Ausstellung in Augsburg:Wisch und weg

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Im Augsburger H2-Zentrum für Gegenwartskunst dokumentieren ecuadorianischer Künstler mit der Schau "Rompeflasche" Veränderungen und Austausch. Sie führen vor Augen, dass nichts von Dauer ist

Von Antje Weber, Augsburg

Das geht ja gut los: Als die Besucherin den Ausstellungsraum betritt, macht sie gleich mal das erste Kunstwerk kaputt. Denn man kann ziemlich leicht über die weißen Papierblätter stolpern, die in einer langen Reihe auf dem Boden liegen und dort ein Muster bilden, vielleicht auch eine Grenze, wenn man sie denn als solche erkennt. Eines der Eck-Blätter sieht nun ziemlich zerknittert aus. Ein mittelschwerer Fall von Kunstzerstörung?

Kein Problem, beruhigt Clara Diepold, wissenschaftliche Volontärin im H2 - Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast Augsburg. Das gehöre zum einkalkulierten Risiko der Künstlerin Dayana Karen Parrales dazu: "Das Kunstwerk liefert sich aus." Die Idee der ecuadorianischen Künstlerin: Sie hat die Wege ihrer Vorfahren, die als reisende Händler durch das Land zogen, nachempfunden und dafür zeichnerisch Tausende von Abdrücken der Erde genommen. Ihre Graphit-Frottagen hat sie anschließend allerdings keineswegs per Post nach Augsburg geschickt: Sie hat ihre Idee vielmehr einem deutschen Stellvertreter anvertraut, der nun seinerseits tagelang durch die Umgebung Augsburgs gewandert ist. Mehr als 4000 solcher Zeichnungen auf bayerisch-schwäbischem Boden hat er angefertigt, von denen nur 571 Blätter im Glaspalast zu sehen sind. Das ist sehr praktisch, denn es gibt nun glücklicherweise jede Menge Ersatz-Blätter, falls noch mehr Besucher über die Papier-Linien stolpern sollten.

An diesem einen Beispiel kann man bereits sehr schön die Prinzipien der ungewöhnlichen Ausstellung "Rompeflasche" erkennen: Vor allem geht es hier um Austausch, in mehrfacher Hinsicht. Zunächst einmal ist damit der Austausch mit den Künstlern gemeint. Die Idee stammte von dem in Ecuador aufgewachsenen Künstler-Paar Benjamin Appel und Carolina Pérez Pallares, die zusammen mit H2-Leiter Thomas Elsen die Ausstellung kuratierten. Aus der Not, nicht viel Geld zur Verfügung zu haben, machten sie eine Tugend: Keiner der ecuadorianischen Künstler, die sie für die Zusammenarbeit auswählten, musste für die Ausstellung eigens anreisen; keines der Kunstwerke musste mühsam und teuer nach Europa transportiert werden. Der Austausch erfolgte einzig und allein über Kommunikation und über Daten.

Die Fotoserie "Cementerio de Perros" von Leandro Pesantes Barragan bearbeiten Mitarbeiter mit Zitrone und Salzwasser, um sie verwittern zu lassen. (Foto: Weinold)

Dies bedeutete konkret, dass die Künstler ausschließlich Dateien mit Fotos oder Videos mailten. Physisch wurde alles in Augsburg ausgedruckt, aufgebaut oder im Fall der Blätter nachgezeichnet. In einem anderen Fall baute eine Augsburger Papierkünstlerin, die wie alle deutschen Stellvertreter in der Ausstellung bewusst nicht namentlich hervorgehoben wird, kleine Papierkunstwerke auf Anweisung des ecuadorianischen Künstlers David Cevallos nach. Damit dies alles gelingen konnte, waren jede Menge Absprachen mit den Beteiligten und dem Centro de Arte Contemporáneo in Quito notwendig, in dem demnächst ein Gegen-Projekt geplant wird. Die Augsburger Ausstellung ist also auch das Ergebnis einer kulturellen Annäherung; ein Experiment, das H2-Leiter Elsen als "im positiven Sinne abenteuerlich" bezeichnet.

