Art Basel: Kunst in Miami:"Picasso... Der konnte ja kaum malen"

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Auf der Art Basel in Miami Beach findet man die Glücklichen, für die Kunst das Wild ihrer Jagd nach Leben ist.

Jörg Häntzschel

Miami Beach, Ecke Collins Avenue und 18th Street: So wird die Zukunft aussehen. Die nahe Zukunft, wenn Geld in einen gasförmigen Zustand übergegangen ist, wenn Wohnort oder Herkunft nur noch Fußnoten sind, und einer aus Moskau hier genauso zu Hause ist wie einer aus Zürich oder Shanghai. Wenn Arbeit nur noch eine Option von vielen ist und die einzige Antwort auf die Frage nach dem Beruf "alles mögliche". Wenn Intelligenz und Bildung ersetzt sind durch ein profundes sich-Auskennen.

Vernissage bei der Art Basel Miami. (Foto: Foto: ap)

Wenn die Frauen wie eingewachsen scheinen in kostbare Designermode und die Männer nie etwas anderes tragen als den selben legeren Geld-Chic. So wird es sein, zumindest für die paar Zehntausend Mitglieder einer neuen globalen Oberklasse, einen neuen stammbaumlosen Welt-Adel, der in ständiger Bewegung rund um den Globus tourt, mit Milliarden Namenloser, die in Schattenzonen das Bruttosozialprodukt erschuften. Wo die paar Zehntausend sind, ist die Welthauptstadt. Noch bis zum Montag sind sie auf der Art Basel in Miami Beach.

2002 wagte die Kunstmesse Art Basel das riskante Experiment, einen Ableger in der künstlerisch völlig unbeleckten Strand-Stadt Miami zu etablieren. Wie genial diese Idee war, konnte jeder selbst erleben. Ein champagnertrunkener Abend inmitten der Poollandschaften, die teils Open-Air-Boudoir sind, teils Klein-Versailles, teils Opernbühne, und man will sofort wiederkommen. Doch dann geriet das Experiment außer Kontrolle. Sechs Jahre später fallen die 40 000 Gäste über Miami her wie eine Besatzungsarmee. Sie verschlingen die Stadt, stellen alles auf den Kopf und lassen nichts zurück außer Berge von Dollars.

"Schau mal, die beiden Frauen da, die haben ja fast nichts an! Dass die in der eisigen Halle nicht frieren!" - "Denen ist nicht kalt. Die kommen aus Russland."

Die Kunst selbst spielt hier eine paradoxe Rolle. Das Interesse an ihr und die Kenntnis vieler der Sammler sind authentisch, und doch ist eine merkwürdige Überhitztheit nicht zu übersehen. Man kann es nur mit der Jagd vergleichen. Das Reh ist nichts für den Jäger, doch wenn er es vor seiner Flinte hat, lässt es sein Herz schlagen wie das eines jungen Verliebten. Den Boutiquenluxus vom Fließband hat man hier ohnehin.

Kunst aber, diese knappe Ressource, deren Wert täglich neu ausgehandelt wird, hat das ersetzt, was den Monarchen früher kostbare Teppiche, Elfenbeinschnitzereien oder Murano-Glas waren: Nur zählt nicht mehr die Fertigkeit, sondern die Idee. Kontrovers - gut! Schockierend - ja, natürlich! Muss ja sein! Die Zeiten, als die Sammler Bilder nach der Farbe ihres Sofas auswählten, sind lange vorbei. Alles Politische wird in dieser Kalkulation neutralisiert.

Einer der Stars der Messe ist Christoph Büchels "Training Ground for Training Ground for Democracy" bei Hauser & Wirth, eine im Müll fast untergehende Arbeit auf und um einen großen Schiffscontainer, samt Propaganda-Videos für den Kinder-Jihad, Pizzaresten, Armeeuniformen für Säuglinge und den Original-Wahlmaschinen, mit denen in Broward County, Florida, George Bush Präsident wurde. Die Flick-Collection hat sie erworben, demnächst wird sie nach Berlin verschifft, bis zur letzten Marshmallow-Tüte.

Dann verschwindet die Kunst abendelang völlig vom Radar. Die Beine, die Busen, die Haare, die Hände, die nackten Füße bieten einen unterhaltsameren Anblick als die tollste Skulptur. Und der Alkohol genügt, um die Parties in Schwung zu halten. Dann kommt Iggy Pop und spielt am Strand mit den Stooges. Dann tritt Coco Rosie auf. Und dort ist Lucy Liu, und das ist doch Lou Reed! Und dennoch ginge hier nichts ohne den kollektiven, hysterischen Ausbruch der Kunstbegeisterung. Der Ennui der Globalelite, die sich früher an der Riviera sonnte, die in St. Moritz Ski fährt oder zum Grand Prix nach Monaco reist, ist hier wie weggeblasen. Anders als bei Opernpremieren findet sie in der Kunst nicht nur das Ebenbild ihres eigenen Luxuslebens, sondern auch dessen Gegenprinzip. Und das ist der größte Luxus und der einzige Ausweg aus der Monotonie des Fünf-Sterne-Lebens, den man für Geld kaufen kann.

