Anti-Europäer:Großraumdenken

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Claus Leggewie studiert in seinem Buch drei politisch kriminelle Freiheitsfeinde: Massenmörder Breivik, Eurasien-Denker Dugin und Dschihadist al-Suri. Was kann ein mutiges liberales Denken gegen sie tun?

Von Gustav Seibt

Die europäischen Gesellschaften sind derzeit von zwei Formen politischer Kriminalität bedroht, die beide mit den Mitteln der terroristischen Einschüchterung arbeiten, beide mit dem Ziel, Kriegszustände, mindestens Bürgerkriege anzufachen: einerseits dem islamistischen Terror, vor allem in den multikulturellen Großstädten, andererseits rechtsradikalen Anschlägen wie dem Massaker des Norwegers Anders Breivik oder der Mordserie des NSU gegen Einwanderer. Dazu gehören im weiteren Umfeld auch die massenhaften Übergriffe gegen Flüchtlingsheime überall in Europa. Dass diese Kräfte sich gegenseitig befeuern, ist evident und wird von politischen Nutznießern und kriminellen Akteuren durchaus gewollt. Der Aufstieg autoritärer Parteien und Regime quer durch den Kontinent, von Putin bis Le Pen, von Ungarn bis Polen grundiert eine antiliberale Szenerie von einschüchternder Fülle.

Gibt es Gemeinsamkeiten der Freiheitsfeinde, die sich untereinander so inbrünstig hassen? Das versucht ein Bändchen von Claus Leggewie zu klären, das sich der "Gegnerforschung" (Wolf Lepenies) widmet und drei Protagonisten, nämlich Anders Breivik, den "Eurasien"-Denker Alexander Dugin sowie Abu Musab al-Suri, einen wichtigen Vordenker und Akteur des Dschihad, vorstellt. Alle drei haben umfangreiche Schriften produziert, die Einblicke in ihre Gedankenwelt erlauben.

Ideologisch gehören dabei Breivik und Dugin in eine gemeinsame Traditionslinie, auch wenn Dugin, wie Leggewie hervorhebt, nicht zum Terror aufruft. Doch beide schöpfen aus dem Ideenvorrat der "Konservativen Revolution" mit ihrer Ablehnung von Individualismus, Konsumismus, Globalisierung und multikultureller Vermischung. Beide greifen auf religiöse Traditionslinien zurück, Breivik auf eine krude christliche Kreuzzugsideologie, Dugin auf russisch-orthodoxes Anti-Westlertum. Beide sind "identitär", sie wollen kulturelle und ethnische Verschiedenheiten aus den eigenen Gemeinschaften auf die Ebene der Weltgesellschaft zurückverlagern, also ins Planetarisch-Blockhafte.

Strukturell ähnelt solches Großraumdenken der islamistischen Weltkarte, die eine "Umma", als Gemeinschaft der Gläubigen, vom "Haus des Krieges", der Welt der Ungläubigen, abgrenzt und die Trennung aktiv herbeibomben will - jeder islamistische Anschlag macht das Leben für europäische Muslime schwieriger und bestätigt den Hass ihrer hiesigen identitären Feinde. Auch die Dschihadisten wollen nicht, dass Syrer nach Europa fliehen und so die islamische Gemeinschaft verlassen.

Es gilt neu nachzudenken über die Balance von Einheit und Vielheit

Noch bezeichnender sind die kulturellen Parallelen: Europäische Identitäre, Eurasier und Islamisten haben alle etwas gegen Globalisierung und "Dekadenz", gegen weltanschaulichen Relativismus, gegen individuellen Hedonismus, gegen die Infragestellung von Geschlechterrollen und sexuelle Ambivalenz. Dass europäische Rechte zuweilen auch mit der islamistischen Homophobie argumentieren, ist angesichts des allgemeinen Hasses gegen "Genderwahn" bestenfalls taktisch - man versucht, Minderheiten gegeneinander aufzuhetzen. Interessanter als die meist läppischen Argumente, die Leggewie referiert, ist das Klima in den Auslassungen seiner Gewährsleute. Auch hier finden sich viele Gemeinsamkeiten, der konstante Bezug auf Sakrales, die Paranoia von Verschwörungstheorien und Esoterik, absolute Feinderklärungen - es gibt keine Ausformung solcher Antiliberalität, die ohne rabiaten Antisemitismus auskommt.

Unglücklich ist der Haupttitel "Anti-Europäer". Breivik und Dugin haben ja durchaus Begriffe von Europa, auch wenn es nicht die der Europäischen Union sind. Wenn man den Brexit nicht nur als Unfall begreift, muss in Europa neu über die Balance von Einheit und Vielheit nachgedacht werden. Damit kommen Probleme in den Blick, die auch dann nicht vom Tisch sind, wenn man die Antworten der Identitären widerlegt hat. Auch die Schwierigkeiten von Einwanderungsgesellschaften oder einer entgrenzten Weltwirtschaft sind mit einem gutmütigen Lob der Vielfalt noch nicht gelöst. "Identitär" sind übrigens auch radikale Formen des politisch korrekten Identitätsaktivismus im Namen von unterdrückten Minderheiten. Mutiges liberales Denken müsste sich solchen untergründigen Verbindungen im scheinbar Unvereinbaren stellen.

Leggewies schnittig geschriebene Studie ist eine anregende Materialsammlung, allerdings eine stark ergänzungsbedürftige. Und es gibt etliche Unschärfen, die einem gebildeten Autor nicht unterlaufen sollten: So wenn er das Buch "Vom Kriege" von Clausewitz zu einer "Bekenntnisschrift von 1812" macht.

Claus Leggewie: Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri & Co. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 175 Seiten, 15,50 Euro.

© SZ vom 15.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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