"Abenteuer Alltag - Imbiss live":Mut zur Langeweile

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Dreht das Fernsehen endgültig durch? Kabel 1 sendet vier Wochen lang live aus einer Wurstbude in Magdeburg.

Simon Feldmer

Dass er einmal im Fernsehen landen würde, hätte Olaf Bernhardt nicht gedacht. Er habe es auch nie vorgehabt, behauptet er. Wenn der 44-jährige gebürtige Magdeburger mit dem spitzen Unterlippenbärtchen vorausgesehen hätte, dass er einmal Hauptperson eines Experimentes werden würde, das in gewissem Sinne in die Zukunft des Fernsehens weisen könnte, hätte sich Bernhardt vielleicht noch mal gründlich überlegt, was er einmal werden will - damals vor 25 Jahren, als er sich nacheinander zum Koch, Kellner, Barkeeper inklusive Meistertitel ausbilden ließ.

Was darf's denn sein? Olaf Bernhardt posiert mit Wurst und Fritten. (Foto: Foto: ddp)

Currywurst geht immer

9.00 Uhr morgens. Bernhardt sitzt in seiner Wohnung in Magdeburg. Journalisten rufen an und fragen, warum er nun einen Fernsehsender vier Wochen live aus seiner Currywurstbude senden lässt. Er habe es sich lange überlegt, antwortet Bernhardt. "Das wird schon eine Riesenbambule," sagt er etwas sorgenvoll. Macht sich aber gleich wieder Hoffnung: "Es ist ja auch nichts Schlimmes. Das ist am Ende schnell wieder vergessen."

In den Tagen davor wurde Bernhardts Currywurstbude in der Magdeburger Altstadt komplett verkabelt. Acht ferngesteuerte Kameras wurden installiert, über zwanzig Mikrophone montiert und Schilder vor die Türe gestellt, die auf Fernsehaufnahmen im Inneren aufmerksam machen. Seit Montag dieser Woche überträgt der Privatsender Kabel 1 nun von hier vier Wochen Tag und Nacht live und ohne Drehbuch im Internet aus dem Curry 54, so heißt Bernhardts Laden.

Großer Aufwand, große Wirkung? Nach wenigen Tagen muss man sagen: Die Hinweisschilder vor der Pommesbude sind wohl etwas zu groß geraten. Denn der Andrang hält sich in Grenzen. Am Tag sieht man meist etwas verschreckte Gäste, die sich beim Currywurstessen anschweigen und sich nach dem Mahl ordentlich mit der Serviette den Mund abputzen, am Abend Jugendliche mit Gelfrisuren, die dort wahrscheinlich nicht mehr Quatsch reden als ohnehin schon.

Vom 29. September an versucht Kabel 1, daraus dreißigminütige Tageszusammenfassungen für das Vorabendprogramm zu basteln. Zehn Folgen unter dem Titel "Abenteuer Alltag - Imbiss live" sind geplant. Sollte die Quote passen, wird die Wurstbudenübertragung vielleicht sogar verlängert. Man kann nur hoffen, dass Imbissunternehmer Bernhardt bis dahin nicht pleite geht.

Mit Sicherheit

Wer nun denkt, das Fernsehen drehe aus Angst vor dem immer mächtigeren Konkurrenten Internet auf seine alten Tage endgültig durch, der liegt vielleicht nicht ganz daneben. Zumindest eines muss man Kabel 1 auf jeden Fall zugute halten: Der Sender hat keine Angst davor, seine Zuschauer lieber gnadenlos zu langweilen, als ihnen eine weitere Variante plump inszenierten Reality-Fernsehens vorzusetzen. Ein eigens engagierter Sicherheitsdienst kümmert sich jedenfalls darum, dass keine Spinner, keine Extremen, aber auch keine selbsternannten Superstar-Kandidaten ihre Chance suchen. Die Regie sitzt in München.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie die Übertragung aus einer halbleeren Wurstbude rechtfertigt wird.

Olaf Bernhardt ist mit seinen Mitarbeitern, Würsten und den Kameras allein. Er sagt: "Currywurst geht immer." Das hofft auch Guido Bolten. "Dass wir so etwas machen, wäre vor zwei Jahren noch undenkbar gewesen", sagt der Kabel 1-Geschäftsführer. Er hoffe, dass Menschen zusehen, die ein gesundes Interesse am echten Leben hätten.

