Abschlussbetrachtung:Gut gemuht

Lesezeit: 3 min

Der Almenrausch und das Edelweiß kommen in der Bergbauernkomödie "Muuuh!" in Plastiktaschen daher. Ein selbstironisches Spiel mit dem Genre. (Foto: Cornelie Mueller)

Das Grenzgänger-Festival zeigt spannendes Inklusions-Theater, das sich aber noch mehr trauen dürfte

Von Christiane Lutz, München

Karl Valentin, das ist bekannt, ist überhaupt nicht gern verreist. Er schlug einst gar ein Angebot aus Hollywood aus, weil ihm die lange Anfahrt nicht geheuer war. Die Spieler des Theater Apropos aber begeben sich mit Texten von Valentin auf eine Reise nach Kanada. "Valentin in Halifax" heißt das Stück der inklusiven Münchner Gruppe, das sie auf dem diesjährigen Grenzgänger-Festival im Tams zeigte (Regie: Anton Prestele). Eine schräge, bunt zusammen gewürfelte Reisegruppe macht sich darin auf den Weg nach Halifax, besteigt ein Flugzeug und vertreibt sich die Zeit bis zur Ankunft mit Wortspielen und Absurditäten. Am Ende, als das Flugzeug längst im Atlantik untergegangen ist, schwimmt man halt an die Küste. Ein leicht bekömmlicher, unterhaltsamer Beitrag zum Festival, zu dem in diesem Jahr acht inklusive Gruppen aus Deutschland, sowie England, Österreich, Luxemburg und Italien nach München kamen. Darunter waren neben den üblichen Verdächtigen wie dem bekannten Berliner Inklusions-Theater Thikwa und dem Theater Tonne aus Reutlingen diesmal auch die beiden Tanzgruppen "Ich bin O.K.-Dance Company" aus Wien und die "Stopgap Dance Company" aus Surrey zu Gast.

Bereits zum achten Mal kuratierten Tams-Leiter Lorenz Seib und Anette Spola das inklusive Festival. Ihr Anliegen hat sich seit dessen Gründung nicht verändert: Spola und Seib wollen ein Bewusstsein schaffen für die Vielseitigkeit unserer Gesellschaft, zu der eben auch Menschen mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung oder psychisch Erkrankte gehören. Kunst, die diese Menschen machen, wird noch immer gern in die pädagogische Ecke gestellt, wo sie zweifelsohne ihre Berechtigung hat, aber eben nicht ausschließlich. So macht es auch Sinn, dass das Grenzgänger-Festival in diesem Jahr auch Kooperationen mit anderen Häusern der Stadt gesucht hat. Die Stopgap Dance Company trat in den Kammerspielen auf, einige Produktionen waren im HochX zu sehen. Dort tanzt zum Beispiel die Ich bin O.K.-Dance Company aus Wien, bestehend aus Menschen mit und ohne Beeinträchtigung. Das zu unterscheiden ist in diesem Fall wirklich okay, denn genau diese Unterschiede thematisiert die Gruppe auf der Bühne in "Kein Stück Liebe" (Regie: Verena Kiegerl). Drei Tänzer bewegen sich auf einem kleinen Podest, gleichförmig, rhythmisch. Acht Tänzer mit Beeinträchtigung stürmen herbei und erobern sich die Bühne, was denen auf dem Podest überhaupt nicht gefällt. Es beginnt ein tänzerisches Spiel des Annäherns und wieder Entfernens. Mal zwingen die einen die anderen in den Hintergrund, grenzen sie aus, dann verschmelzen die Tänzer zu einer homogenen Masse. Am Ende machen alle zu "Staying Alive" Party. Klare Botschaft.

Ein paar Kilometer nördlich im Tams ist die Gruppe Brût zu Gast, deren Schauspieler in Wohnheimen der Lebenshilfe Passau leben. Mit "Muuuh!", einer "Bergbauern-Tragikkomödie", startet Regisseur Gerhard Bruckner ein spannendes Experiment: Was passiert, wenn Künstler, die auf der Bühne häufig nicht ernst genommen werden, sich ironisch einem Genre nähern, das ebenfalls häufig nicht ernst genommen wird? Herausgekommen ist eine Art Meditation über das Bauerntheater und seine zentralen Elemente (eine Alm-Liebe, eine tobende Schwiegermutter, eine Kuhherde und ein Berggewitter), aufgestockt mit Texten von Theresia Walser, Georg Paulmichl und Gerhard Polt. Das Ganze funktioniert recht gut und zeugt von großer Selbstironie der Spieler, die sich für keinen flachen Witz zu schade sind. Da werden Brummdosen mit Muh-Geräuschen geschüttelt, sich das Dirndl zurecht gerückt und zum "Sound of Music"-Soundtrack getanzt. Dass am Ende das Genre des Bauerntheaters und nicht die Fähigkeiten der Künstler als einfach gestrickt und vorhersehbar da stehen, ist ein kluger Kniff.

Im achten Jahr gibt sich Grenzgänger selbstbewusst und selbstironisch. Es hat sein Publikum und seine Fans gefunden, die es von der Sinnhaftigkeit eines inklusiven Festivals nicht mehr überzeugen muss. Das lässt die Künstler freier arbeiten, das verleiht dem Festival eine größere Leichtigkeit. Auch die Ausweitung in verschiedene Spielorte tut dem Festival und seinen Anliegen gut, vor allem die Verbindung mit den Kammerspielen als renommierten Ort der sogenannten Hochkultur. Denn sie verschafft den Themen und Ästhetiken des Festivals eine andere Aufmerksamkeit, macht sie sichtbarer für neues Publikum. Schließlich trägt der Rahmen, in dem Kunst stattfindet, immer auch zur Art und Weise bei, wie sie wahrgenommen wird und welche Bedeutung man ihr zugesteht. Für das kommende Jahr allerdings könnten sich die eingeladenen Künstler ruhig noch etwas mehr trauen, ästhetisch und inhaltlich. Dem Zuschauer nämlich lässt sich noch einiges mehr zumuten. Er ist soweit.

© SZ vom 10.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: