Andres Veiel:Der Heiler

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Der Regisseur hat einen Film über Joseph Beuys gemacht - ausschließlich aus Archivmaterial. Ein Gespräch über die Aktualität des Künstlers und die Macht der Institutionen über die Bilder.

Interview von Martina Knoben

Es sind immer wieder politische - und sehr deutsche - Lebensgeschichten, die der Regisseur Andres Veiel in seinen Filmen erzählt. Seine Doku "Black Box BRD" ist einer der wichtigsten Filme über die RAF. In "Beuys", der an diesem Dienstag in Berlin Premiere hat, stellt er erstmals einen bildenden Künstler in den Mittelpunkt.

SZ: Sie haben sich in Ihren Arbeiten mit Terroristen, Bankern und Schauspielern beschäftigt. Wie passt Beuys in die Reihe ?

Andres Veiel: Joseph Beuys ist für mich ein politischer Künstler, der Ideenräume entwickelt hat, die mitten in die Gesellschaft hineinwirken wollten. Und gerade heute, wo Grenzen hochgezogen werden, wo wieder verstärkt gedacht wird in "Wir und die anderen", wollte ich einen Künstler in den Fokus rücken, der Politik nicht an andere delegiert, sondern sagt: Wir sind alle Künstler. Das heißt: Wir sind alle Gestalter dieser Welt.

Sie sind auf Beuys gekommen, als Sie über die Deutsche Bank und die Finanzkrise recherchiert haben?

Ich bin durch den Seiteneingang zu Beuys gekommen, nicht über seine Werke. 2008/2009 war ich in der großen Berliner Beuys-Ausstellung. Und eine seiner zentralen Thesen darin war, dass Geld kein Wirtschaftswert ist. Wenn Geld sich unreguliert aus sich selbst heraus vermehrt, losgelöst von der Produktion, führt es zu Blasen. Es fließt dahin, wo es den meisten Ertrag gibt. Und das führt zu Finanzkrisen. Beuys wurde natürlich ausgelacht - er, der kein Ökonom war. Aber ich fand, dass er in dem Punkt seiner Zeit voraus war, weil er Kreisläufe beschrieben hat, die bar jeder demokratischen Kontrolle dazu führen, dass gigantische Verluste sozialisiert und Gewinne privatisiert werden. Das ist genau die Situation der Finanzkrise, wenn Geldinstitute aufgefangen werden müssen.

Haben Sie Beuys da erst entdeckt, oder war er ohnehin eine Art Säulenheiliger?

Ich bin in einem Stuttgarter Vorort aufgewachsen, mit betonierten Garageneinfahrten und auf 1,20 Meter gestutzten Ligusterhecken. Da wäre jede Fettecke sofort beseitigt worden. Beuys war mit seinen Ideenräumen Sprengstoff. Er hat bewirkt, dass wir viel ausprobiert haben, dass wir selbst mit dem Bügeleisen auf Margarinewürfel und Farbe losgegangen sind und unsere Fettbilder gemacht haben, auch als Protest gegen die Aquarellbildchen, die wir im Kunstunterricht malen mussten. Er war nie ein Dogmatiker, der nur gepredigt hat, sondern er war wie ein Hase: Im entscheidenden Moment stand er schon wieder woanders und hat über sich selbst gelacht. Damit war er auch ein Antipode zur RAF und zur dogmatischen Linken, die mit ihrer Betonsprache eines immer als Erstes ausgetrieben haben: den Humor.

Das kommt im Film zur Sprache, wenn Beuys fragt: Wollen Sie eine Revolution ohne Lachen machen?

Mit seinem Humor hat Beuys viele Fronten unterminiert oder ist über sie hinweggeflogen. Das war eine Neuentdeckung für mich. Den Humor habe ich erst so richtig durch das Archivmaterial kennengelernt.

Andererseits spricht aus Beuys' Arbeiten auch eine große Trauer.

Sein Werk hat auch eine Schwere. Er hat seine Kunst aus seinen Verletzungen und der Überwindung seiner Verletzungen entwickelt. Er war im Zweiten Weltkrieg Wehrmachtsflieger und ist abgestürzt. Er hatte in den Fünfzigerjahren eine schwere Depression, auch mit Selbstmordgedanken. Ich glaube, dass er die Erfahrung, das überwunden zu haben, übertragen hat auf den kranken gesellschaftlichen Körper. In dem Sinne: Wenn ich es schaffe, mich aus diesen lebensbedrohlichen Krisen heraus zu entwickeln, mich zu heilen, dann muss es auch möglich sein, einen kranken gesellschaftlichen Körper zu heilen.

Ich habe den Eindruck, dass Beuys derjenige Ihrer Protagonisten ist, den Sie am wenigsten infrage stellen. Spricht auch sehr viel Andres Veiel aus der Figur Beuys?

