Ausstellung über das Glück:Lieben, Essen, Kiffen, Singen, Schönsein

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Glück ist Arbeit, Arbeit, Arbeit. Aber gibt es keinen mehr, der in der Arbeit sein Glück sucht? Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden zeigt eine Ausstellung über das Glück.

Von Jens Bisky

Das Allerbeste, nicht geboren zu werden, ist uns ganz unerreichbar. Dass es das Zweitbeste sei, bald zu sterben, hat die Mehrzahl nie überzeugt. Die Weisheit des Silen wurde viel gehört und wenig befolgt. Einige der Konsequenzen kann man jetzt im Dresdner Hygiene-Museum bestaunen und bedenken.

Am Eingang zur neuen Sonderausstellung "Glück - welches Glück" warnt ein monumentales Gemälde von Rudolf Henneberg, ein prächtiger Schinken in Öl, 1868 vollendet: Ein junger Mann hetzt auf einem Pferd Fortuna hinterher, die sich - definitionsgemäß - immer weiter zu entfernen scheint. Zu Pferdefüßen liegt dahingesunken und vom Helden dieser "Jagd nach dem Glück" unbeachtet- ein junges, weiß gekleidetes Mädchen. Schutzengel oder frühere Liebe? Wer glücklich sein will, darf keine Opfer scheuen.

Hennebergs allegorische Warnung wird keinen Besucher abhalten, zu lockend prangt der Rosenbogen, durch den er den ersten von sieben Ausstellungsräumen betritt, um sich zwischen 400 Objekten, Bildschirmen, Hörstationen zu verlieren.

Das Hygienemuseum hat mit dem "Siemens Arts Programm" kooperiert. Der afrikanische Künstler Meschac Gaba hat zu jedem Thema szenographische Installationen entworfen: eine Gartenlaube für die "Liebe", einen Schönheitssalon, wenn es um den Körper gehen soll, ein Labyrinth aus Glasbausteinen mit eingelassenen Geldscheinen, wenn abschließend Fortuna ihren großen Auftritt hat.

Die Dame, die gern auf einer Kugel durch die Zeiten rollt, steht für die unsicheren Lebensumstände, die scheinbar willkürlich und zufällig dem einzelnen Glücksgüter zuteilen oder Unglück. Das gefühlte, das subjektive Glück, hört im Lateinischen auf felicitas. Vielleicht zeichnet es das Deutsche als wahrhaft philosophische Sprache aus, dass sie beides - fortuna und felictias - mit einem Wort bezeichnet.

Im Zentrum der Ausstellung stehen die "Neuronen". Der Besucher wandelt über eine große Gehirnlandkarte, auf der auch noch ein kleines bewegliches Gehirnmodell herumspaziert. Was im "Belohnungszentrum" geschieht, wenn wir Schokolade essen oder einen mitmenschlichen Körper berühren, kann man spielerisch erkunden. Im äußerst informativen und erstaunlich bilderarmen Begleitbuch informiert Manfred Spitzer über das "Glück im Kopf". Im Mittelhirn findet man eine kleine Ansammlung von Neuronen, die den Neurotransmitter Dopamin produzieren und auf zwei Wegen weiterleiten.

Das hat beachtliche Konsequenzen: Im Nucleus accumbens werden Neuronen aktiviert, die opiumähnliche Eiweißkörper produzieren. Im Frontalhirn sorgt das Dopamin für besseres Funktionieren, kommen die Endorphine hinzu, macht's auch noch richtig Spaß. Interessanterweise feuern die Neuronen im Mittelhirn dann, "wenn ein Ereignis besser ist, als erwartet". Daraus folgt, was Philosophie und Volksmund immer schon ahnten: Glück ist nicht auf Dauer angelegt, und Glücksempfindungen halten uns an, strebsam zu sein. Wir lernen, wenn es Spaß macht, besonders gut - und lernen, was gut für uns ist.

