Aufstand der Netzelite:Volle Kunst voraus

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Sagt es laut und sagt es stolz: Wir sind die Netzelite! Warum die illegale Website "The Pirate Bay" nun plötzlich Kunst sein und zur Biennale eingeladen werden will.

Bernd Graff

Am frühen Montagabend war die Website "The Pirate Bay" nicht mehr zu erreichen. Aber eine Überraschung war das eigentlich nicht. Eine Schließung der Seite ist seit einem Monat jederzeit möglich. "The Pirate Bay", eine der 100 am häufigsten besuchten Webseiten im Internet, gilt seit den harschen April-Urteilen gegen deren Betreiber als ausgemachter Hort der massenhaften Verbreitung von Raubkopien und der Verstöße gegen das Urheberrecht.

"The Pirate Bay" liefert Bezugsdaten für illegale Musik-, Film- oder Buchkopien. Jetzt wollen die Betreiber eine Kunstinitiative auf der Biennale in Venedig starten. (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Die Betreiber sind in erster Instanz mit Haft- und Geldstrafen belegt worden. Eine Schließung ihrer Plattform, über die man Bezugsdaten für illegale Kopien, nicht aber die Kopien selber herunterladen kann, schien nach dem spektakulären juristischen Verfahren nur eine Frage der Zeit. Eher überraschend war es da schon, dass die Serverfarm der Piraten einen Monat nach dem Richterspruch immer noch kregel in Betrieb war - ganz so, als wolle sie des Urteils mit digitalen Fakten spotten.

Das Netz ist eine Methode

Was dann am späteren Montagabend nicht zu erwarten war: Von 22 Uhr an konnte man The Pirate Bay doch wieder aufrufen. Man habe Wartungsarbeiten durchgeführt, beschied eine Notiz. Doch im Logo der Piratenbucht prangt seitdem der Hinweis auf eine Bewegung, die sich "embassyofpiracy" nennt. Und damit wollen die Freibeuter ihre obskuren Kopisten-Meere verlassen, um in den Häfen der Kunst anzudocken.

Diese "Embassy of Piracy" (Botschaft der Piraterie) bezeichnet sich selber als die "größte Botschaft der Welt." Die Webseite der Botschaftsangehörigen weist "Pirate Bay" und "Piratbyrån" (Die "Piratenpartei" Schwedens, die der politische Arm von Pirate Bay sein will) als Sponsoren und intellektuelle Impulsgeber aus. Ihr vorrangiges Ziel ist es, diese Losung unter das Netz-Volk zu bringen: Das Internet ist keine virtuelle Entität, die mit dem realen Leben der Netizens nichts zu tun hat. Das Internet ist vielmehr ein Bündel von Netzwerken, die sich in ihren Nutzern materialisieren.

Wir kommen aus den "Internetzen"

Darum sprechen die Embassadoren halb spöttisch, halb ernst gemeint vom "Internets", einem singularisch gebrauchten Plural des Netzes, den es nicht gibt. Angeblich hat George W. Bush diesen falschen Begriff aufgebracht und peinlicherweise gleich mehrfach verwandt. Den präsidialen Fauxpas assimilierte The Pirate Bay. "Sorgt euch nicht!" hatten die Piraten am Morgen nach dem Urteil auf ihre Startseite geschrieben, "Wir kommen aus den Internetzen. Alles wird gut." Womit gesagt war, dass man trotz Verbot und Strafe immer Lösungen zur Umgehung von Sperren finden werde.

Denn, so war im Blog-Eintrag der Betreiber an diesem Tag zu lesen: "Wir sind jetzt noch sicherer, dass das, was wir tun, richtig ist. Millionen von Nutzern beweisen es. Sagt es laut und sagt es stolz: Wir sind The Pirate Bay!" Gesetzgebung und Lobbyisten versuchten, mit immer härteren Restriktionen ein System zu stützen, das längst im Einsturz begriffen sei. "Das Internet", sagen die Piraten, "ist kein Ort. Es ist eine Methode." Gemeint ist unter anderem die technisch ausgefeilte Methode der Umverteilung und Flächenstreuung urheberrechtlich geschützter Werke, für die Pirate Bay steht.

Unverhohlener Hohn

Tatsächlich ist etwas Grundlegendes passiert. Die Welt dieser Digital-Piraten ist eine andere, und sie kommt aus einem nicht freundlich gesinnten Paralleluniversum. Man kann nicht mehr sagen, dass ein Graben die Weltwahrnehmungen der Urheberrechtsvertreter und der Rechtsprechung auf der einen Seite und die der anarchischen Gesetzesbrecher auf der anderen Seite trennt. Nein, man muss inzwischen von zwei kulturellen Hemisphären ausgehen, die völlig unterschiedliche Werte und Ordnungen vertreten - und die sich nichts mehr zu sagen haben. Nicht einmal mehr auf höchstrichterliche Anordnung.

Während die analoge Welt, die Welt der Richter und Kläger von den Piraten zur Welt des Ancien Regimes erklärt wird, folgen sie angeblich den reinen Ideen, dem ursprünglichen Geist des Netzes und der wahren Bestimmung von Gesellschaft. Das ist - und hier liegt der Grund für den unverhohlenen Hohn - ein politisiertes Bild von Technik, das zu erfassen vorerst nur dem Zirkel der Netizens gelingt. Wir erleben erstmals die Selbsterhebung einer Elite des Netzes.

Ausschwärmen, verändern und teilen

Der jüngste Coup der Botschafter dieses neuen Webgeistes: Sie wollen nicht mehr nur die abstrakte politische Interessenvertretung für "die Freiheit im Internet" sein, sondern auch eine handfeste Kunstinitiative. So bemühen sich die Piratenbotschafter gerade darum, offiziell einen Beitrag für den Internet-Pavillion auf der diesjährigen Kunstbiennale in Venedig leisten zu dürfen. Die Idee: Das im Internet verbreitete Schnittmuster einer Pyramide wird von der Community überall auf der Welt ausgedruckt, gebastelt und aufgestellt. Das Motto: "Unsere Botschaft materialisiert sich überall. Wir materialisieren das Internet. Nur uns gelingt das Abenteuer auszuschwärmen, zu verändern und zu teilen."

Kaum zu glauben, dass diese Kunstanstrengung in Venedig verfangen wird. Italien hat "The Pirate Bay" bislang schärfstens verfolgt, geblockt, ja sogar die Eingaben italienischer Nutzer auf die Seiten der Musikindustrie umgeleitet. Schwer vorstellbar also, dass man am Lido den Wolf unter den Raubkopier-Seiten nun im Schafspelz des bramabarsierenden Künstlers dulden möchte. Die erwartbare Ablehnung aber dürften die Piratenbotschafter als Bestätigung begreifen - für ihre These vom alten System, das noch im Untergang unverbesserlich bleibt.

© SZ vom 14.5.2009/bey - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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