Architektur in Los Angeles:Fun aus dem Edelstahlbad

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So wie Frank Gehry mit seinem Guggenheim-Museum die verkommene Hafengegend im nordspanischen Bilbao wiederbelebt hat, so soll sein Konzertsaal nun die verödete Downtown aus dem Koma retten.

(SZ vom 24.10.2003) So aggressiv wurde wohl selten ein neues Gebäude verkauft. An die 800 Journalisten wurden diese Woche zur Eröffnung der Walt Disney Concert Hall nach Los Angeles geflogen, in Bussen durch die verstopfte Stadt gekarrt, mit Kühlschrankmagneten beschenkt und zu jeder noch so abgelegenen Kulturattraktion geschleppt, die Amerikas zweitgrößte Stadt zu bieten hat. Nicht eine Eröffnungsgala gab es, sondern drei. Doch der eigentliche Star ist das Gebäude. Obwohl der Konzertsaal erst am Wochenende der Öffentlichkeit übergeben wurde, laufen dessen Bilder schon seit Monaten durch die amerikanische Presse.

Wecken aus dem Koma

Die Absicht hinter dem riesigen PR-Feldzug ist klar: So wie Gehry mit seinem Guggenheim-Museum die verkommene Hafengegend im nordspanischen Bilbao wiederbelebt hat, so soll Gehrys pulsender Klangkörper nun helfen, die verödete Downtown aus dem Koma zu retten. L.A., als Kulturstadt bisher allenfalls für Witze snobistischer Ostküstler gut, will sich auf die Landkarte des internationalen Kultur-Boutiquen-Restaurant-Tourismus eintragen und hofft, nebenbei die versprengte eigene Bürgerschaft zum großen Miteinander zu bewegen.

Dabei erwachte die große Begeisterung für die glitzernde Knospe erst in letzter Minute. Erst 1999, nachdem das Bilbao mutig vorgemacht hatte, wie Architektur zugunsten von globaler Präsenz und lokaler Ökonomie zu nutzen sei, fand sich in L.A. das Geld, um den über die Tiefgarage nicht hinausgekommenen Bau fertigzustellen. Und Gehry sollte statt Stein, wie ursprünglich vorgesehen, nun doch bitte wenigstens Edelstahl verwenden; Titan war zu teuer.

Glückwünsche für den gealterten Bär

Gehry, der als einheimischer Outsider an dem Wettbewerb teilnahm, etliche Male abgebügelt und brüskiert wurde und nur auf Betreiben der Hauptsponsorin Lillian Disney zum Zuge kam - mit dem Disney-Konzern hat die Halle aber nichts zu tun - lässt den Rummel über sich ergehen. Gutgelaunt schüttelt er auf der Bühne Hände: ein etwas müder, aber bestens gealterter Bär in einem extravaganten schwarzen Crepe-Anzug und giftig blauem Eishockey-T-Shirt.

Natürlich ist er glücklich: Nicht nur, weil er, der seit den vierziger Jahren in L.A. wohnt, nun auch in seiner Wahlheimat ein Gebäude bauen durfte, sondern auch, weil sich das klaffende Loch in seiner Werkgeschichte jetzt schließt. Die Disney Concert Hall war das erste Gebäude, mit dem Gehry den kruden Sperrholz-und-Lochblech-Stil seines Privathauses und seine kurzlebigen Versuche mit einer ultrarobusten Hochsicherheitsästhetik hinter sich gelassen und mit Hilfe seiner Software CATIA seinen Schwerkraft und Statik überwindenden Stil erfunden hat, der eine eigene Schule der Gegenwartsarchitektur konstituiert, deren einziger Vertreter freilich er selbst ist.

Gut im Geschäft

Wohl genau aus letzterem Grund ist Gehry mit 74 Jahren erfolgreicher denn je. Nach Jahrzehnten, in denen die Aufträge tröpfelten, kann er sich heute kaum retten vor Arbeit. Andere Architekten krebsen seit dem 11. September am Rande der Pleite entlang, Gehry beschäftigt nach wie vor 120 Mitarbeiter und kann sich die Projekte aussuchen. Zur Zeit sind weltweit 30 im Bau oder in Planung, darunter Museen in Jerusalem, Herford, Ontario, ein Bürohaus in New York, eine Bibliothek für die Universität Princeton und ein Wohnbau an der englischen Kanalküste in Brighton. Eine von zwei Nächten verbringt er im Hotel.