Kennenlernen kann man auch in der Dresdner Ausstellung einiges. Wie stets an diesem Hause besticht sie durch einige sehr interessante Objekte: etwa eine Lackdose aus der Zeit um 1800. Amor versucht pinkelnd zwei flammende Herzen zu löschen. Was in der Gegenüberstellung von Rodins "Kuss" und Edvard Munchs "Eifersucht" gezeigt werden soll, hat man hier in einem Bilde.

Eine allegorische Landkarte aus dem Jahr 1777 zeigt das "Reich der Liebe". Von Süd nach Nord kommt man, das "Land der Jugend" verlassend, ins "Gebiet der fixen Ideen", wo man sich in "Verlangenau" und "Triebstädtel" umschauen sollte, um dann über die "Brücke der Hoffnung" weiterzugehen.

Auch ein Lotterierad von 1750 und einen Orakelautomaten des 19. Jahrhunderts kann man bestaunen: Für bloß zehn Pfennige durfte man am Ring ziehen und erhielt eine Karte mit Hinweisen aufs Kommende. Und die "Flux Smile Machine" von George Maciunas, eine Mundsperre, die zum Dauerlächeln zwingt, entlockt dem Vorübergehenden gewiss ein Lächeln.

Leider haben die vielen kleinen Gegenstände und Kunstwerke wenig Gelegenheit, ihre Aura zu entfalten, ihre Kraft, Geschichten zu erzählen. Die Raumgestaltung schiebt sich allemal in den Vordergrund.

"Ich. Alles. Sofort."

Nahezu leer ist der Musikraum. Da stehen große Sitzkissen herum, Kopfhörer hängen an den Wänden, und dann gibt es da noch die Karaoke-Box: mit Mikrophon, Monitor und herrlich plüschigen Wänden. Singen soll glücklich machen. Es gibt wenige Kulturtechniken, die so viel über die Gegenwart verraten, wie Karaoke, mit dem seltsamen Ineinander von Imitation fremder Muster und Neuschöpfung des eigenen Ich. Man greift nach den Sternen im Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeit.

An dieser Stelle aber erkennt man auch die konzeptionelle Schwäche: Ob es um Extremsport, Liebe oder Spiritualität geht, die Ausstellung bestätigt selbst dort, wo sie kritisieren will, den hedonistischen Individualismus, jenes "Ich. Alles. Sofort", von dem manche behaupten, es regiere unsere Welt.

Glück wird wesentlich als Selbstbezug in Szene gesetzt. Schon beim Essen geht es doch nicht nur um Lust und Gesundheit der Nahrungsaufnahme, sondern oft und viel mehr um das Beieinandersitzen, die Mahlzeit ist geselliges Ereignis wie der Urlaub, der in Dresden fehlt. Gemeinschaftliches Glück aber hat in dieser Ausstellung keinen starken Auftritt, kein großes Bild gefunden. Freundschaft gehörte stets zu den Glückskonzepten des Abendlandes, und sie erlebt, wenn nicht alle Zeichen täuschen, seit einigen Jahren eine Blüte. Die Anstrengung des Lustgewinns in der Freizeit wird in Dresden gewaltig hervorgehoben.

Glück, scheint es, ist Arbeit, Arbeit, Arbeit. Aber gibt es keinen mehr, der in der Arbeit sein Glück sucht? Wo sind die Bilder der Muße, des behaglichen Gefühls, die Beine ausstrecken und sich der eigenen Vervollkommnung widmen zu können? Weil diese Gegenbilder weitgehend fehlen, wirkt die Ausstellung ungewohnt spannungsarm. Sie addiert bloß Assoziationen und Statistiken zu einem Thema. Die Neuronen im Mittelhirn werden in dieser Ausstellung kaum zum Feuern animiert.

Glück - welches Glück. Deutsches Hygiene-Museum, Dresden. Bis zum 2. November. Das Begleitbuch zur Ausstellung ist im Carl Hanser Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro.www.dhmd.de/glueck. Tel.: 0351-4846124

© SZ vom 7.3.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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