Auftakt:Die Bratscher des Jazz

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Beim neunten BMW-Welt-Jazz-Award stehen die lange unterschätzten Bassisten im Mittelpunkt

Von Ralf Dombrowski, München

Lange Jahre waren die Bassisten die Bratscher des Jazz, belächelt und gelitten als Sekundanten der Solisten und klangrhythmische Zulieferer des Bandsounds. Das mag daran liegen, dass das sperrige Instrument in den Zeiten vor der Elektrifizierung der Musik nur schwer mit der nötigen Dynamik und Präzision zu spielen war, um sich gegen die Rampensäue des Geschäfts durchzusetzen. Immerhin aber gelang dem Kontrabass zunächst die Ablösung der noch unflexibleren Tuba und des Sousafons in den Combos und Orchestern, gefolgt von einzelnen Persönlichkeiten, die das Instrument oft sprungweise auf eine neue Ebene heben konnten.

Jimmy Blanton zum Beispiel, ein Greenhorn aus Chattanooga in Tennessee, landete 1939 bei Duke Ellington und veränderte in kaum mehr als zwei Jahren bis zu einem frühen Tuberkulose-Tod die Vorstellung des Bandspiels. Der Bass war für ihn nicht Rhythmusknecht, sondern ein eigenständig phrasierendes Soloinstrument, das den Orchesterchef zu den ersten ernst zu nehmenden Duo-Aufnahmen ihrer Art verleitete. Walter Page, und vor ihm bereits Wellman Braud, machte als Blantons Kollege bei Count Basie ebenfalls in den späten Dreißigerjahren den girlandenhaft die Harmonien ornamentierenden Walking Bass populär, der dann zum Standard des Bebops mit Koryphäen wie Paul Chambers und Ray Brown wurde. Der ebenfalls jung verstorbene Scott LaFaro wiederum führte von den späten Fünfzigerjahren an das Blanton-Erbe konsequent weiter und entwickelte als Teil des Bill Evans Trios ein melodiös markantes Begleitkonzept, das die Musik ebenso trug wie ein Lead-Instrument. Damit war der Bass im Prinzip den übrigen Klangkörpern gleichgestellt, nur bedurfte es noch Instrumentalisten, die als Komponisten, Bandleader und Konzeptdenker fungierten.

Oscar Pettiford war einer von ihnen, der mit klassischen Wurzeln die Farbgebung veränderte. Charles Mingus implantierte mit rauem, blues-fundiertem Ton und ebensolchem Charakter die vehemente, politische Dimension in den Basskosmos. Charlie Haden löste an der Seite von Ornette Coleman die gängigen Strukturen auf, Dave Holland schließlich führte als faszinierend vielschichtiger Denker all diese Entwicklungslinien zusammen und war außerdem einer der ersten Musiker, der sich mit unbegleitetem Solo-Kontrabass in den Siebzigern auf die Bühne wagte.

Insofern knüpft nun die neunte Auflage des BMW-Welt-Jazz-Awards an eine spannende, aber lange Zeit randständige Traditionslinie des modernen Jazz an, die Bassisten als treibende Kraft eines kreativen Teams versteht. Wo Mingus, Haden und Holland noch Neuland erkundet haben, gibt es inzwischen eine stilistisch weit gefächerte Szene, die sich mit sechs sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten im Doppelkegel der BMW-Welt am Olympiapark präsentiert. Der Däne Chris Minh Doky zum Beispiel, der am Samstag den diesjährigen Wettbewerb eröffnet, machte sich als Jazzmigrant in New York zunächst einen Namen in der Fusion-Szene um Koryphäen wie den Gitarristen Mike Stern und die Brecker-Clique, bevor er sich nun zusammen mit dem Pianisten Poul Reimann und Schlagzeuger Jonas Johansen wieder seinen skandinavischen Wurzeln widmet.

Aus Schweden stammt Lars Danielsson, der Meister des singenden Tons am Bass. Er wird sich am 5. Februar mit dem karibischen Pianisten Grégory Privat zum Zwiegespräch auf der Bühne treffen. Keine weite Anreise vor sich hat hingegen Henning Sieverts, der sein Instrument lediglich von Moosach nach Milbertshofen schaffen muss, dafür aber mit dem Berliner Gitarristen Ronny Graupe und dem in Zürich lebenden Posaunisten Nils Wogram am 12. Februar seine an Prinzipien der Symmetrie orientierten Kompositionen vorstellt. Staunen hinterlässt der Franzose Renaud Garcia-Fons, der seinen Fünfsaiter mit eigens entwickelten Perkussionstechniken bearbeitet und am 19. Februar zusammen mit dem Akkordeonisten David Venitucci und dem Vibrafonisten Stephan Caracci sich musikalisch vor seiner Heimatstadt Paris verbeugt. Die australische Wahl-New-Yorkerin Linda Oh versteht sich unter anderem als Klangmalerin und stellt im Quartett mit Saxofonist Ben Wendel, Gitarrist Matthew Stevens und Drummer Justin Brown am 5. März ihre Sun Pictures vor. Und als Abschluss der Wettbewerbsmatineen kommt schließlich am 12. März die inzwischen in Schweden lebende Hamburger Bassistin Eva Kruse nach München, um im Quintett unter anderem mit der Oboistin Tjadina Wake-Walker die Hommage an ihre neue Heimat "On The Mo" zu präsentieren.

Die Konzerte finden jeweils von 11 Uhr an in der BMW-Welt statt, zwei Finalisten werden dann am 6. Mai im Großen Saal des Hauses den ersten Platz beim diesjährigen BMW-Welt-Jazz-Award unter sich ausmachen. Bis dahin aber dürfte Münchens Jazzfreunde bereits ein schillerndes Panoptikum tiefer und tiefgehender Musik erlebt haben.

© SZ vom 21.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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