Architektur:Die Villa zur Macht

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Ja, Dekonstruktivisten können großbürgerliche Häuser bauen - Daniel Libeskind zeigt es uns auf Mallorca.

Vor ungefähr dreißig Jahren deuteten ein paar junge Architekten, denen man später den Namen Dekonstruktivisten gab, auf die Zufallshäuser entlang der Peripherieautobahnen und auf Vorstadt-Piazzas, an denen statt Kirchturm und Rathaus nun Supermärkte, Baucenter und gigantische Parkflächen wildwuchsen. Dies ist die wahre Realität unserer Städte, sagten sie. Und um diesen öden Baubrei werden wir uns jetzt kümmern! Die Menschen blickten auf die Explosionszeichnungen dieser jungen Wilden und erschraken. Die anderen Architekten erschraken noch viel mehr und träumten gleich noch viel intensiver von Idealstädten mit Idealplätzen und Idealbrunnen. Von Häusern, die mit Zacken und Spitzwinkeln Unruhe und Unsicherheit abbilden, wollte niemand etwas wissen. Heute haben die Avantgardisten von damals ihren Anteil an der Gegenwart erobert: Überall bauen sie schrille, schräge und manchmal schöne Kinos, Museen und Fabriken - aber keine Villen.

Die Villa ist ein Symbol des Eskapismus. Selbst in seiner maximalen brutalistischen Ausprägung haftet dieser Art von Zuhause etwas Großbürgerliches an. Wer so viel Geld hat, dass er sich eine Villa leisten kann, will die gefährliche, unwirtliche Außenwelt jederzeit beiseite schieben können anstatt daheim über asymmetrische Treppenstufen zu stolpern oder sich in Piranesi-haften Labyrinthen zu verlaufen. Aber diese Architekten, wie gesagt, wollten gar keine Villa bauen: Coop Himmelb(l)au erklärten sie für eine nicht mit städtischer Dichte verträgliche Wohnart. Sie riefen stattdessen das Penthouse als die bessere Villa aus. Bernard Tschumi zeichnete einmal ein ganz und gar gläsernes Exemplar, das als Prototyp für den Begriff Un-private House gedient haben könnte. Trotzdem entstanden Ideen wie Zaha Hadids Entwurf einer spiral villa oder Daniel Libeskinds virtual villa. Warum diese Häuser ungebaut blieben? Vielleicht, weil niemand in einem Manifest leben will.

Frank Gehry löste das Problem einst, indem er selbst zum Bauherrn wurde. Gegen den Furor der Nachbarschaft gab er 1978 einem Annex seines Wohnhauses in Malibu die nie gesehenen Formen, die später sein Markenzeichen wurden. Auch Steven Holl und Morphosis bauten in Amerika single family homes mit Kipp-Faktor, die in Europa undenkbar waren. Auf dem alten Kontinent indes gelang Rem Koolhaas 1998, was seine Kollegen nie wollten: die Verschmelzung ihrer vibrierenden oder ironischen Ideen mit der Eleganz, eine smarte Melange aus Luxus und Baumarkt. Sein geniales Haus in Bordeaux, für einen im Rollstuhl sitzenden Zeitungsverleger quasi manufakturiert, sieht wie ein Weltkriegsbunker aus, der auf einem Bergkristall gelandet ist. Instabilitätsmetaphern haben ihren Ankerplatz, aber vor allem setzte das schwebende Schmuckstück mit filigraner Rohheit den Maßstab für eine neue Klassik auf den Spuren Le Corbusiers.

Weniger Glück hatte Koolhaas ein Jahr später. Es brachte ihm ein ziemlich zwanghaftes Arbeitsverhältnis mit einem Mann ein, der ein Haus wünschte, das dem damals befürchteten Jahr-2000-Fehler widerstehen würde. Je näher das Datum rückte, desto neurotischer wurden die Ideen des Auftraggebers und desto klaustrophobischer die verwinkelten Wohnzellen. Koolhaas stieg schließlich aus dem Projekt aus, aber nicht ohne die Story des gescheiterten Y2K-Haus zu dokumentieren.

Wie man sieht, entscheiden über das Scheitern oder Gelingen dekonstruktivistischer Villen subtile psychologische Momente und ganz besondere Bauherren. Die Projekte sind entweder radikal exhibitionistisch oder radikal hermetisch. Der Begriff herkömmlicher Schönheit spielt keine große Rolle. Politisch-ästhetische Angriffe auf Sehgewohnheiten sind Bedingung. Anders als die großbürgerlichen Unterstützer von Le Corbusier oder Mies van der Rohe, der schon mal als Raumteiler eine Onyxwand im Wert eines Reihenhauses verbaute, muss der Besitzer einer dekonstruktivistischen Villa ständige Beunruhigung durch Billigmaterial, drohende Zacken, gefährliche Schrägen ertragen. So verstellte Koolhaas Anfang der neunziger Jahre den Blick auf den Eiffelturm vom Dach seiner Villa Dall'Ava bei Paris mit einem Stück orangen Plastikzaun.

