Bayerisches Plattenlabel:Hausmusik lebt

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Für Wolfgang Petters spielt die Musik auch nach dramatischen Einbrüchen eine entscheidende Rolle. Das beweist er bei seinem Auftritt in der Milla

Von Jürgen Moises

Hausmusik lebt! In digitalen Zeiten, in denen für viele Wikipedia die wichtigste Informationsquelle darstellt, sollte man das vorwegschicken. "Hausmusik war ein süddeutsches Schallplattenlabel, das von 1991 bis 2007 existierte", ist dort im Präteritum zu lesen. Das ist so aber nicht ganz richtig. Mit dem Hausmusik-Vertrieb, zu dem neben Hausmusik auch Morr Music aus Berlin, Cakekitchen aus Neuseeland, Sodastream aus Australien und noch einige Labels mehr gehörten, ging es im Jahr 2007 zu Ende. Aber das von Wolfgang Petters 1991 in Landsberg am Lech gegründete Label, das nicht nur für die Landsberger, sondern auch für die berühmt-berüchtigte Weilheimer Szene und vom Jahr 2000 an sogar für die Münchner Independent-Szene eine extrem wichtige Rolle spielte, existiert es immer noch.

Ein Beweis dafür? Das neue A-Million-Mercies-Album, das im Herbst auf Hausmusik erscheint und dessen Songs Wolfgang Petters an diesem Donnerstag in der Milla vorstellt. A Million Mercies ist ein Solo-Projekt von Petters, das seit Anfang der Neunzigerjahre existiert. 1994 erschien auf Hausmusik die erste EP, 1999 das erste Album, danach kamen das Label, der Vertrieb und 2000 der Hausmusik-Plattenladen und Bandprojekte wie Fred Is Dead dazwischen. Erst 2012 folgte mit "Wir sind elektrisch" die zweite A-Million-Mercies-LP. Der Hausmusik-Vertrieb war da Geschichte, und aus dem Hausmusik-Plattenladen war Hausmunik geworden: Eine Espressobar mit Plattenverkauf, die Petters von 2008 bis 2012 zusammen mit Heinz-Peter Lauf in München betrieb. 2013 erschien mit "It's Only Fools Gold" auf Hausmusik ein Album von Broken Radio alias Klaus Patzak, das Jahr darauf brachten die beiden zusammen als A Million Mercies & Broken Radio die Platte "Sample & Hold" heraus.

Das heißt: Genau ein neues Album pro Jahr gab es seit 2012 auf Hausmusik. Das ist dann doch ein Unterschied zu früher. Zudem stammt die neue Musik fast nur von Petters selbst, oder wie im Falle von "Broken Radio" von alten, engen Freunden. Auch für das neue A-Million-Mercies-Album hat Petters sich musikalische Freunde in sein kleines Wohnzimmerstudio geholt, wo er die Musik aktuell aufnimmt. Das waren in dem Fall der Geiger Martin Lickleder und die Sängerin und Gitarristin Claudia Kaiser von den Moulinettes, ein Saxofonist und noch zwei Hornspieler. Was dann doch wieder an die alten Hausmusik-Zeiten erinnert. Denn auch die ersten Hausmusik-Alben entstanden zu einem Großteil so, dass sich Petters mit befreundeten Musikern aus Landsberg, Weilheim und Umgebung zu Aufnahmen in seinem Landsberger Schlaf- und Wohnzimmer traf.

Zu diesen Freunden zählten damals unter anderen Markus und Micha Acher von The Not wist, die ebenfalls auf Hausmusik veröffentlichten und mit denen Petters zusammen bei Village of Savoonga spielte. Weitere wichtige Hausmusik-Bands waren Fred Is Dead, iso68, Lali Puna, Ms John Soda oder Squares On Both Sides. Amerikanische Musiker und Bands wie Calexico, Will Oldham und Smog veröffentlichten ebenfalls auf dem bayerischen Label. Mit siebgedruckten Covern hatte Hausmusik zudem früh eine ganz eigene Ästhetik gefunden, und mit dem Schwerpunkt auf Vinyl-Platten, so schien es, ein solides Fundament. Label und Vertrieb expandierten, im Jahr 2000 erfolgte der Umzug von Landsberg nach München, wo Petters seitdem lebt und arbeitet. Dass es mit dem Vertrieb 2006 rasant bergab gehen sollte, das war zumindest in der Radikalität ebenso wenig abzusehen wie der Aufstieg von Hausmusik in den Neunzigerjahren zu einem der wichtigsten deutschen Independent-Labels.

Verursacht war das jähe Ende des Vertriebs vor allem durch die Spätfolgen der Digitalisierung und des Internet. Die großen Läden nahmen die Vinylplatten aus dem Programm, der Umsatz brach radikal ein, was damals vor allem die kleineren und mittelgroßen Labels traf. Die alten Label- und Vertriebsstrukturen lösten sich auf mit der Folge, dass Petters kurz vor der Insolvenz selbst die Reißleine zog. Was nicht so einfach war, wie es hier klingt. "Ich durfte gar nicht von heute auf morgen aufhören, das Finanzamt war dagegen", so Petters, der genauso wie die Besitzer der anderen Hausmusik-Labels plötzlich auf einem Berg aus CDs und Vinylplatten festsaß. Petters hortete zu Hause, bei Familie und Freunden, was irgend ging, verkaufte Platten für zehn Cent, Tausende musste er schließlich aber doch in Containern entsorgen.

Als Petters 2008 dann mit der Hausmunik-Espressobar einen Neuanfang versuchte, rotteten immer noch rund 40 000 CDs und Platten aus dem Hausmusik-Vertrieb in irgendwelchen Lagern vor sich hin. Bis ihm schließlich die Idee kam: Warum verkaufe ich die nicht einfach selbst? Genau davon lebt Petters nun seit ein paar Jahren, indem er im Internet Platten und CDs verkauft. Die Musik bestimmt trotz allem weiterhin sein Leben. Neben seiner Arbeit komponiert er Hörspiel- und Theatermusik, etwa für "Wer wollt ihr werden?", ein Stück, das im November in der Villa Stuck Premiere hat. Und er schreibt Songs, so viele wie noch nie zuvor. Ein Kreativitätsschub, der tragischerweise mit dem Freitod eines engen Freundes in Verbindung steht, und mit dem Tod der eigenen Eltern.

Den Tod des Freundes hat Petters auf "Wir sind elektrisch" von 2012 verarbeitet. Und in den zwischen Country, Garagenblues und Krautrock changierenden Songs, die er in der Milla präsentiert, wird die Herkunft seiner Familie thematisiert. Petters' Eltern und Großeltern waren Heimatvertriebene, stammten aus Brandenburg und Osteuropa - ein Schicksal, das auch sein Leben bestimmt. Selbst die Hausmusik-Geschichte sieht er im Nachhinein davon beeinflusst, hat sich doch herausgestellt, dass auch frühe Hausmusik-Gefährten aus Vertriebenen-Familien mit osteuropäischen Wurzeln stammen, die in Landsberg nie ganz integriert waren. Das Gefühl der Unbehaustheit als der Ursprung für die Hausmusik? Gut möglich, auf jeden Fall ein bezwingender Gedanke.

A Million Mercies , Donnerstag, 21. Mai, 20.30 Uhr, Milla, Holzstr. 28

© SZ vom 21.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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