Akropolismuseum öffnet:Kampf der Titanen

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Engländer und Griechen streiten seit Jahren um die großartigen Schätze des Parthenon. In Athen eröffnet jetzt das neue Akropolismuseum - ohne die Skulpturen aus London.

J. Schloemann

Es geht wieder los. In der nächsten Woche, am 20. Juni, wird in Athen das Neue Akropolismuseum offiziell eröffnet. Nach erheblicher Verzögerung - denn ursprünglich einmal sollte das Projekt zu den Olympischen Spielen im Sommer 2004 fertig werden - wird man dort nicht nur die großartigsten Exemplare griechischer Originalplastik, die von dem stolzen Hochstadthügel der antiken Metropole stammen, in neuem Licht und an neuem Platz betrachten können: den schönen Kritias-Jungen, die Peplos-Kore, den blonden Epheben und wie sie alle heißen.

Wem gehören sie denn nun? Griechen und Engländer streiten sich um die "Elgin Marbles". (Foto: Foto: AP)

Nein, mit einer fragmentarischen Präsentation des Skulpturenschmucks vom berühmten Parthenon-Tempel - der ungefähr 300 Meter vom neuen Museum entfernt bis heute die Akropolis beherrscht - wird auch die leidenschaftliche Rückgabe-Debatte neu entfacht werden. Sollen diejenigen Museen anderer Länder, in die die übrigen Teile der Parthenon-Skulpturen im 19. Jahrhundert verbracht wurden, also allen voran das Britische Museum in London (aber auch Kopenhagen, Basel und andere), die Kunstwerke endlich wieder den Griechen überlassen? Damit der in den Jahren nach 440 vor Christus fertiggestellte Parthenon, dieses Architektur und Kunst gewordene Lob der demokratischen Stadt Athen, wieder in seiner möglichen Gänze an Ort und Stelle erfahren werden kann?

Zur Erinnerung: Thomas Bruce, der siebte Earl of Elgin, ließ als Botschafter Englands beim Osmanischen Reich, das damals über Athen herrschte, im Jahr 1801 die Abnahme der Skulpturen vom Parthenon und ihre Mitnahme nach England beginnen; 1811 fuhren die letzten Kisten übers Meer.

Wegen des Kampfes gegen die Franzosen war die Hohe Pforte in Konstantinopel den Engländern wohlgesonnen. Der Abtransport brachte ein teilweise "barbarisches" Herausbrechen der Kunstwerke mit sich - dies die Formulierung von Lord Elgins Assistenten, dem Maler Don Giovanni Battista Lusieri. Die Osmanen ließen Elgin nicht einfach nur mit zugedrücktem Auge gewähren: Für sein Vorgehen konnte er sich auf eine im Jahr 1801 zweideutig auslegbare, im Jahr 1811 dann aber eindeutige schriftliche Genehmigung der osmanischen Behörden berufen. Griechenland als Staat gab es damals noch nicht. 1816 verkaufte dann der antikenbegeisterte Diplomat seine Trophäen für 35 000 Pfund an den britischen Staat, seitdem werden die "Elgin marbles" im Britischen Museum aufbewahrt.

Giganten und Kentauren

Bei dem einst an dem dorischen Tempel angebrachten Skulpturenprogramm aus pentelischem Marmor handelt es sich um drei Teile. Erstens die Figuren der beiden Giebel: dargestellt war die Geburt der Stadtgöttin Athena auf der Ostseite, der Kampf um die Gründung Athens zwischen Athena und Poseidon auf dem Westgiebel. Zweitens die Metopen, also die mit Figuren verzierten Platten, die sich außen am Gebälk mit den Triglyphen (den charakteristischen dreifach geschlitzten Steinplatten) abwechselten. Dort waren heroische Kämpfe das Thema: Gigantenkampf, Kentaurenkampf, Amazonenkampf (und auf den kaum erhaltenen nördlichen Metopen wahrscheinlich Szenen aus dem Trojanischen Krieg).

Und drittens gab es den 160 Meter langen Fries im Inneren der Vorhalle, der in flacherem Relief gebildet wurde und den Zug der athenischen Bürger zum Stadtfest der Panathenäen zeigt: eine Selbstfeier der Schönheit mit Reitern, Priestern, Musikanten und anderen, deren Absicht es war, "die demokratische Ordnung Athens als neu und andersartig im Opferzug darzustellen" (Henning Wrede). Insgesamt zelebriert dieses in höchster Qualität ausgearbeitete Kunstprogramm die jugendliche Vitalität und Dynamik, die neue Macht und Risikofreude, die göttliche Gunst und den Bürgerstolz der attischen Demokratie zur Zeit des Perikles.

Der Panathenäen-Fries hatte 115 Felder, 94 sind erhalten. Davon befinden sich noch 36 in Athen. London besitzt 56 Felder des Frieses, dazu 15 Metopen und 17 Giebelfiguren.

