Ausstellung in Augsburg:Von wegen naiv

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Die kostbaren Hinterglasmalereien im Schaezlerpalais in Augsburg zeigen, dass diese Kunst weit mehr zu bieten hat als bäuerliche Einfalt und bloßen Luxus

Von Sabine Reithmaier

Die Dame ist ganz schön kess. Hat keine Hemmungen, dem Betrachter ihr wohlgerundetes nacktes Hinterteil zu zeigen. Und dabei verschmitzt über die Schulter zu blicken, damit ihr die Reaktion des Betrachters ja nicht entgeht. Die unbekannte Schöne ziert eine kleine Holzschatulle, die ein ebenfalls unbekannter Herr um 1800 als Necessaire nutzte. Im Inneren befindet sich eine Bartschere, an der Oberseite ein Spiegel. Das Hinterglasbildchen mit der "frivolen Dame" versteckt sich auf der Unterseite.

Das Motiv stellt allerdings eine Ausnahme dar in der opulenten Hinterglasbilder-Ausstellung im Augsburger Schaezlerpalais. Wieder einmal hat der Sammler Wolfgang Steiner dem Museum seine Schätze zur Verfügung gestellt. Und wieder einmal ist die motivische Vielfalt verblüffend, vor allem für all jene, die mit Hinterglasbildern nur naiv gemalte Volkskunst und religiöse Motive verbinden. Die gibt es natürlich auch, doch daneben eben auch Landschaften, Genredarstellungen, Jagdszenen oder Porträts, was sich die jeweiligen Kunden der Hinterglasmaler eben wünschten. Doch nicht die Motive stehen im Mittelpunkt dieser vier Jahrhunderte umfassenden Schau. Die Klammer bilden Gold und Silber, respektive die Verwendung dieser edlen Materialien in der Hinterglaskunst, denn mit ihnen wurde das ohnehin schon extrem kostspielige Glas noch weiter aufgewertet.

Klares, reinweißes Glas herzustellen, vermochten in der Antike nur die Syrer. Den Venezianern gelang es zwar Mitte des 15. Jahrhunderts, hinter das Geheimnis des "vetro cristallo" zu kommen. Aber dennoch blieb Glas teuer und damit zunächst Klerus und Hochadel vorbehalten. Erst als es im 16. Jahrhundert gelang, weißes qualitativ hervorragendes Flachglas in größeren Mengen herzustellen, setzte die erste Blütezeit der Hinterglasmalerei ein. Den byzantinischen Fondo d'Oro-Täfelchen, die schon im 11. Jahrhundert gefertigt wurden und vor allem Altäre oder Kanzeln schmückten, folgten zierliche Glastafeln, die in Türen und Schubladen von Kabinettschränken eingesetzt wurden. Die Schränke haben die Zeitläufte nicht überlebt, die zerbrechlichen Bildchen aber hängen jetzt gerahmt an der Wand.

Neben der reinen Malerei, die, je nach Region, unterschiedlich ausfiel, setzten sich hier bereits aufwendige Techniken des Umgangs mit Gold und Silber durch. In manchen Gegenden wie in Nürnberg und Zürich schätzte man Blattgoldradierungen, Amelierungen genannt, in anderen bevorzugte man die Eglomisé-Technik, bei der erst die Farbe und dann das Blattmetall auf das Glas aufgebracht wird.

Beeindruckend ist die Fülle an Reliquien-Anhängern und Medaillons in der Ausstellung. Oft sind die kunstvoll gearbeiteten Kapseln und der Halsschmuck beidseitig mit zarten Hinterglasbildern geschmückt. Die meisten entstanden wohl in der Lombardei, aber es werden auch andere Malschulen genannt. Systematisch erforscht ist die Provenienz aber bislang noch nicht, wie so vieles, was in der Hinterglasmalerei noch immer ungeklärt ist. Bis auf wenige Ausnahmen lassen sich die Bilder auch nicht einem einzigen Künstler zuordnen, sondern bestenfalls Malschulen oder -familien.

Als das Glas in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts billiger wurde, verbreiterte sich der Kundenkreis, auch deshalb, weil sich zumindest in den Städten allmählich eine bürgerliche Schicht entwickelte, die sich unbedingt dieselben Bilder an die Wand hängen wollte wie der Adel es tat. Die Ateliers, ob in Augsburg, Luzern, Neapel oder in Böhmen, entwickelten jeweils eigene Stile, unterschieden zwischen der rein seriellen Herstellung und den "maler-handwerklichen", künstlerischen Bildern. Je weiter die Zeit voranschreitet, desto bunter werden die Bilder, desto volkstümlicher und zum Teil auch einfacher die Motive.

Woher die Künstler ihre Ideen bezogen, ist in der Ausstellung unschwer festzustellen. Fast unter jedem Bild hängt die grafische Vorlage, meist ein Kupferstich. Es ist amüsant zu beobachten, mit welcher Freiheit die Hinterglasmaler das jeweilige Motiv behandelten. Manche pausten den Stich einfach ab, andere gestalteten die Szenen reichhaltig aus. Allerdings übernahmen die Hinterglasmaler nie die Sinnsprüche, die auf den Grafiken noch zu lesen sind, etwa bei der Darstellung von Lot und seinen Töchtern: "Der Brand von Sodom kann nicht so verderblich sein. / Lot, dich verderbt noch mehr die Liebe und der Wein."

Goldglanz und Silberpracht . Gold und Silber in der Hinterglasmalerei. Bis 15.11., Di. bis So. 10-17 Uhr. Schaezlerpalais, Maximilianstraße 46, Augsburg. Zur Ausstellung ist im Deutschen Kunstverlag ein Katalog erschienen (258 Seiten, Preis: 34,90 Euro).

© SZ vom 23.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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