Beethovenfest:Heroisches Schwitzen

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Konzerte, Jugendprojekte, Tanz auf den Straßen: Das Beethovenfest in Bonn ist ein Gemischtwarenladen mit Volksfestelementen. Nike Wagner, Chefin im zweiten Jahr, versucht das Festival durch Konzentration und Konflikte zu vitalisieren.

Von Michael Struck-Schloen

Souverän und neckisch tupft der Kraftprotz mit Kinnbart und Schubert-Brille das Thema aus Beethovens "Heroischer Sinfonie" in die Klaviertasten. Er streichelt und knetet das Elfenbein und nimmt dann doch, bei schwierigen Stellen, Haltung an. Der russische Pianist Konstantin Scherbakov, der sonst vor keinen technischen Tücken zurückschreckt, hat Beethovens Eroica-Variationen an diesem sonnigen Morgen in Bonn vielleicht etwas unterschätzt, Schweißperlen tropfen zuweilen auf die Tastatur. Erst am Ende der Eröffnungsmatinee fürs diesjährige Beethovenfest hat er die Eroica wieder fest im Griff, wenn er Franz Liszts Bearbeitung der Symphonie für einen Konzertflügel mit erstaunlicher Transparenz und ohne Donnerhall spielt.

Das Thema "Revolutionen" ist hier mehr als plattes Festival-Marketing

Die Aula der Bonner Universität ist nicht gerade eine Arena für Helden. Im Stil der Fünfzigerjahre wurde sie nach der Zerstörung wieder aufgebaut, ein gediegen getäfeltes Forum für Festreden. Wenn Nike Wagner, die Chefin des Festivals, hier von dessen Themen redet, von Beethovens Napoleon-Verehrung, den Revolutionen in Frankreich und Russland, aber auch vom gescheiterten Arabischen Frühling, dann scheinen ihre klugen Ideen und empathischen Worte in der bildungsbürgerlichen Atmosphäre zu verhallen.

Es ist, nach ihrer Festivalleitung in Weimar, Wagners zweite Spielzeit am Rhein. Das Thema "Revolutionen" ist nicht nur Marketing. Die Kunst tobt sich tatsächlich konfliktreich aus, wenn Beethovens Prometheus-Ballett auf Sergej Prokofjews "Kantate zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution" trifft; oder wenn der Dirigent François-Xavier Roth mit seinem wendigen Orchester "Les Siècles" die Messe für Napoleon von Étienne-Nicolas Méhul und Beethovens Fünfte kombiniert, also die offiziöse und kritische Verarbeitung von revolutionärem Geist gegenüberstellt. Auch in der zeitgenössischen Musik werden ähnliche Brüche vorgeführt.

Schon immer wirkte das Beethovenfest mit seiner Fülle an Sinfonie- und Kammerkonzerten, Liederabenden, Jugendprojekten, Jazzsessions, Tanz und Performances in den Straßen der Stadt wie ein bunter Gemischtwarenladen, der mal mit der Maske Beethovens, mal mit der Pappnase des Volksfestes auftrat. Nike Wagners Vorgängerin Ilona Schmiel, eine rührige, erfolgsverwöhnte Kulturmanagerin, hatte das Beethovenfest bis zur Unübersichtlichkeit aufgebläht. Hier will (und muss) Wagner schrumpfen, konzentrieren, das Festival mit neuen Kunstformen vitalisieren.

Dazu gehört die Einladung der Theatergruppe "Rimini Protokoll", die in dem Projekt "Hausbesuch Europa" Gäste in Bonner Haushalte bringt, um über Europa zu diskutieren. Oder das kuriose "Pianodrom", ein aufblasbares Zelt des Architekten Hans Walter Müller, unter dem an drei Tagen 24 Pianisten auftreten, zwanglos umringt vom Publikum. Vielleicht bereitet sich Nike Wagner damit schon innerlich auf die nahe Zukunft vor, in der die veraltete Beethovenhalle saniert und Ausweichraum gesucht wird - ‒ warum nicht ein mobiler Raum in Zeiten der Revolution durch Migration?

© SZ vom 14.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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