Amerikanische Kultur:Liebesgrüße aus Berlin

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Furchtbar, großmäulig, unwiderstehlich: Die Deutschen quält eine Hassliebe zur amerikanischen Kultur. Wir sind neidisch auf den lässigen Umgang mit dem Mainstream.

Andrian Kreye

Ein ganz einfacher Versuch. Man sollte sich eine der unzähligen Fassungen der patriotischen Hymne "America the Beautiful" anhören, die der Soulsänger Ray Charles eingespielt hat. Egal ob auf Platte oder als Internetvideo, nach knapp zweieinhalb Minuten setzt Ray Charles den Refrain als inbrünstigen Aufschrei über die mäandernden Mollakkorde der Streicher.

Unwiderstehlich für den Rest der Welt: Pop-Prinzessin küsst Pop-Queen. Der amerikanische Kulturbegriff unterscheidet nicht zwischen Hoch- und Massenkultur - gut ist, was gut ist. (Foto: Foto: ap)

Da klingt sein "America" wie der verzweifelte Ruf des Orpheus nach seiner Eurydike, und es wird einem klar, dass die Liebe zu Amerika nie nach europäischen Gesichtspunkten funktioniert hat. Es war auch für die Amerikaner schon immer ein zwiespältiges Verhältnis zu jenem Land, das Ray Charles dann schon einen Takt weiter als "die Wunderschöne" besingt.

Spätestens dann werden wir uns für den Schauer schämen, der uns über den Rücken läuft, weil Ray Charles so viel Seele in eine Empfindung legt, mit der wir in Europa viele schlechte Erfahrungen gemacht haben - die Liebe zu einem Land.

Wir Deutschen hatten es mit Amerika schon immer besonders schwer. Weil wir die Politik dort so furchtbar, die Gesellschaft so grausam und den Patriotismus so großmäulig fanden. Meist ist diese Hassliebe doch immer wieder in glühende Verehrung umgeschlagen. Und das hatte nichts mit der Politik, der Gesellschaft und dem Patriotismus dort zu tun.

Sicherlich wurde John F. Kennedy in Deutschland genau so leidenschaftlich verehrt wie in seiner amerikanischen Heimat. Nur darf man nicht vergessen, dass es bei seinem Auftritt in Berlin im Jahre 1963 um uns ging, nicht um Amerika. Mit seinem Satz "Ich bin ein Berliner" vollzog Kennedy einen Paradigmenwechsel, der aus einem Volk der Täter nach dem Mauerbau ein Volk der Opfer machte. Dafür sind wir ihm ewig dankbar.

Wettlauf um Moderne und Popkultur

Und weil in den USA am heutigen Dienstag gewählt wird, hoffen wir, dass "unser" Kandidat gewinnt, der Demokrat eben. Als ob unsere Begeisterung für Amerika jemals irgend etwas mit Politik zu tun gehabt hätte. Nein, die Kultur war es schon immer, das Land und der Geist, der dort herrscht, die uns so in ihren Bann schlagen konnten.

Da öffnet man nun die Tür für flaue Kalauer. Studierte man beispielsweise an einer deutschen Universität Amerikanistik, die amerikanische Kulturgeschichte hieß, dann musste man sich auf die Antwort auf die Frage nach dem Studienfach öfter mal ein saloppes "Kulturgeschichte?! Ja haben die denn eine Kultur?", gefallen lassen. Und gerade in diesem Kalauer steckt das große Missverständnis Deutschlands im Umgang mit Amerika.

Denn ganz prinzipiell haben wir ein Problem mit der Zugänglichkeit der amerikanischen Kultur. Das ist historisch leicht nachvollziehbar. Denn Deutschland und Amerika lagen im Wettlauf um die Moderne ja auch in der Popkultur lange Kopf an Kopf.

Da gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Oktoberfest schon mehr als einhundert Jahre. Und auch wenn die bierselige Feierei in den Zelten nicht mithalten konnte mit den Millionen elektrischer Lichter von Coney Island, so hatten beide Gesellschaften doch schon begriffen, dass zum Aufbruch der Massen auch eine ganz eigene Kultur gehören musste, die sich deutlich von den Höhenflügen an den Höfen und in den Bürgerhäusern unterschied.

Ein fataler Scheideweg entschied diesen Wettlauf schon früh. Als die Welt von der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre gebeutelt wurde, entstand in Amerika Hollywood, in Deutschland gab es die Reichsparteitage. Dort führte die Begeisterung der Massen zu neuen Formen der Popkultur. Bei uns führte sie ins Verderben. Ein Verderben, das viele der größten Talente in Film, Musik und Literatur ins Exil vertrieb.

Kultur ohne Ballast

Davon hat sich die deutsche Popkultur nie wieder erholt. Nach dem Kriege blieb sie ein regionales Phänomen, kreiste oft noch um die eigene Geschichte. Und wie tröstlich war da die Flucht in die Hochkulturbegriffe vergangener Jahrhunderte, die dem Wahnsinn der Massen keine Chance lassen würde.

Der amerikanische Kulturbegriff unterscheidet dagegen nur selten zwischen Massen- und Hochkultur. Es galt schon immer die Maxime, die Duke Ellington mit den Worten umschrieb: "Es gibt gute Musik, und es gibt die andere Musik. Und wenn es gut klingt und sich gut anfühlt, dann ist es gut." Gerade das macht diese Kultur so unwiderstehlich für den Rest der Welt. Ohne den Ballast regionaler Formen und Geschichte kann die amerikanische Kultur nach neuen Formen suchen, die weit über die eigene Identität hinausgehen.

So waren wir schon immer für amerikanische Kultur zu begeistern, auch wenn wir Amerika vielleicht gar nicht meinten. Es war das verführerische Licht, das aus einem schier unendlichen Himmel zu Boden fiel und die Kunst, die Fotografie und den Film aus Amerika so entscheidend prägte.

Es war die Landschaft, die in ihrer unversehrten und oft unzugänglichen Schönheit so viel Optimismus barg, der in den europäischen Kulturlandschaften längst begradigt und bereinigt worden war. Es waren die großen amerikanischen Erzähler der Literatur, des Films und sogar des Fernsehens, die all jene universell gültigen Geschichten fanden, die unsere Zeit geprägt haben. Es war die Musik, die aus dem Fundus der gesamten Weltmusik schöpfen kann und sich doch den Ansprüchen der Akademien entzieht.

Es ist dieser unerschütterliche Optimismus, der hinter jedem Problem eine Herausforderung, hinter jeder Schwierigkeit eine Chance, hinter jeder Ratlosigkeit das Potential zur Innovation sieht. Und es war die Inbrunst, mit der ein Ray Charles seine Heimat "die Wunderschöne" nennen konnte, ohne sich in der Affirmation zu verlieren.

© SZ vom 04.11.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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