"Was machst Du denn hier?" - "Das selbe wie Du." - "Da wäre ich mir nicht so sicher. - "Wie schön!"

Was als ein mit Schweizer Präzision und Eleganz durchkomponiertes Programm begann. Ist zu einem Dschungel von Events angeschwollen, in dem sich auch der Härteste verliert. Erst gab es die Messe, dann kamen zwei Alternativmessen hinzu. Dieses Jahr sind es 21 Messen, und jede hat ihre eigene Party, ihre eigene VIP-Lounge, ihr eigenes Beiprogramm. Noch vor zwei Jahren konnte Messechef Sam Keller seinen Zorn über die drohende Verläpperung der Messe kaum im Zaum halten. Nun, auf der letzten von ihm organisierten Art Basel, hat er kapituliert und begrüßt zähneknirschend die Konkurrenz.

Je tiefer man sich in die Hallen, Zelte und ihre endlosen Reihen von Galerien-Ständen hineinarbeitet, desto weiter entfernt man sich von den etablierten Topoi und Diskursen der zeitgenössischen Kunst, und desto tiefer dringt man in die Welt der persönlichen Bizarrheiten ein. Eric Doeringer auf der Pulse kann überzeugend beschreiben, warum seine 200-Dollar-Kopien von Tracey Emins, Damien Hirsts, Richard Princes oder Kara Walkers, so erfolgreich sind: "Sie sind billig, man kann sie gut mitnehmen. Sie bedienen ein unterschiedliches Marktsegment." Doch was ist mit Sumiko Nogi, der auf seinem Stand bei der Geisai Miami wie ein Buddha hinter einer Stange mit lauter Schals sitzt, auf die er Plastikbusen genäht hat? Und was mit Kristin Posehn, die Cornflakesschachteln mit Graffiti von Autobahnbrücken in der Region San Francisco bedruckt hat?

Das unkontrollierte Wachstum griff indes auf Branchen jenseits der Kunst über: Mittlerweile gibt es keinen Luxuskonzern mehr, der nicht auf dem Trittbrett der Art Basel mitfahren würde. Zigarren und Privatflugzeuganteile, Luxus-Eigentumswohnungen und Finanzdienste, Cognac und Wasserstoffautos - sie alle wollen dabei sein auf dem schönsten Bazar der Welt. Neuer Gipfel der Schamlosigkeit: der Cartier-"Dom", ein mit Samt ausgeschlagenes Allerheiligstes des Industrieschmucks.

Es gibt vier Gruppen unter den Besuchern. Die Schönen, die Reichen, die Händler und die Beobachter. Die Künstlerin Jennifer Dalton nahm eine andere Einteilung vor. Bei der Eröffnung verteilte sie zweierlei Armbänder an die Besucher: "I'd rather be hot" stand auf dem einen, "I'd rather be rich" auf dem anderen. Man riss sie ihr aus den Händen. In Wahrheit aber gibt es hier nur eine Gruppe: die VIPs. Wenn nicht Platin, dann First Choice, wenn nicht Gold, dann immerhin All Areas. Auf der VIP-Gästeliste für die Party, die Lenny Kravitz im von ihm designten "Florida Room" schmiss, standen 1900 Namen. Der Raum fasste 160 Personen.

"Na, schon geshoppt hier?" - ""Nein, noch nicht. Es war hart genug, heute morgen aufzustehen."

Seit Jahren geht die Furcht um vor dem Einbrechen des überhitzten Kunstmarkts. Doch seitdem die Käufer bei den New Yorker Auktionen im November Amerikas Kreditkrise, seine stotternde Konjunktur und die Dollarschwäche ignorierten, ist die Sorge wie weggeblasen. Der Kollaps ist ein Insiderwitz geworden. Der Künstler William Powhide hat den Schrecken vollends durch Ironie gebannt, mit einer gemalten, fiktiven Titelseite des Art Newspaper, auf der von dem Crash im Stile des Katastrophenjournalismus berichtet wird. Am besten gingen an den ersten Tagen der Messe die ganz großen, ganz teuren Stücke. "Es gibt viele Leute, die private Museen haben. Sie lieben diese Arbeiten."

Im Steingarten vor einem kleinen Hotel am Rande der Straße, die die Luxusinseln der Biscayne Bay verbindet wie ein Perlenkette, steht wie sein eigenes Denkmal ein dünner Mann in cremefarbenem Anzug und schwarz-weißen Schuhen. Es ist Tom Wolfe. Freundlich beginnt er zu schimpfen: "Für die Leute hier beginnt Kunst ja erst mit Warhol. Was Älteres kennen sie nicht." Und die Picassos, gleich am Eingang? "Picasso... Der konnte ja kaum malen. Bei ihm sehen Finger immer aus wie Spargel." Und die Messe selbst? "It's the end of capitalism as we know it."

© SZ vom 08./09.12.2007/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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