Ausstellung in Stuttgart:Umpf, piffpaff, pong

Lesezeit: 3 min

Die Staatsgalerie Stuttgart untersucht den Einfluss von Cartoons und Comics auf die zeitgenössische Kunst. "Funny Cuts" heißt das Ganze. Aber mehr als die nun von bunten Bildern gestützte Vermutung, dass sich die Künstler eine kindliche Faszination für das Genre bewahrt haben, ist dabei nicht heraus gekommen.

ADRIENNE BRAUN

AnnLee sollte längst tot sein.

Popey meets Matisse in Öl. John Wesley, "Olive Oyl" 1973 (Foto: Foto: Staatsgalerie Stuttgart)

Ausgelöscht, weggewischt vom Markt wie ein alter Fussel vom Revers.

Ein Mädchen für eine Saison, eine Episode - und fort mit ihr.

AnnLee, Anli, Anne-Li, "schreiben Sie es, wie Sie wollen", sagt sie, "it doesn't matter".

AnnLee ist das, was man in ihr sehen will: "imaginary material". Die Künstler Pierre Huyghe und Philippe Parreno haben AnnLee gekauft.

Eine japanische Agentur für Manga-Figuren hatte das Mädchen ohne Eigenschaften schnell und billig entwickelt und schließlich abgestoßen.

Die Persönlichkeitsstruktur war nicht komplex genug, um sie in einem Manga-Film einzusetzen. Die virtuelle Heldin auf Zeit wurde gerettet und in den Dienst der Kunst gestellt.

"No Ghost Just a Shell: Anywhere Out of the World" nennt sich das Video-Projekt, bei dem AnnLee als imaginärer Charakter permanent Gestalt und Aussehen wechselt.

"Funny Cuts", eine Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart, beschäftigt sich mit dem Einfluss von Cartoons und Comics auf die zeitgenössische Kunst - mit Batman, Superman, "piffpaff", "kawoom" und "umpff".

Vermutlich haben sich die Künstler eine kindliche Faszination für das Genre bewahrt, weil sie mit Comics groß geworden sind.

Von der Pop Art, bei der die Ausstellung beginnt, bis zu den künstlerischen Aneignungen von japanischen Manga- und Anime-Motiven grundiert ein affirmativer Gestus das Gros der Werke: Bei aller Kritik an Kommerz und Trivialkultur scheinen die Künstler die Sympathie für die Helden und Tröster der Kinderzimmer konserviert zu haben.

"Was ist es nur, was die Wohnungen von heute so ganz anders, so anziehend macht?" - Richard Hamilton gab die Antwort mit einer Collage: Muskelmann und Pin-up-girl sind die Protagonisten des modernen Lebens, Fernseher, Tonbandgerät, Schinkenkonserve, ein riesiger Dauerlutscher und ein Comicplakat an der Wand gehören zu den Requisiten ihres Heimes.

Hamiltons Collage, 1956 entstanden, wurde das Programmbild der Pop Art.

Diese Kunstrichtung hat das Triviale und den Comic endgültig bildwürdig gemacht. So darf einer wie Roy Lichtenstein in der Stuttgarter Ausstellung nicht fehlen.

Er riss Panels, wie die Bilder eines Comics heißen, aus dem Kontext, vergrößerte und erklärte sie zum autonomen Kunstwerk.

"Takka takka" brüllen die Maschinengewehre auf seinem gleichnamigen Druck, aber es ging Lichtenstein keineswegs darum, martialische Comics zu kritisieren, sondern allein darum, die Grenze zwischen Kunst und Alltag zu öffnen - mit der Konsequenz ikonischer Transferleistungen auf beiden Seiten.

"Comics - Opium in der Kinderstube" titelte der Spiegel 1951. Vielleicht hat auch die Ächtung der Comics dazu beitragen, dass Künstler sich mit dem Genre solidarisierten - und die bunten Bildchen ihrerseits zu Sujets heroischer Anbetung machten wie Mel Ramos, der Anfang der sechziger Jahre "Batman" und "Captain Midnight" mit pastosem Pinselstrich abgemalt, klassisch komponiert und in Herrscherpose präsentiert hat.