Und jetzt hat also Daniel Libeskind eine Villa fertiggestellt - auf Mallorca, Port d'Andratx. Von gegenüber sieht man einen unbestimmbaren weißen Block im Hang lauern. Es geht die Uferstraße hoch. Dann, ein gutes Stück unterhalb der Promi-Fincas, kurvt plötzlich eine mächtige und schiefe, weiß gestrichene Gussbetonwand vor und zurück. Das Haus verschließt sich vor der Straße, vor der Bucht, vor der Sonne. Fast so, als wolle es seinen Bewohnern den Anblick der Gegenküste ersparen, wo die Developer Reihenferieneigenheime in den Hügel gezwungen haben. Von der Seite sieht Libeskinds Mauerfront wie ein schwankendes Schiff aus. Die Mauer hat keine Fenster, nur ein Lichtband und einige Libeskind-typische Einschnitte. Dieses Haus ist vom ersten Blick an so völlig anders als die neorustikalen Palacios, die es umgeben. Das ist keine Villa, sondern die Negation der Villa. Repräsentative Elemente fehlen. Alles, Boden, Wände, Decken und Treppen, ist aus Beton. Keine Anmut, nirgends.

Fünf Jahre hat es gedauert, dieses kleine Opus zu vollenden, an dem der Architekt parallel zu seinen Großprojekten arbeitete. Die Bauherrin, die seit 30 Jahren auf Mallorca lebende amerikanische Künstlerin Barbara Weil, wollte eine Wohnung, die zugleich Studio, Lager und Showroom ist.

Libeskind ist sich mit dem komplexen und doch offenen Low-Budget-Bau treu geblieben. Gehäutet hat er sich dennoch. Statt des aggressiven Zickzack seiner Museen wird dieser erst vierte Libeskind-Bau aus den weichen Segmenten nicht konzentrischer Kreise gebildet, die auf die "Mnemonischen Wagenräder" des mittelalterlichen mallorquinischen Mystikers Ramon Llull zurückgehen. Das ist Regionalismus à la Libeskind. Den Architekten, der ohnehin komplizierteste Verknüpfungen der Vergangenheit mit der Gegenwart liebt, faszinierte an den Rädern das Sinnbild von den Gedanken-Inseln, die im Ozean der Erinnerung verschwinden und wiederauftauchen. Und die Tatsache, dass es bei vielen Kreisen viele Zentren gibt. Man gelangt in diesem Haus nie an ein Ziel. "You never arrive", sagt der Schöpfer. Tatsächlich fühlt man sich wie auf einer permanenten promenade architecturale. Ständig muss man überlegen, wie man von diesem Atelier in ein anderes kommt, das man durch Mauerschlitze oder Glasfronten gleichwohl schon lange sieht.

Am meisten überrascht der Innenhof, der mit großen weißen Steinbecken an die Playgrounds und Zen-Gärten des Künstlers und Landschaftsarchitekten Isamu Noguchi erinnert. Doch selbst dieser scheinbar ausbalancierte Ort ist weit davon entfernt, eine kontemplative Aura zu verbreiten. Das verhindern schon ein Maschendrahtzaun, rohe Industriegitter und die vielen Schrägen und schiefen Ebenen. Weil hat ihr sprödes Haus in enger Zusammenarbeit mit Libeskind entwickelt. Sie kann, wie sie sagt, hier gut arbeiten und frei atmen.

Eine Zeit lang sah es so aus, als ob erst die nächste Architektengeneration wieder dazu in der Lage wäre, richtige Villen zu bauen - unbelastet vom dekonstruktivistischen "Ungemütlich is beautiful"-Dogma. So baute Fernando Romero in seiner Heimat Mexiko ein Haus, das einige Merkmale des gescheiterten "Y2K" aufnahm, an dessen Entwicklung er mitgewirkt hatte - unter Auslassung der Problemzonen natürlich. Und Ben van Berkel, der bei Zaha Hadid studiert hat, gelang mit seinem Möbius-Haus vielleicht deshalb ein großer Wurf, weil er die formalen Aspekte der pragmatischen Frage unterordnete, wie die Bewohner ihr Haus nutzen wollen.

Aber nun, da Daniel Libeskind auf Mallorca sein sperriges Meisterwerk vorgestellt hat, interessiert es einen plötzlich auch wieder brennend, wie wohl die spiral villa von Zaha Hadid oder andere ungebaute Träume in Wirklichkeit aussehen würden.

ALEXANDER HOSCH

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