Der etwas seltsame Titel "Rompeflasche" deutet dabei auf einen weiteren Aspekt hin. Das Kunstwort ist aus dem spanischen Verb "romper" (rompe: zerbrich es) und dem deutschen Substantiv "Flasche" zusammengesetzt. Inhaltlich soll das Wort an eine Art Flaschenpost denken lassen, bei der man die gefundene Flasche zerschlagen muss, um an die Informationen zu gelangen. Und tatsächlich braucht man bei einem Rundgang durch diese originelle Konzept-Ausstellung ein paar Zusatz-Informationen auf einem Handzettel oder eine sachkundige Führung, um den tieferen Sinn der ausgestellten Objekte, Fotoserien oder Filme zu verstehen - dann aber kommt meist schnell ein Aha-Effekt. Zum Beispiel bei der Fotoserie "Cementerio de Perros" von Leandro Pesantes Barragan. Man sieht dabei neun Foto-Tafeln mit exakt derselben Aufnahme: Es ist der Blick durch ein Loch in einer verrosteten Wand auf ein Stück Feld und Bäume. Ob es ein Hundefriedhof ist, wie der spanische Titel suggeriert? Keine Ahnung. Wirklich interessant wird die Arbeit erst, wenn man weiß, dass Elsen und seine Mitarbeiter auf Wunsch des Künstlers alle paar Tage mit Zitrone und Salzwasser über die Foto-Tafeln wischen, die auf Blech gedruckt sind. Im Laufe der Monate sollen dadurch Verwitterungsspuren sichtbar werden, auf jedem Bild ein bisschen anders. Manches Detail wird verblassen, anderes vielleicht umso stärker hervortreten - so wie in der Erinnerung, erklärt Elsen. Es geht hier also um das Vergehen von Zeit, um die Unmöglichkeit, etwas dauerhaft festzuhalten.

Ebenfalls prozesshaft: "The Opening" von Paul Rosero. (Foto: Weinhold)

Das Prozesshafte, die Veränderung ist in dieser Ausstellung in jeder Hinsicht wichtig. Wird beim Hundefriedhof immer wieder gewischt, kommen zum Beispiel bei der Arbeit von Juan Carlos Vargas Espinoza immer neue Dinge dazu. Der Künstler liebt Gänsefedern als Sinnbild für Leichtigkeit und Flüchtigkeit, und entsprechend luftig ist das Ergebnis: Jeden Tag schickt er die Datei eines neuen Fotos mit Feder, jeden Tag geht einer der Augsburger Mitarbeiter damit zum Copyshop und hängt den Ausdruck an ein Seil, das quer durch den Raum gespannt ist.

Auf ganz andere, berührende Weise dokumentieren Tania Lombeida und Gary Vera Prozesse. Ihr Projekt "Desapareciendo" macht auf Menschen aufmerksam, die in Ecuador verschwunden sind. Nicht nur angesichts des kürzlichen Erdbebens dort läuft einem ein Schauer über den Rücken, wenn man auf einem der Plakate den Namen Juliana Campoverde liest, daneben das Foto einer jungen, lebenslustigen Frau am Strand sieht und dazu den verzweifelten Text der Mutter liest: "Wer hat sie der Freiheit beraubt"? Juliana ist vor vier Jahren in Quito spurlos verschwunden, und dieses Schicksal teilt sie allein für die Jahre 2013-15 mit fast 2500 Menschen in Ecuador. Wie übergroße Fahndungsaufrufe, ergänzt durch Erinnerungsstücke der Vermissten, sehen die Plakate aus. Inzwischen sind die hier gezeigten Menschen vielleicht tot, auf alle Fälle sind sie Andere, woanders. Denn, wie diese Ausstellung wieder einmal sehr deutlich macht: Nichts bleibt, wie es ist.

Rompeflasche ; Ausstellung im H2-Zentrum für Gegenwartskunst, Glaspalast, Augsburg, Amagasakiallee, bis 9. Oktober

© SZ vom 23.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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