausschuss-Chef Ewald B. Schulte. Der Betriebsrat wertet die Doppel-Berufung Depenbrocks als ¸¸groben Vertrauensbruch", der die Unabhängigkeit des Blatts gefährde. O-Ton: ¸¸Der Betriebsrat ist erstaunt und entsetzt."

Es war ein hektischer Tag.

11.15 Uhr: Redaktionsversammlung. Die Beteiligten einigen sich, mit einer spektakulären Aktion Widerstand zu leisten. Es kommt die Idee auf, die Dienstag-Ausgabe mit Anzeigen und einem ¸¸Blindtext" erscheinen zu lassen. Es gebe ja so viel Beratungsbedarf, deshalb könnten Artikel nicht bearbeitet werden.

12.15 Uhr: Der Redaktionsausschuss protestiert bei Manager Skulimma.

14 Uhr: Debatten auf den Fluren. Werden alle Redakteure mitmachen? Wird die nicht geschriebene Zeitung belichtet, gedruckt und ausgeliefert? Vorgesehen ist ein erklärender Text auf Seite eins.

14.15 Uhr: Wieder Redaktionsversammlung. Der bisherige Chefredakteur Uwe Vorkötter, der vor dem Einstieg von Montgomery & Co. gewarnt hat, verabschiedet sich mit brüchiger Stimme. Der künftige Chefredakteur der Frankfurter Rundschau erklärt, eine schöne Zeit gehabt zu haben. Sein Nachfolger habe eine faire Chance verdient. Etwas Gebrumme. Dann Applaus. Die Redaktion überlegt, die Frühausgabe nicht zu produzieren. So kommt es auch.

15 Uhr: Depenbrock stellt sich vor. Er wird gut eine Stunde befragt. Insbesondere seine Doppelrolle - als Journalist und Geschäftsführer - erregt die Redaktion. Der Neue wird nicht konkret und sagt, es gebe gute Chancen auf Modernisierung (¸¸Eine Zeitung ist kein Museum"). Ihm sei aufgefallen, dass das Ressort Vermischtes eine der meistgelesenen Seiten mache und nur 1,6 Stellen habe - anders als das Feuilleton mit 13 Jobs. Nachdem er geht, bespricht die Redaktion ihre Protestausgabe - bis auf Wetter und Fernsehen soll sie weiße Seiten haben.

16.45 Uhr: Es läuft die ¸¸Sprechstunde" beim Betriebsrat. Neu-Chefredakteur Depenbrock erscheint und bittet, wenigstens eine Notausgabe zu machen.

18.30 Uhr: Eine Notausgabe mit zwölf Seiten entsteht. Vorne die Erklärung (¸¸Liebe Leserin, liebe Leser"). Darin steht, dass ¸¸die Berliner Zeitung heute in besonderer Form" erscheine: ¸¸Damit bringen wir, die Redaktion, unsere Sorge über die Zukunft Ihrer und unserer Zeitung zum Ausdruck". Man werde ¸¸mit der ganzen Kraft" dafür kämpfen, dass die ¸¸Verquickung zwischen redaktionellen und wirtschaftlichen Interessen nicht zum Verlust journalistischer Qualität und Unabhängigkeit" führe. Depenbrock erwidert auf den nächsten Seiten.

Kern des Streits ist, dass die Berliner Verleger weiter sparen wollen. Aus London wird berichtet, Montgomery schwebe eine Rendite von 25 Prozent aufs eingesetzte Kapital vor. Ist Depenbrock hierbei der Richtige? Ein ¸¸Mister Cash"?

In seiner Karriere hatte er oft Kurz-Auftritte. Volontierte bei den Westfälischen Nachrichten, arbeitete dort sieben Jahre als Redakteur. Anfang der Neunziger Produktionsredakteur bei Bild, dann dreieinhalb Jahre beim Berliner Kurier, der Boulevardschwester der Berliner Zeitung. Anschließend agierte Depenbrock sechs Jahre bei Cash sowie 2004/2005 bei TV Today - jeweils als Geschäftsführer und Chefredakteur. Er hielt zehn Prozent an der Mopo und hat sie gegen einen Mini-Anteil an Montgomerys Zeitungsholding eingetauscht.

Kaufmännisches Denken gilt als Stärke Depenbrocks - jedenfalls bei Hans Barlach, seinem Ex-Partner bei der Hamburger Morgenpost. Im Mopo-Gebäude krempelte Depenbrock zur Morgenkonferenz gern die Ärmel hoch. Grinsend wurden in der Runde Männerwitzchen gemacht und Storys besprochen wie: ¸¸Hamburg im FKK-Fieber!" Teile seines Konzepts: mehr Service, erfolgsabhängige Bezahlung für Ressortchefs. Ein Computer stand nicht auf seinem Tisch. ¸¸Wozu?", fragte Depenbrock - vom frühen Nachmittag an arbeite er ja mit den Redakteuren an deren Produktionsplätzen.

Bei der Berliner Zeitung sind sie anderes gewohnt. Immerhin wollte der Verlag Gruner + Jahr hieraus einst eine ¸¸deutsche Washington Post" machen, wie Ex-Herausgeber Erich Böhme verkündete. In Dieter Schröder, Michael Maier, Martin Süskind und zuletzt Vorkötter standen der Redaktion versierte Journalisten vor, die Tiefgang garantierten. Ein ¸¸Mister Cash" fehlte.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.123, Dienstag, den 30. Mai 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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