ARD: Neues Volksmusikformat:Bollywood für Betagte

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Die Schlagerette soll es richten: Von einem fiktiven Stadl mit neuem Anstrich verspricht sich die ARD wieder mehr und jüngeres Volksmusikpublikum.

Katharina Riehl

Lieber Andy Borg, man kann es nicht jedem recht machen. Doch Du machst Deine Sache spitze. Bitte behalte Deinen kindischen Humor, denn das kommt bei den Kindern gut an, und die sind die Zuschauer von morgen.

Süßliche Idylle, die nur noch Uschis sehen wollen: Die Volksmusik-Formate haben immer weniger und immer ältere Zuschauer. (Foto: Foto: dpa)

Uschi aus Ingolstadt ist wahrscheinlich weder Medienwissenschaftlerin noch Programmdirektorin. Und trotzdem trifft ihre Liebeserklärung (sie schrieb ins "Stadlbuch" auf musikantenstadl.tv) an den ARD-Volksmusikmoderator Andy Borg ("Musikantenstadl") den Kern eines Problems, mit dem sich auch der künftige ARD-Programmchef Volker Herres auseinandersetzen muss: Die Zuschauer im gebührenfinanzierten Rundfunk werden immer älter, fast ausschließlich Menschen im Rentenalter schalten ein, wenn samstags bei Florian Silbereisen ("Die Feste der Volksmusik") und Carmen Nebel ("Willkommen bei Carmen Nebel") zum Hmpftata aufgespielt wird.

1992 waren 58 Prozent des Musikantenstadls jünger als 65 Jahre, 2008 sind es noch 29 Prozent, und nur sieben Prozent sind unter 49 Jahren. Da braucht man nicht viel mathematisches Verständnis, um zu vermuten, dass es sich in den nächsten 20 Jahren ausgestadlt haben wird, dass die Zielgruppe der Volksmusikprogramme im Sinne des Wortes ausstirbt oder in einem winzigen neuen Pay-TV-Fenster verschwindet.

ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut hat bereits 2007 zwei seiner Volksmusikshows gestrichen. Marianne und Michael, Deutschlands bekanntestes Musikantenpaar, sind deshalb nicht mehr auf Sendung. Und auch die ARD hat ihr Angebot deutlich zurückgefahren. Alle Montagssendungen wurden eingestellt, das Erste probiert trotzdem Neues.

So läuft an diesem Samstag erstmals "Das Musikhotel am Wolfgangsee", eine sogenannte Schlagerette. Das ist ein Film, in dem die Figuren unvermittelt zu singen anfangen. Das erinnert an Roy Black und Anita, an "Schön ist es, auf der Welt zu sein", an weichgespültes Wohlfühlgebimmel.

"Die Shows holen keinen ab"

Dass man damit kaum jugendliches Publikum gewinnt, weiß auch Bernhard Möllmann, Pressesprecher der ARD beim Programmdirektor. Trotzdem hält er das absehbare Aussterben der Volksmusiksendungen nur für eine Prognose. "Wer weiß", sagt er, "vielleicht ändert man mit zunehmendem Alter seinen Musikgeschmack."

Das klingt nicht sehr wahrscheinlich, andererseits stimmt es natürlich, dass das Ende der volkstümlichen Musik schon früher eingeläutet wurde. Rock und Pop gab es auch vor vierzig Jahren schon, doch trotz der Rolling Stones, der Beatles und der 68er konnte das deutsche Heimatgedudel damals Menschen um die 20 begeistern - das sind jene, die den Silbereisens und Borgs heute noch stabilen Zuspruch garantieren.

Glaubt man Nils Grosch vom Deutschen Volksliedarchiv der Uni Freiburg, liegt das abnehmende Interesse an Volksmusiksendungen nicht an einer generellen Veränderung des Musikgeschmacks. "Der deutsche Schlager ist nicht vom Aussterben bedroht, in der Plattenindustrie wird durchaus noch Geld damit gemacht", sagt Grosch.

Es liege vielmehr an den versteinerten Konzepten der Shows. Da würden zehn Jahre alte Repertoires gespielt, die Stadl, Heiden und Zauberberge sind gezielt und ausschließlich auf das ältere Stammpublikum zugeschnitten. "Diese Shows sind auf eine Art inszeniert, die einfach niemanden mehr abholt. Wo wird denn heute noch gemeinsam gesungen?" In Karaoke-Bars zum Beispiel, von den Jungen, aber das ist eine andere Geschichte.

Der Blick ins Internet scheint Grosch recht zu geben. Auf dem Musikportal musicload sei Schlager das Genre, das nach Pop am meisten von Kunden gesucht und gekauft werde, sagt die Sprecherin des Portals, Lisa Machnig. "Der erfolgreichste Digital-Hit in fünf Jahren Musikload war DJ Ötzis Titel "Ein Stern, der deinen Namen trägt"." Deswegen ist Machnig, die aus Bonn arbeitet, überzeugt, dass die Zeit des Schlagers nicht vorüber sei.

Möglicherweise wäre also die Volksmusik für ARD und ZDF zu retten, in zeitgemäßer Präsentation. Eine Schlagerette ist das sicher nicht. Sie bedient einen Retro-Geschmack, der bestenfalls bewirkt, dass sich die Alten jung fühlen. Die Uschis alleine werden auf Dauer nicht reichen, um Volksmusik bei ARD oder ZDF mit einer ausreichenden Quote zu versorgen.

Das Musikhotel am Wolfgangsee, ARD, Samstag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 18./19.10.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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