Ich glaube nicht, dass der Film eine eindimensionale Hommage geworden ist. Durch das Archivmaterial kann man Beuys ziemlich unmittelbar erleben, jeder Zuschauer kann ein eigenes Verhältnis zu ihm aufbauen und soll das auch. Aber natürlich ist Beuys für mich auch ein Komplize geworden, in sehr vielem vertraut, obwohl ich ihn nie kennengelernt habe. Anders gesagt: Ich würde nie über einen anderen Künstler ein Porträt machen. Im Moment wüsste ich keinen anderen, der mich so reizen würde, dass ich drei Jahre meiner Lebenszeit mit ihm verbringen würde.

"Beuys" besteht ausschließlich aus Archivmaterial. Was hat Sie daran gereizt?

Ich bin ja erst mal den anderen Weg gegangen, habe Interviews mit Zeitzeugen geführt und in Museen gedreht. Man kann technisch heute unglaublich viel machen: mit einem Kran und einer halb fliegenden Kamera über die Werke hinwegschweben zum Beispiel. Die Zeitzeugen wollten wir schon früh zurückdrängen, wussten aber nicht, ob wir uns das erlauben können. Erst durch die Qualität des Archivmaterials wurde klar, dass wir damit sehr viel näher an die Figur Beuys herankommen. Und dann ist fast alles andere weggefallen. Dabei ist das Archivmaterial kein Hochglanzmaterial, im Gegenteil, es ist altes Videomaterial aus den Siebzigern und Achtzigern, zum Teil unscharf oder mit Lichteffekten. Und trotzdem hat dieses Material eine Aura, eine Intensität, dass wir uns immer mehr für das Archivmaterial entschieden haben und gegen jeden Nachdreh.

Sie sprechen von Aura. Sind Sie dem Schamanen in die Falle gegangen?

Das haben Sie gesagt (lacht).

Es war angeblich sehr schwierig, die Rechte für das Archivmaterial zu bekommen.

Es gibt immer Menschen, die das große Geschäft wittern. Es gibt aber auch Institutionen, darunter ein öffentlich-rechtlicher Sender, der mit einem Minutenpreis von 9000 Euro für Archivmaterial die Verwendung fast unmöglich gemacht hätte. Wir haben uns dann auf einen niedrigeren Preis geeinigt. Aber auch das Bundesarchiv verlangt Preise, die im dreistelligen Tausenderbereich liegen. Und das ist ein Politikum, weil es um Material aus dem Dritten Reich geht, für das die Rechte eigentlich abgelaufen sein sollten. Aber der Kameramann hat bis 1960 gelebt, damit ist es bis 2030 nur für Unsummen zu erhalten. Damit wird Material, das eigentlich public domain sein sollte, so wegverwaltet, dass es nicht verwendet werden kann.

Sie haben für Ihre Filme immer schon sehr viel recherchiert. Ist "Beuys" als reiner Archivfilm nun ein Endpunkt, nach dem etwas ganz anderes kommen muss?

Überhaupt nicht, in meinem Werk ist er ein wichtiger Baustein. Meine Arbeiten wachsen immer aus ungelösten Fragestellungen früherer Filme. Daraus entstehen neue Fragen, die das nächste Projekt antreiben. Die Fragen der Ökonomie, die mich seit "Black Box BRD" und Alfred Herrhausen beschäftigen, wurden indirekt aufgegriffen in "Der Kick", in der Recherche mit denjenigen, die ganz am Rande stehen in einem Dorf, aus dem die Politik sich zurückgezogen hat; danach bin ich in das Zentrum des Finanzwesens vorgedrungen mit dem Stück "Himbeerreich". Und die Frage nach der Bedeutung der Ökonomie spielt heute weiter eine entscheidende Rolle. Und da bin ich bei Beuys, damit müssen wir uns beschäftigen.

Kann Kunst die Welt verbessern?

Sie kann die richtigen Fragen stellen und Menschen innervieren, Dinge neu zu betrachten. Das Wichtigste ist dieser Impuls, sich nicht abzufinden. Also die Welt als eine veränderbare zu denken.

Als Reaktion auf Trump entstehen neue Formen des politischen Widerstands . Verbinden Sie Hoffnung damit?

Ja, ich erlebe um mich herum eine Welle von Repolitisierung. Das fängt bei meinem 18-jährigen Sohn an, der ein Abonnement der SZ abgeschlossen hat, ein Kind, das nie Zeitung gelesen hat! Wenn das kein Zeichen der Hoffnung ist!

Lässt sich diese Generation für einen Mann wie Beuys interessieren?

Er ist dieser Generation natürlich fern. Als ich meinem Sohn von meinem Film erzählte, war seine erste Reaktion: Wo bleiben die Girls? Ich habe ihm inzwischen etwas mehr darüber erzählt, und er kommt immerhin freiwillig zur Premiere. Dann wird sich zeigen, ob seine Reaktion nur sein wird: Papa, ich bin nicht eingeschlafen. Oder ob der Film mehr bei ihm auslöst. Ich hoffe natürlich auf Letzteres.

© SZ vom 14.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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