Barockkonzert:Wonne und Wunder

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In der Spiegelgalerie nehmen Julia Lezhneva und Max Emanuel Cencic gemeinsam mit dem Dirigenten Rüdiger Lotter (von links) den Applaus entgegen. (Foto: Jakob Steiner)

Pergolesis menschliches "Stabat mater"

Von Michael Stallknecht, Herrenchiemsee

"Von Gott und Göttern" lautet in diesem Jahr das Motto der Herrenchiemsee-Festspiele, die ihre Hörer bis Ende Juli an dreizehn Abenden auf, so der Untertitel, "barocke Wege" führen wollen. Kurz war der Lebensweg des Barockkomponisten Giovanni Battista Pergolesi, der, bevor er mit 26 Jahren starb, ein "Stabat Mater" komponierte, in dem er sich auf sehr menschlichem, emotional direktem Weg dem Sterben Jesu näherte. In der Spiegelgalerie des Schlosses Herrenchiemsee mischen sich die Stimmen von Julia Lezhneva und Max Emanuel Cencic darin mit auffallend gut zueinander passenden Timbres, nachdem sich beide in der ersten Hälfte zunächst als Solisten haben zeigen können: die Sopranistin mit Georg Friedrich Händels "Salve Regina" HWV 241, der Countertenor mit zwei Arien von Johann Adolph Hasse.

Die erst 27-jährige Julia Lezhneva hat in den vergangenen Jahren bereits eine rasante Karriere hingelegt. Man hört an einigen unsauberen Ansätzen in der Höhe, an leichtem Forcieren im Übergang, dass diese Stimme technisch noch nachreifen könnte. Doch mit ihrer ungewöhnlich vollen, runden Tiefe verfügt die Russin nicht nur über ein sehr eigenes Timbre, sondern auch über eine eigenständige Interpretenpersönlichkeit. Julia Lezhneva klingt immer ein wenig, als staune sie über die Welt und das Leid darin, in einem unschuldigen, gleichwohl bedingungslosen Fragen. Der Hörer staunt mit ihr, dass dieser Mensch am Kreuz einfach so stirbt, während sie die Silben des "dum emisit spiritum" einzeln in die Luft setzt wie offene Fragezeichen.

Max Emanuel Cencic dagegen braucht etwas Anlauf, um sich emotional hineinziehen zu lassen in dieses "Stabat mater", dafür bleibt seine Technik Wonne und Wunder - schon, wenn er im ersten Teil durch den Koloraturenparkour von "Siam navi all'onde" aus Hasses "L'Olimpiade" rast. Die aus München angereiste Hofkapelle umschmeichelt beider Stimmen mit einer weichen Wärme, die für ein Ensemble der historischen Aufführungspraxis außergewöhnlich ist. Ihr künstlerischer Leiter und Dirigent Rüdiger Lotter setzt weniger auf die beim Barock oft zu hörenden harten Kontraste, entwickelt die Musik vielmehr aus einer flexiblen Rhetorik, staffelt und stuft den Klang auch in sich reich ab. Im "Stabat Mater" kommt er damit ohne alle exaltierte Theatralisierung aus, findet stattdessen mit den Solisten zu einem meditierenden, emotional umso tiefer greifenden Zugang.

© SZ vom 24.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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