Sichtlich erledigt lässt sich Gehry in eines der blauen Ledersofas in den Wandelgängen der Konzerthalle fallen. "Zum ersten Mal geht mir ein bisschen die Puste aus. Gestern die Eröffnungsparty - ich konnte einfach nicht mehr." Doch ansonsten erleichtere ihm sein Alter die späte Karriere: "Ich kenne meine Unsicherheiten und weiß damit umzugehen. Es gibt soviel... Bullshit. Den brauche ich mir nicht mehr anzutun." Bullshit, das dürfte für Gehry wohl auch die Kritik sein, die mit jedem fertiggestellten Projekt lauter wird.

Eine Architektur in Bestlaune

Es sind nicht so sehr die süffisanten Kommentare reaktionärer Mauler, die die ganze Geschichte der ästhetischen Moderne mit begleitet haben: Seine Konzerthalle sehe aus wie "zerfetzte, verregnete Pappschachteln, die jemand silbern besprüht hat", meinte die L.A. Times. Es sind eher die eigenen Geistesverwandten, die ihm zu schaffen machen würden, wäre er jünger. Gehry, das ist unübersehbar, liefert Fun aus dem Edelstahlbad, eine Architektur in Bestlaune, deren faszinierende Formen darüber hinwegtäuschen, dass sie der Vergangenheit keine Fragen stellt und wenig Antworten für die Zukunft gibt. Es ist Radikalität für diejenigen, die der Maßregelei und Arroganz der modernen Architektur überdrüssig sind und sich in ihrer Sehnsucht nach soliden Werten durch deren Spröde verletzt fühlen, aber Prätention ebenso ablehnen.

Keine Angst vor Klischees

"Meine Gebäude sollen locker und informell sein. Ich will sie auf keinen Fall edel." Doch die demokratischen Verhältnisse im Inneren - in der Concert Hall gibt es keine exklusiven Logen, jeder Platz bietet beste Sicht - ändern nichts daran, dass seine Fassadenkunst das Gebäude zu einem skulpturalen Ganzen zusammen- und nach oben zieht, das gerade jene Erhabenheit bietet, die Gehry so von sich weist. Doch es gibt noch ein anderes Problem. Gehry entwickelt sich kaum weiter. Mehr als jeder andere Architekt ist er zu einer Marke geworden, deren charakteristische Erkennungsmerkmale, wie die aller guten Marken, die Qualitäten des einzelnen Produkts überstrahlen. Fürchtet er, zu einem Klischee zu werden? "Nein. - Mies van der Rohe hat auch immer dieselben Formen und Materialien verwendet."

Der Unterschied ist nur, dass Mies an der einen Lösung festhielt, weil er sie für die beste hielt, während Gehry, weil seine Formensprache nichts Zwingendes hat, im Verdacht steht, seine Metalleruptionen zu wiederholen, weil sie eben so gut ankommen. Er ist wie der Mann, der immer denselben Witz erzählt, nur weil sich die Leute beim ersten Mal schüttelten. Das ist die Kehrseite seiner Freiheit.

Mediale Strategien sind nicht das Konzept

Mit dem Guggenheim in Bilbao hat Gehry, ohne es zu beabsichtigen, das erste Gebäude für das Medienzeitalter geschaffen. Die reale Fassade beeindruckt die Passanten, ihre mediale Verdoppelung fasziniert die Fernsehzuschauer und Zeitschriftenblätterer und beschert ihm und dem Hausherren eine Einschaltquote, die der Live-Auftritt des Gebäudes nie erreichen könnte. Gehry ist nicht wohl dabei: "Wenn es nur das ist, was die Leute wollen, lehne ich den Auftrag ab. Ich bin viel zu sehr jüdischer, linker, humanistischer Gutmensch, um da nicht Skrupel zu bekommen."

In Gehrys Studio, einer unscheinbaren Blechhalle, ist von cleveren medialen Strategien tatsächlich nichts zu spüren. Während es bei Norman Foster in London aussieht wie in einer Investmentbank und bei Rem Koolhaas wie in der Redaktion einer Kunstzeitschrift, wird in Gehrys Halle vor allem gebastelt. Gehry kritzelt Striche zu Knäuels und Strängen aufs Papier, die Mitarbeiter machen mit Pappe, Blech und Draht Modell für Modell daraus, erst dann tritt CATIA in Aktion. Vielleicht liegt das Geheimnis der medialen Präsenz am Ende doch einfach in der physischen Präsenz. Es ist wie bei den echten Stars: Die Kamera liebt sie.

© VON JÖRG HÄNTZSCHEL - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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