Im neuen, modern ausgestatteten Akropolismuseum nun, das der Architekt Bernard Tschumi entworfen hat, wird eine eigene Glashalle für die Parthenonskulpturen zur Verfügung stehen. Die vielen fehlenden Teile werden als Gips-Kopien gezeigt werden, und sie werden sich mit ihrer weißen Farbe deutlich von den in Athen gebliebenen Originalen absetzen, die teilweise von Verwitterung und Smog angefressen sind. Das Museum wird auf diese Weise zu einem physischen Argument für die Rückgabe der übrigen Stücke: "Wir führen auf visuelle Weise vor, was bisher nur eine Diskussion in Worten war", sagte Museumsdirektor Dimitrios Pandermalis dem Magazin Newsweek. Mit der Neueröffnung, die mit Pomp und Staatsgästen stattfinden wird, will das moderne Griechenland, das sich als direkten Nachfolger der antiken Griechen begreift, seinen Anspruch auf das "nationale" Kulturgut unterstreichen. Solange aber Griechenland nicht das Besitzrecht Großbritanniens anerkennt, ist London aber nicht einmal zu einer Leihgabe bereit.

Ein häufiges gehörtes, wenn auch eher vorgeschobenes Argument gegen die Rückgabe der "Elgin marbles" fällt mit dem Athener Neubau weg: nämlich dass es dafür in Athen keinen geeigneten Aufbewahrungsort und keine Garantie für eine fachgemäße Aufstellung und Konservierung gebe. Diese Feststellung gilt von jetzt an nur noch im Rückblick, denn in der Tat haben ja Erwerbungen wie die Lord Elgins, die heute in europäischen und amerikanischen Museen zu sehen sind, viele Kunstwerke vor Raub, Verfall und Vernichtung in ihren Herkunftsländern bewahrt.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie das Britische Museum um die Exponate kämpft.

Wenn aber das konservatorische Argument hinfällig ist - was spricht außer der formalen Rechtmäßigkeit der Wegführung überhaupt noch für das Behalten der Stücke in London? Das Britische Museum versucht es seit einiger Zeit mit einer anti-imperialistisch klingenden kosmopolitischen These. Danach soll das Universalmuseum westlicher Prägung der Garant einer toleranten Gesamtschau der Weltkultur sein - im Unterschied zu engen nationalistischen Ansprüchen. Zum Verbleib der Meisterwerke von der Akropolis in London sagt der dort zuständige Kustos: "So, wie sie im Britischen Museum ausgestellt sind, wo viele Kulturen versammelt, keine indes privilegiert ist, und wo vielerlei Glauben repräsentiert ist, jedoch keiner gepredigt wird, dienen sie einem Weltpublikum als Träger vieler Bedeutungen und sind Teil der Erzählung einer Weltgeschichte der menschlichen Zivilisation."

Raub und Geschichte

Ähnlich argumentiert der Direktor des Art Institute in Chicago, James Cuno (der daraus sogar die Freigabe des heute illegalen Antikenhandels ableitet). Richtig daran ist gewiss, dass die großen Hochkulturen des Altertums nicht den neu konstruierten modernen Nationalismen in Griechenland, Italien, Türkei, Irak oder sonstwo überlassen werden dürfen, sondern von universellem Interesse sind. Es ist zweifelsohne gut, wenn man in New York, Paris, Sankt Petersburg etwas von diesen Kulturen anschauen kann, nicht nur an ihren Ursprungsorten. Aber man darf auch nicht übersehen, dass die Antikensammlungen und Universalmuseen zwar der Bildungsidee der Aufklärung entstammen, bald jedoch ihrerseits Orte des nationalistischen Wettlaufs und des kolonialistischen Machtanspruchs wurden. Hier haben sich die Zeiten wahrlich geändert: Niemand käme heute auf die Idee, einen Pergamonaltar oder das Stadttor von Milet mit dem Schiff nach Berlin zu schaffen, ganz abgesehen von den heute mit Recht strengen Ausfuhrverboten.

Nein, der Versuch, Besitzansprüche mit scheinbar politisch korrektem Weltbürgertum zu verteidigen, führt nicht weiter. Wäre es da nicht besser, ein weniger korrekt klingendes, brutaleres, dafür aber ehrliches Argument zu bringen? Dies wäre die Feststellung, dass beinahe jede ältere Kunst in unseren Museen durch Prozesse der ungerechten Macht dorthin gelangt ist: Eroberungen, Aufkäufe, Fundteilungen. Es muss darüber aufgeklärt werden, dass nicht nur die Zeugnisse alter Kulturen, sondern auch die sie bergenden Sammlungen selbst Teil der Geschichte geworden sind.

Es gibt Ausnahmen: Überreste menschlicher Körper an indigene Völker zurückzugeben, denen sie kultisch wichtig sind - so wie es das World Museum in Liverpool gerade wieder mit Schädeln australischer Ureinwohner getan hat -, gebietet die Humanität ebenso wie die Kompensation zeitgeschichtlich noch begleichbarer Schuld bei NS-Raubkunst. Von einem gewissen Punkt an jedoch, so lautet die pragmatische Einsicht, kann man die Weltgeschichte nicht einfach zurückdrehen. Dann müsste man den Louvre leerräumen und die Obelisken an Ägypten zurückgeben, die seit 2000 Jahren auf den Plätzen Roms stehen. Das würde alles noch viel mehr Unfrieden schaffen als jetzt der Unmut Griechenlands darüber, dass London die Parthenon-Skulpturen behält.

© SZ vom 10.6.2009/bey - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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