Beiträge aus dem Iran:Sisyphus beim Skiausflug

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Quicklebendiger Kommentar zur Lage - das iranische Kino ist mit sechs Filmen auf der Berlinale stark vertreten.

Amin Farzanefar

1975 liefen gleich zwei große Filme des späteren Grimme-Preisträgers Sohrab Shahid Saless auf der Berlinale. Inhalt und Titel konnten fast als Programm für den iranischen Arthouse-Film der künftigen Jahrzehnte dienen: "A Simple Event" und "Still Life" warfen einen sozialrealistischen Blick auf die persische Unterschicht und den unabänderlichen Lauf der Dinge.

Das allerdings war noch unter dem Schah, und seither schien sich das iranische Kinowunder außerhalb Berlins zu ereignen. Ende 2005 knüpfte dann Festivalchef Dieter Kosslick in Teheran neue Kontakte, und jetzt kann man bei sechs Beiträgen, davon zwei im Wettbewerb, überprüfen, wie sich der Lauf der Dinge geändert hat.

Mani Haqiqis "Men at Work" bedient eine geradezu archetypische Formel des iranischen Kinos, erzählt eine Parabel der Beharrlichkeit. Diesmal ist es der iranische Mittelstand, der sich da an einem großen Stein abarbeitet, dem man während eines Skiausflugs am Fahrbahnrand entdeckt.

Ein Ingenieur, ein Arzt, ein Geschäftsmann ersinnen allerhand Maßnahmen zur Beseitigung, und irgendwann wird die Sisyphusarbeit an der Steinsäule zu einem Gleichnis: auf das Patriarchat, auf unverrückbare Machtverhältnisse, und vielleicht auch auf den Giganten des iranischen Fims, Abbas Kiarostami, an dem im internationalen Festivalbetrieb kaum ein Landsmann vorbeikommt - und der auch die Idee zum Drehbuch lieferte.

Die anderen Beiträge liefern eher Studien über Underdogs und Misfits, überwiegend männliche Randfiguren einer polarisierten Gesellschaft: "Another Morning" (Sobhi Digar) von Nasser Refaie zeigt Kamali, der nach der Beerdigung seiner Frau versteinert und bei seinen Streifzügen durch die Stadt auf gesellschaftliche Missstände trifft: Drogenabhängigkeit, Kriminalität, politische Repression.

Etwas mehr Bewegung bietet "Slowly" von Maziar Miri: Als Pari, die junge Frau des Streckenarbeiters Mahmud, plötzlich verschwindet, nimmt dieser Urlaub und begibt sich in Teheran auf die Suche. Einem traditionellen Milieu entstammend, ist er hin- und hergerissen zwischen aufrichtiger Sorge und gekränkter Ehrsucht, wobei Klatsch und Häme der Nachbarn ihm keine wirkliche Wahl lassen. Dem düsteren Ende ist eine überinszenierte Happy-End-Phantasie angepappt, die den Realitäten Hohn spricht. Mit solchen und anderen Buñuelschen Ideen zielt Shahbazi in Richtung Groteske, leider im falschen Genre.

In Rafi Pitts Wettbewerbsbeitrag "It's Winter", der heute läuft, findet die Migration des working man in einem fast schon geschichts- und bezugslosen Rahmen statt: Ein Mann verlässt Frau und Kind, um im Ausland Arbeit zu finden. Die Frau schlägt sich allein durch, bis sich ein junger zugezogener Mechaniker in sie verliebt...

Eine neorealistisch eingefärbte Geschichte, der Rhythmus der Arbeitsmigration erscheint als ebenso unbestechlicher Taktgeber wie die Abfolge der Jahreszeiten. Was vor allem nachwirkt, ist Mohammad Davodis atemberaubende Kameraarbeit, sein Gespür für Farbchoreografie, für räumliche Tiefe.

Wie er die gegenläufigen Bewegungslinien der vorbeiratternden Züge und der dahintrottenden Wanderarbeiter einfängt, das erinnert an die naturalistischen Traditionen des britischen Kinos. Tatsächlich ist Regisseur Rafi Pitts in London aufgewachsener Sohn eines britischen Vaters und einer iranischen Mutter.

Besonders schwer hatte es bislang Jafar Panahi, dessen jüngste Filme in Iran nur in Sondervorführungen gezeigt wurden; das gilt für den von Schnitzler inspirierten Venedig-Gewinner "Der Kreis" (2000) wie für das düstere Gesellschaftsporträt "Crimson Gold", eine Taxi-Driver-Variation mit einem Pizzaausfahrer. Sein neuester Film, "Offside", der zweite Iran-Beitrag im Wettbewerb, hat die Länge eines Fußballspiels und bietet ein Paradebeispiel für typischen iranischen Fanatismus: Tatsächlich ist das Fussballfieber in Iran beispiellos, aber nach wie vor ist Frauen der Zutritt zu den Stadien strikt verboten.

Panahis Handkamera folgt einer jungen Teheranerin, die sich als Junge verkleidet Einlass verschafft, dabei ertappt wird und hinter den Tribünen in einem provisorisch abzäunten Areal zu weiteren Rebellinnen gesperrt wird. Diese Riot Girls werden nicht viel zu lachen haben; einstweilen liefern sie sich - alles Laiendarstellerinnen - noch spitzzüngige Dialoge mit den naiven Wachsoldaten über Anstand und Sitte der Geschlechter.

Panahi ist einer der wenigen Assistenten Kiarostamis, die dessen semidokumentarischen Stil kreativ weiterentwickelt haben. So ist diese Crossdressing-Komödie vor allen ästhetischen Qualitäten ein quicklebendiger Kommentar zur Lage in Iran und dessen Klassen-, Geschlechter- und Generationengegensätzen, dem ganzen ideologischen Irrwitz.

"Offside" spielt während des entscheidenden WM-Qualifikationsspiels Iran -Bahrain, und Fußball ist in der Islamischen Republik eben nicht nur eine der wenigen erlaubten Möglichkeiten weltlicher Ekstase, sondern auch Tor zur Welt - eine Situation, die es mit dem Kino teilt.

© SZ vom 14.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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