Turnschuhe, Jeans, T-Shirt: Bolten, 46, ehemaliger Sportjournalist beim Südwestfunk, sieht so aus, als würde er sofort ein paar Kilometer joggen gehen, wenn er mal eine Wurst zu viel gegessen hat. Der Senderchef arbeitet im Stehen, nicht nur, weil sein Kreuz manchmal schmerzt. Man sei konzentrierter, aufmerksamer, wacher.

Irgendwie passt Boltens aufrechte Haltung ganz gut zum Sender. Denn Kabel 1 hat sich unter dem Dach des kriselnden TV-Konzerns Pro Sieben Sat 1 behauptet. Die Bilanz der Sendergruppe fiel zuletzt ziemlich schlecht aus:

Ein schwacher Fernsehwerbemarkt, ein gescheitertes Vermarktungsmodell, der Vorstandschef Guillaume de Posch auf dem Absprung, hohe Schulden. Die Finanzinvestoren KKR und Permira, die Pro Sieben Sat 1 im Dezember 2006 kauften, hatten zuletzt wenig Freude. Der Plan, durch die Fusion mit der skandinavischen Sendergruppe SBS eine europäische Fernsehgruppe zu bauen, die mit dem Marktführer RTL mithalten könnte, erweist sich als äußerst riskant.

Welche Krise?

Fällt das Wort Krise, schalten die Kabel 1-Macher auf Vorwärtsverteidigung. "Wir haben von Jahr zu Jahr einige Millionen mehr in das Programm investiert. Das Geld aber auch wieder eingespielt", sagt Bolten. Amerikanische Serien, lebensnahe Dokumentationen, Service- und Coaching-Formate und viele Filme, manchmal mittlerweile sogar aus dem aktuellen Jahrhundert, füllen das Programm. Im Mai und im Juli sahen mehr Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahren Kabel 1 als das ZDF. Essen, Schuldnerberatung, Kinder, Erziehung, Auto - es gibt fast nichts, was bei Kabel 1 nicht zum sogenannten Eigenformat verwurstet wird, auch wenn der Stoff meist genauso aussieht wie bei der Konkurrenz.

Ab Oktober unterstützt ein Auswanderer-Coach Familien bei der Deutschland-Flucht. Im neuen Jahr sollen pubertierende Jugendliche in Familien im Ausland, bei Eskimos oder Indios, lernen, dass auch zuhause nicht alles nur mies ist. Dazwischen, so die Hoffnung, passt genau eine Currywurstbude. "Der Trend, das echte Leben zu zeigen, ist ungebrochen", analysiert Senderstratege Bolten, gibt aber gleich den TV-Moralisten: Man dürfe die Menschen dabei auf keinen Fall vorführen. "Inszenierten Schrott", behauptet Bolten, sehe man glücklicherweise immer seltener. Das soll auch für "Imbiss Live" gelten.

Einen geerdeten Imbissbetreiber für das uninszenierte Budenformat zu finden, war gar nicht einfach. Viele hatten Angst, ihre Stammkundschaft zu verprellen. Andere hofften, ein zweiter Dieter Bohlen zu werden. Erst im Frühjahr wurde Bernhardt von der Produktionsgesellschaft Telcast und von Kabel 1 überredet.

Die purste Form

"Raus aus den Containern, den Menschen auf den Puls fühlen", sagt Telcast-Chef Thomas Hohenacker, das sei die Idee. Er nennt sie: "Die purste Form des Reality-Fernsehens." Oder, kurz und knapp: "True Reality TV." Die Truman-Show fürs deutsche Fernsehen hatte Hohenacker noch nicht im Kopf, als er 1998 begann, die Welt ganz nüchtern - ohne Bratfett und Gequatsche - abzubilden. Die Technik entwickelte der 52-Jährige zusammen mit seinem Ingenieursteam.

Weitere ferngesteuerte Formate sind zwar auch bei Kabel 1 nicht ausgeschlossen, doch für Bolten ist das Magdeburger Modell erstmal ein Versuch, Internet und Fernsehen zusammenzuführen. Ob hier die Übertragung aus einer halbleeren Wurstbude wirklich weiterhilft?

Currywurstexperte Bernhardt hat sich jedenfalls einiges vorgenommen. "Ich will zeigen, dass in Magdeburg witzige Leute wohnen und nicht nur rechte Schläger, wie mancher vielleicht denkt", sagte er noch vor Beginn der Übertragung.

Abenteuer Alltag - Imbiss Live, Kabel 1, ab 29. September, 17.15 Uhr; seit Montag überträgt kabeleins.de vier Wochen rund um die Uhr im Internet.

© SZ vom 18.9.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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