Ausstellung: Martin Parr:Im Schatten junger Millionärinnenblüte

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Der Ethnologe der Sonnenbrände und Supermärkte begibt sich in die High Society: Martin Parrs neue Foto-Serie "Luxury" und gesammelte Absonderlichkeiten im Haus der Kunst.

Holger Liebs

"Doch, ich mag die Leute! Sie bewegen sich halt in einer Art Seifenoper. Und sie lassen mich dabei zuschauen. Denn wie sie aussehen, ist ihnen selbst sehr wichtig."

Bildergalerie
:Der Luxus des Wahnsinns

Sein Berufsgeheimnis ist die eigene Unauffälligkeit - seine Bilder spiegeln den Wahnsinn der Realität. Martin Parr lässt Kunst, Fotografie, Design und Werbung verschmelzen. Seine neue Foto-Serie "Luxury" zeigt er nun im Haus der Kunst. Dazu ist der Ethnologe der Sonnenbrände und Supermärkte diesmal in die Oberschicht abgetaucht. Seine schönsten Motive in Bildern.

Martin Parr hat ein Problem. Er ist als Fotograf des täglichen Irrsinns so gut, dass man ihn als zynisch schilt - als ob es ein Verbot gäbe, die Wirklichkeit, die nun mal auch aus dem versengten, quellenden Fleisch britischer Badetouristen besteht, mit der Kamera zu erfassen. Mit Blitzlicht, auch und gerade tagsüber, und in extremem close-up. Gut, das sieht lustig aus oder fies oder beides, dieser Teller Bohnensuppe oder jener verdreckte Säugling - aber that's life. Jedenfalls im Vereinigten Königreich Großbritannien. Am Schmutzrand nördlicher Industriestädte. Martin Parr: ein Ethnologe der Sonnenbrände und Supermärkte, ein Fremder in der kreischbunten Spaßhölle des menschlichen Makels. Weder herzensgut noch bitterböse - sondern einfach nur im richtigen Augenblick vor Ort.

Und die "Leute" lassen ihn an sich ran. Denn er sieht nett aus. Vielleicht ein bisschen harmlos. Vorsichtig formuliert. Vielleicht ist es so, als halte ein beigebrauner Renault Chamade im Parkverbot, wenn Parr Aufnahmen macht. Er wird kein Knöllchen bekommen. Denn man übersieht ihn so leicht. "Nein, es hat mich noch niemand angegriffen. Aber ich bin mir natürlich des Berufsrisikos bewusst." Dann lacht er, so eruptiv wie kurz: Ha!

Jetzt steht Parr in seiner Ausstellung "Parrworld" im Münchner Haus der Kunst und erklärt seine neue Foto-Serie "Luxury": Hier ist auf einmal gar nichts mehr schmutzig. Aber auch beim "Cartier International Dubai Polo Challenge" oder auf dem Oktoberfest oder bei der "Millionaire Fair" in Moskau verdunkelt der "Schatten menschlicher Schwäche", von dem Parr spricht, den Glamour.

Das hast du nun davon

Da schaut uns zum Beispiel ein Nerz an, mit traurigen Knopfaugen, als wolle er sagen: Hättest du mich mal hier rausgeholt. Aber jetzt bin ich tot. Das hast du nun davon. Der Nerz hängt am Hals einer Dame, die Champagner trinkt und Zigarre raucht und wegschaut. Sie scheint von dem toten Tier an ihrem Hals nichts zu wissen. Vor ihr liegen Goldmünzen auf einem dieser brusthohen Catering-Tischchen, die immer zu klein sind für die dazugehörigen Catering-Teller.

Die Reichen, die Parr fotografiert hat, rauchen oft Zigarre oder trinken Champagner. Manchmal stehen sie auch wie der Mann im schrecklich bunten Hemd auf der "Gulf Art Fair" in Dubai vor einem Gemälde, das zufällig dasselbe schrecklich-bunte Muster aufweist, nur eben in Öl auf Leinwand. Was der Mann wohl denkt? Vielleicht: Sieh mal an, das passt zu meiner Garderobe - wo ist mein Scheckbuch? Oder: So ein Scharlatan! Parr weiß: Die Seifenoper des Lebens ist von keiner Fiktion überbietbar. Seine Bilder begreift man immer sofort. Die Wirklichkeit stellt sich in ihnen als wunderschöne Katastrophe dar. "Wie sie in Nordengland sagen", so Parr, "nowt so queer as folk", er notiert es, wegen der Schreibweise. Nichts ist so sonderbar wie die ganz gewöhnlichen Leute. Und dass auch Reichtum nicht vor Gewöhnlichkeit schützt - das zeigt "Luxury".

Sie haben ihn damals nicht gleich in die berühmte Fotoagentur Magnum aufgenommen, in den Neunzigern, es gab Kontroversen. Unter anderem auch deswegen, weil Parr keine Berührungsängste kennt. Er macht auch Werbefotos, für Louis Vuitton zum Beispiel. In München hat er neben der "Luxury"-Serie auch seine eigene Sammlung ausgestellt - er nennt eine der besten Fotobücher-Kollektionen der Welt sein Eigen. Sowie Fotografie-Inkunabeln von Cartier-Bresson bis Yoshiyuki. Und Dutzende Uhren mit Saddam-Hussein-Motiv. Und Spice-Girls-Schokoriegel. Und Spielzeugastronauten. Und Devotionalien mit Margaret Thatchers Konterfei, Schmuckteller und dergleichen ("ich hasse Thatcher").

Sammler der Wirklichkeit

Aber warum das alles nebeneinander ausstellen? "Es gibt nicht nur hohe oder niedrige Kunst. Es gibt nur High and Low Art. Ich mag es, dass die Grenzen zwischen Kunst, Fotografie, Design und Werbung verdampfen. Ich spiele das Spiel auf meine Weise, meine Fotografien sind high und low. Das klingt jetzt vielleicht narzisstisch. Aber auf jeden Fall eingängiger." Dann lacht er wieder.

Es ist ja eigentlich auch einfach zu verstehen: Auch Fotografen sind Sammler, sie sammeln Wirklichkeit. Auch Fotografien sind Dinge: Es sind Zeitmaschinen. Auf das Finden, auf den richtigen Augenblick kommt es an. Darum auch Parrs enormes Urlaubskarten-Konvolut, das er fortlaufend unter dem Titel "Boring Postcards" publiziert.

Was Parr in England ist, ist Hans-Peter Feldmann in Deutschland: ein Bilderfinder. Feldmanns Bücher liegen auch aus - oder, zum Beispiel, Charles Taylors Buch "Why my photographs are so bad", von 1902. "Er zeigt, wie man es nicht machen soll", erklärt Parr. "Überbelichtung, Unschärfe, zu nah dran - also alles, was die zeitgenössische Fotografie auszeichnet. Aber Taylors eigene Musterbeispiele geglückter Fotografie sind todlangweilig. Ha!"

Das teuerste seiner Fotobücher stammt vom Surrealisten Hans Bellmer, es ist heute 60 000 Pfund wert, sagt er. Die Riesenpackung Medallion-Käselocken war billiger, er brachte sie aus Memphis mit, als Grundstock einer XXL-Knabberzeug-Sammlung. Es blieb bisher bei der einen Packung. "Wenn Sie mal eine größere sehen, melden Sie sich, ja?" Wir müssen uns Martin Parr als einen glücklichen Menschen vorstellen.

"Parrworld", Haus der Kunst München, bis 17. August. Bücher: "Objects", 35 Euro; "Postcards", 48 Euro (beide bei Chris Boot). Info: Tel. 089 / 21127-113.

© SZ vom 8.5.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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