Ballett-Oper:BH und Tiger-Burka

Lesezeit: 2 min

Krasse Burka-Modenschau: "Les Indes galantes" in der Inszenierung von Laura Scozzi am Staatstheater in Nürnberg. (Foto: Ludwig Olah)

Rameaus grandioser Barock-Eskapismus "Les Indes galantes" in Nürnberg

Von Egbert Tholl, Nürnberg

Als es vorbei ist, nach drei Stunden und 20 Minuten, überrascht im Publikum eine Dame, der man ihrem Äußeren nach einen solchen Satz kaum zutraute, mit dem Ausspruch: "Allmächd, war das geil!"Ja, so klingt das, wenn die Fränkin aus dem Häuschen ist.

Das Häuschen ist in dem Fall das große Haus des Nürnberger Staatstheaters, also das Opernhaus, in welchem sich soeben ereignet hat: eine Ballettoper ohne Ballett. Zumindest wären die tanzvernarrten Könige im absolutistischen, hochbarocken Frankreich reichlich verwundert gewesen, wenn sie damals gesehen hätten, was die Regisseurin und Choreografin (also doch Tanz?) Laura Scozzi aus Jean-Philippe Rameaus "Les Indes galantes" gebastelt hat.

1736 hatte die in Nürnberg gespielte Fassung ihre Uraufführung - bei den Münchner Opernfestspielen in diesem Sommer verwendet man die ein Jahr jüngere Urfassung. Es ist ja ein bemerkenswerter Service der Nürnberger Oper, quasi auf die Opernfestspiele 2016 hinzuleiten, erst mit Halévys "La Juive", nun mit Rameau. Freilich ist dies ein blöder, münchenzentristischer Gedanke; genauso könnte man sagen, in Bayern waren die Nürnberger diesmal schneller, was in der Vergangenheit bei ähnlichen Repertoire-Überschneidungen keineswegs immer so war.

Rameaus Stück ist Allegorie, Exotismus und ein bisschen Mythologie. Im Vorspiel animiert Hébé, Göttin der Jugend, selbige zu Tanz und Spiel, wogegen die Kriegsgöttin Bellone opponiert und empfiehlt, den Ruhm in der Schlacht zu suchen. Hébé ruft Amour zu Hilfe, und da beide wissen, dass das Hehre und Schöne, wofür sie stehen, der Blödheit der ruhm- und streitsüchtigen Anhänger Bellones nur unterliegen kann, wollen sie wenigstens wissen, was passiert. Und schicken die "Amoretten" los, die als liebenswerte Volltrottel in vier völlig unterschiedliche Abenteuer stolpern. Erst geht es mit "Eden Voyage" an märchenhafte türkische Gestade zu einem Pascha nebst Flüchtlingen, dann nach Peru zu Drogen, Postkolonialismus und den schweren Jungs vom "Leuchtenden Pfad", dann zu einer krassen Burka-Modenschau (Tiger, Blumen, Punkte) nach Persien und schließlich zu Ökoaktivisten nach Arizona, das hier ausschaut wie der Yosemite Park.

Scozzi vereint in ihrer Inszenierung abgeklärten Humor mit Lust an toller Ausstattung, nimmt die Vorlage hemmungslos als Folie für unsere Zeit und ist doch rettungslos idealistisch. Aber lustig: Hébé herrscht in einem Paradies, und hier hopsen elf Nackedeis durchs Grün, die allesamt drollige Dinge tun, extrem gute Laune haben und selbige auch verbreiten. Alles, was dann kommt, muss ein Niedergang sein, auch wenn sich teils die Frauen stolz behaupten. Überall Macht- und Profitgier, Gewalt, Dummheit. Scozzi ist weit davon entfernt, subtil zu sein. Klug ist sie schon.

Subtil ist auch Dirigent Paul Agnew nicht, aber furios. Rameau erfindet die Klangfarbe, und Agnew malt sie kräftig aus. Dazu rattern die Rhythmen, treiben die Handlung voran, könnten manchmal eleganter sein, aber die Koproduktion der Nürnberger mit Toulouse und Bordeaux ist auch ein scharfes Beispiel dafür, was ein "normales" Opernorchester von Alter Musik verstehen lernen kann. Auch die Sänger leisten Großes, manche von ihnen tauchen in praktisch allen Teilen auf, vor allem Michaela Maria Mayer, erst Hébé, dann viele andere. Sie spielt unerschrockener als die dafür gecasteten Bewegungsgenies um sie herum und singt mit würdevoller Inbrunst - das Zentrum der Aufführung. Wunderbar der lyrische Schmelz von Martin Platz, neben so furchterregenden Kerlen wie Marcell Bakonyi. Auch wenn es Scozzi nicht ganz gelingt, in jeder Wiederholungsschleife der herrlichen Musik Rameaus ein neues Detail zu erfinden: Die Aufführung ist von gespinnerter, aufregender Großartigkeit.

© SZ vom 06.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: