Berlinale, existentialistisch:Die kleinen Skandale

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Sharon Stone als Kleptomanin, Cate Blanchett und Judi Dench als rivalisierende Lehrerinnen - dazu ein düsterer Clint Eastwood: Geschichten über verschwindende und verschwundene Existenzen auf der Berlinale.

Susan Vahabzadeh

Es muss irgendeinen Grund dafür geben, dass auf der Berlinale Menschen herumlaufen, die sich aus Kino ganz offensichtlich überhaupt nichts machen. Die eine Sorte Film ist ihnen zu schwer, die andere zu leicht, die Diskussionen zu dröge und das Wetter zu schlecht. Wahrscheinlich sind sie dann doch nur da, weil die Prominenzdichte so schön hoch ist und das Ich-bin-dabei-gewesen-Gefühl ihnen ihre eigene Existenz bestätigt.

Ausbruch aus der Langeweile: Sharon Stone als Kleptomanin in "When a Man Falls in the Forrest". (Foto: Foto: ddp)

Um Menschen, die die Fähigkeit verloren haben, sich selbst zu spüren, geht es in den Filmen an diesem Berlinale-Tag - Judi Dench treibt es in bitterböse Intriganz in Richard Eyres "Notes on a Scandal", die vier Hauptfiguren in Ryan Eslingers "When a Man Falls in the Forest" schlafwandeln durch ihr Leben.

Patrick Marber hat das Drehbuch geschrieben zu Eyres "Notes", eine richtige Theatercrew hat sich für den Film zusammengefunden - Eyre, der schon Marbers erstes Stück in London inszeniert hat, arbeitet immer wieder mit Dame Judi Dench, ihre Gegenspielerin Cate Blanchett - gerade auch mit "Babel" und "The Good German" präsent - wird sich dem Kino demnächst entziehen, um in Sydney Theater zu spielen.

Rivalinnen im Lehrerzimmer

"Notes on a Scandal", der außer Konkurrenz läuft, besteht überwiegend aus Szenen zwischen den zwei Frauen, Barbara (Dench) ist besessen von der neuen Lehrerin an ihrer Schule, Sheba (Blanchett), und übernimmt nach und nach die Kontrolle über ihr Leben.

Barbara ist eine einsame, verbitterte Alte, deren Vertrauen überwiegend ihrem Tagebuch gilt; als Sheba sie in ihr Haus einlädt, um den Sonntag mit ihrem Mann und den Kindern zu verbringen, könnte das ihre Chance sein, echte Beziehungen aufzubauen.

Aber es geht ihr nur um Kontrolle, sie will nicht die Unsicherheit einer gleichberechtigten Beziehung, sondern die Gewissheit der Macht - sie hat Sheba mit einem Schüler erwischt und kann nun zwar ihre Gegenwart erzwingen, aber keine Nähe.

Schmerzfreier Dämmerzustand

Ryan Eslinger hat für seinen Wettbewerbsbeitrag "When a Man Falls in the Forest" eine Viererkonstellation der verschwundenen Existenzen zusammengestellt. Einen Putzmann, der nachts ein Architekturbüro reinigt und lieber seine Träume kontrollieren will als wirklich zu leben; der Filialleiter eines Baumarkts, dessen einziges Ziel es zu sein scheint, nie irgendjemandem aufzufallen; und ein Ehepaar, das es vorzieht, einander zu ignorieren.

Timothy Hutton und Sharon Stone spielen dieses Paar, er flüchtet sich mit Schlafmitteln in einen schmerzfreien Dämmerzustand, sie klaut im Kaufhaus - es gibt eine schöne Szene, in der sie fast anfängt zu leuchten, als sie ein paar Kleidungsstücke in ihre Tasche gesteckt hat.

Sharon Stone kann sich mit ihrem sehr verhaltenen Auftritt von der Künstlichkeit ihres "Basic Instinct 2"-Auftritts erholen - Eslinger geht sehr nah heran an ihr ungeschminktes Gesicht, versucht mit sehr viel Emotion, diesen Menschen ihre Bedeutung zurückzugeben. Wenn der mürrische Gesichtsausdruck des Jurypräsidenten Paul Schrader beim Verlassen des Kinos nicht nur Ausdruck allgemeiner Ermüdung war, wird er damit aber nicht in die engere Bären-Auswahl kommen.

Im Angesicht des Todes

Den Menschen ihre Bedeutung zurückgeben, das ist genau das, was Clint Eastwood tut in seinem wundervollen "Letters from Iwo Jima", ebenfalls außer Konkurrenz. Seine Figuren, japanische Soldaten im aussichtslosen Kampf gegen die amerikanische Übermacht im Pazifikkrieg, kommen zu vollem Bewusstsein im Angesicht des Todes.

Eastwood entdeckt in ihnen keine Gegensätze, sondern die gleichen Ängste, den Überlebenswillen wie in den Amerikanern in "Flags of Our Fathers", seinem Film über Iwo Jima aus der anderen Perspektive. Der Minimalismus, die Haltung, die Konzentration, mit der er das macht, wie er den Bildern die Farbe austreibt und aus den finsteren Gängen und der unwirtlichen Insel lebensfeindliches Terrain macht, das ist meisterlich - wäre "Iwo Jima" im Rennen um die Bären, hätte er schon gewonnen.

© SZ vom 13.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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