Seit dieser Zeit wurde der visuelle Fundus der Trivialkultur ausgiebig zu künstlerischen Zwecken genutzt, "geplündert", wie Hamilton sagte.

Wobei, wie die Stuttgarter Ausstellung zeigt, die Comics oft nur Anlässe eigener künstlerischer Bildreflexionen sind. Etwa in Martin Kippenbergers gar nicht so komischer Dada-Verhohnepipelung rassistischer Klischees: "Du schwarz - ich weiss. Ei'm black - ei no. Ei gelb - ei weiss".

Oder in John Wesleys Gemälde "Olive Oyl", das den berühmten "Tanz" von Matisse, also ein Bild der Hochkultur, zurückübersetzt in die Traumwelt von der Angebeteten Popeyes.

Angela Bulloch arbeitet in ihren "S/M-Series" (1992) mit den so genannten Soundwords, den Lautmalereien eines erotischen Comics - was sich so anhört, beziehungsweise liest:

"AHAH!, SCIAK! AAAGH". Und Yoshitomo Nara hat in seinen "Summer Drawings" von 2004 niedlich-düstere Manga-Gesichter gezeichnet.

Die Blätter, die in einer Holzhütte aufgehängt wurden, erzählen von kindlichen Gefühlszuständen - "Schule ist nicht mehr klasse", steht dort, oder "hundert Fragen".

Das Spektrum ist groß, und der jungen Kuratorin Kassandra Nakas konnte es kaum gelingen, das Material zu strukturieren. Auch wenn sie versucht hat, die Fülle an Positionen zu klassifizieren mit Kategorien wie Manipulation, Fragmentierung, Zweckentfremdung oder Dekonstruktion, bleibt es eine Überblicksschau, die eher auflistet und aneinander reiht, als dass sie Fährten durch den Bilderdschungel schlagen würde.

Aha, auch so lässt sich Comic also künstlerisch verarbeiten, denkt man immer wieder - wie bei Inka Essenhigh, die stumme, albtraumhafte Szenerien in Öl malt und ihre Figuren wie Kaugummi zieht, dehnt, verfremdet.

Dicke Touristen werden in Erdlöcher eingesogen, geisterhafte Wesen winden sich in einer blutroten Hölle.

Das Label "Comic" wird manchen Werken freilich nur bedingt gerecht. Das obere Stockwerk ist weitgehend der japanischen Manga-Bewegung gewidmet. Auf einem Bild lugt Mr. Dob herein, eine Erfindung von Takashi Murakami.

Der japanische Künstlerstar leitet eine Fabrik, in der Mitarbeiter an der Distribution von Mr. Dob arbeiten - als Figuren, auf Mützen, T-Shirts, Luftballons.

In Japan wird mehr Papier für Mangas verbraucht als für Toilettenpapier, heißt es. Künstler wie Murakami machen sich die Logik dieser Kulturindustrie zunutze und werfen ebenfalls Massenprodukte auf den Markt.

Solche Aspekte tauchen in der Stuttgarter Ausstellung leider nicht auf, und die aktuellen Positionen wurden ein wenig stiefmütterlich behandelt. Dennoch hat man in Stuttgart Pionierarbeit geleistet - die Ausdifferenzierung des Themas steht aber noch aus.

Wenn man Andy Warhol, von dem übrigens keine Arbeit vertreten ist, glauben darf, dann hat die Kunst, die sich mit Comics beschäftigt, besonders gute Chancen, zu überdauern. Denn ein Großteil der modernen Kunst, meinte Warhol,, "wird in 100 Jahren vergessen sein, aber Mickey Mouse wird es immer noch geben".

Bis 17. April 2005, Katalog 24 Euro

© SZ v. 09.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: