Am 10.Juni 1982 starb Rainer Werner Fassbinder:"Ich muss das Leben auch gelebt haben."

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"Jeder, der sich an gesellschaftliche Grenzen begibt, muss zwangsläufig pornografisch sein." Hier ist R.W. Fassbinders letztes Interview. Geführt wenige Stunden vor seinem Tod.

Ein Ende in der Fremde ... Als vor 23 Jahren, am 10.Juni 1982, Rainer Werner Fassbinder starb, war er von dem, was sein Leben und Arbeiten ausmachte, so weit entfernt wie nie zuvor. Mit der deutschen Frauen-Trilogie - Maria Braun, Lili Marleen, Veronika Voss - hatte er sein Thema gefunden, das Elend der Nachkriegsdeutschen und ihr Leiden daran, und war zum Markenzeichen geworden. War zum Erfolg verdammt. Sein (letzter) Film "Querelle", nach dem Roman von Jean Genet, war anders, ein Manifest der eigenen Unsicherheit. Einer Ungewissheit, die sich fortsetzen sollte bis heute - als vor wenigen Tagen sein sechzigster Geburtstag fällig war, war die Ratlosigkeit spürbar: Was bedeuten uns heute diese Filme, dieses Leben, dieser Impetus und Furor. Wir dokumentieren diesen Moment des Stillstands, der schließlich zur Finalität wurde. Das allerletzte Interview von Fassbinder, das er Dieter Schidor für dessen Film "Der Bauer von Babylon" über die Dreharbeiten zu "Querelle" gab, wenige Stunden vor seinem Tod, erscheint hier in leicht gekürzter Fassung.SZ

Hanna Schygulla mit Rainer Werner Fassbinder in dem Fassbinder-Stück 'Blut am Hals der Katze'. 1971 auf der Bühne der Kammerspiele in Nürnberg. (Foto: Foto: AP)

Du hast gerade deinen einundvierzigsten Film "Querelle", nach dem Roman von Jean Genet, in Berlin abgedreht. Was hat dich dazu bewogen, nach den Frauenstoffen, angefangen bei "Die Ehe der Maria Braun" bis zur "Sehnsucht der Veronika Voss", diesen radikalen Roman von Genet zu verfilmen? Oder anders, warum hast du damit so lange gewartet? Es waren ja keine Frauenfilme, die ich da gemacht habe, sondern es waren alles Filme über die Gesellschaft, während "Querelle" eigentlich ein utopischer Entwurf im Gegensatz dazu ist. Das will ich dagegensetzen, und nicht Frauenfilm/Männerfilm. Diese Filme sollten die Gesellschaft so genau wie möglich beschreiben. Das geht anhand von Frauen besser. Bei "Querelle" geht es um den Entwurf einer möglichen Gesellschaft, die nach aller Ekelhaftigkeit wunderbar ist. Deshalb stehen sie nicht konträr zueinander, sonder ergänzen sich.

Wenn man den Roman liest, kann man sich nur schwer eine Verfilmung vorstellen. Darüber hinaus wurde damals, als der Roman verboten werden sollte, gesagt, es handle sich um einen pornografischen und faschistoiden Roman. Wie würdest du das beurteilen? Jeder, der sich an Grenzen begibt, an gesellschaftliche Grenzen, oder alles, was sie übertritt, muss zwangsläufig in dieser Gesellschaft pornografisch sein, und jede denkbare Utopie birgt natürlich in sich die Gefahr faschistoider Momente. Das ist ganz klar.

Wie stehst du zu dem Hauptthema, dem Thema der Gewalt? Wird sie nicht verklärt, etwa in der Form, dass alle Personen sich zu der gewalttätigen Hauptfigur "Querelle" hingezogen fühlen? Du siehst das so, ich sehe das ein bisschen anders. Ich sehe das so, dass Genet sagt, mal von außen her gesprochen: Jemand muss sich in die tiefsten Tiefen dieser Gesellschaft begeben, um sich für eine neue zu befreien oder sich befreien zu können. Dass jemand, der das tut, wie auch immer, faszinierend ist, ist klar.

Du hast in einem Punkt die Vorlage verändert, indem du "Querelle" am Ende weich und zerbrechlich machst, während bei Genet Querelle als strahlender Sieger mit dem Schiff ablegt. Magst du es, deine Figuren scheitern zu lassen oder zu zerbrechen, möchtest du damit dem Zuschauer die Identifikation erleichtern? Das ist immer die Geschichte, wenn die Sachen gut oder schlecht enden, wie die Zuschauer sie sich weitererzählen. In dem Fall bin ich sicher - er ist ja nicht zerbrochen am Schluss, er ist nur nicht so heldenhaft wie bei Genet. Ich hoffe, dass der Film so angelegt ist, dass der Zuschauer das Heldenhafte dazutun wird.

Du hast das Ganze im Studio gedreht, in einem immerwährenden gelb-orangenen und blauen Licht. Warum nicht an Originalschauplätzen? Der Roman spielt auch nicht an Originalschauplätzen. Das ist nicht so ein Roman, wo der Autor vorher die Landschaft und Ortschaften genau anschaut und das mitbenutzt in seiner Form des Erzählens, so wie zum Beispiel Hemingway, sondern das Brest, das Genet beschreibt, ist ein total erfundenes; das gibt es gar nicht, außer vielleicht in einer Bar in Texas.

In "Querelle" hast du mit einer internationalen Besetzung gedreht, mit Stars wie Brad Davis, Franco Nero und Jeanne Moreau zu verpflichten? Sollte der Film damit publikumswirksamer werden? Das ist eine schwere Frage. Das sind ja keine Stars, die von vornherein ein bestimmtes Publikum haben. Da gibt es so ein paar auf der Welt. Franco Nero ist die richtige Besetzung für die Rolle - in jedem Fall. Jeanne Moreau ist für mich und meine filmische Phantasie die Frau an sich, und Lysiane ist in der Geschichte die Frau an sich. Also kam nur sie in Frage. Brad Davis hat etwas, was nur ganz wenige Stars gehabt haben, eine unnatürliche Faszination zwischen dem Spiel und der Leinwand. Es ist schon gut und prima, wenn man ihn beim Spielen beobachtet. Sieht man es danach auf der Leinwand, dann ist noch etwas Unerklärliches hinzugekommen.

Nun eine allgemeinere Frage zum Thema Homosexualität, die ja ein altes Thema in deinen Filmen ist und auch in "Querelle" eine Rolle spielt. Wie wird deiner Meinung nach Homosexualität im Kino dargestellt?Immer falsch, sowieso. Du kannst keiner Gruppierung gerecht werden. Du kannst nicht den Homosexuellen und auch nicht den Heterosexuellen gerecht werden, du kannst keiner Gruppe gerecht werden. Du kannst immer nur alles falsch machen. Homosexualität ist aber in "Querelle" auch gar kein Thema. Das Thema ist die Identität eines Einzelnen und wie er sich diese verschafft. Das hängt damit zusammen, wie Genet sagt, dass man, um vollständig zu sein, sich selber noch einmal braucht. Darin gebe ich Genet vollkommen Recht.

Nach "Die Ehe der Maria Braun" hast du verstärkt Filme gemacht, die sehr publikumswirksam und einem traditionelleren Stil verpflichtet waren als zum Beispiel Filme wie "Satansbraten" oder "In einem Jahr mit 13 Monden". Hast du eine andere Haltung zu dieser Art Kino?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe immer gesagt, dass ich diese Filme, diese billigen, schnell gedrehten Filme mit kleiner Crew auch wieder machen will. Ich habe mich nicht für eine Form entschieden. Für mich sind nach wie vor alle Formen des Kinos möglich und notwendig.

Manchmal gibt es in deinen Filmen Personen, die den Namen der Schauspieler tragen. Könnte man sagen, dass es einen gelebten Anteil in deinen Filmen gibt? Gelebt soll nicht unbedingt autobiografisch bedeuten. Gibt es in der Figur Querelle etwas, das von dir in ihn einfließt? Ja, aber sicher. Dennoch kann ich nicht sagen, ich bin Querelle. In jeder Figur sind Erfahrungen, gelebte Erfahrungen enthalten. Es ist bei diesem Film schwerer zu sagen als bei anderen. Sicherlich gibt es auch hier autobiografische Zusammenhänge. Ich glaube, ich muss das Leben, das ich gelebt habe, gelebt haben, um den Film so machen zu können.

Nun zu einem anderen Thema. 1977 hast du einmal gesagt, dass du nach Hollywood gehen würdest. Nein. Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, ich will nach New York ziehen.

Es liegt nicht in meinem Interesse, nach Hollywood zu gehen und dort Filme zu machen. Aber ich habe immer gesagt, um in einem Land Filme zu machen, Filme, die mit dem Land zu tun haben, müsste ich schätzungsweise zwei Jahr dort leben. Wenn ich es eines Tages wirklich schaffen sollte, nach New York zu ziehen, zwei Jahre dort leben würde, würde ich vielleicht auch in Hollywood einen Film machen. Aber erst dann.

In gewisser Weise hast du ja angefangen mit "Lilli Marleen" und nun besonders mit "Querelle" der ja eine außergewöhnlich große Studioproduktion ist, eine Art deutsches Hollywood zu schaffen.

Das war ohnehin mal ein formulierter Gedanke von mir. Was ich möchte, ist ein Hollywood-Kino, also ein Kino, das so wunderbar und allgemein verständlich ist wie Hollywood, aber gleichzeitig nicht so verlogen.

Gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen dir und anderen deutschen Regisseuren, wie Herzog, Schroeter, Schlöndorff, Wenders oder Syberberg? Es sind alle meine Freunde.

Du hast mehr als vierzig Filme in dreizehn Jahren gemacht, deine anderen Arbeiten im Theater oder in den Medien nicht mitgerechnet. Wie erklärst du dir diese außergewöhnliche Aktivität? Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als Filme zu machen. Wenn ich keine Filme machen würde, würde ich malen oder Romane schreiben.

Entnommen dem Band "Fassbinder über Fassbinder. Die vollständigen Interviews", erschienen im Verlag der Autoren, Frankfurt.

© SZ v. 10.06.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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