Wahlnacht im US-TV:Keiner will den Sieg verkünden

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Neue Realitäten im amerikanischen Fernsehen: Die Sender inszenieren die Wahlnacht als hektisches Schizophrenie-Spektakel.

Jörg Häntzschel

New York - CNNs "Situation Room" ist längst Amerikas Wohnzimmer geworden. So endlos lang war diese Wahlsaison, dass man sich nun, da es vorbei ist, fragt, wie man die Winterabende wohl zubringen wird. Alles vertraut also, als man sich gegen fünf Uhr New Yorker Zeit auf dem Sofa einfindet.

Es dauerte lange, bis die Bildschirme in den Wohnzimmern bestätigten: Barack Obama ist neuer US-Präsident. (Foto: Foto: ap)

Der Abend beginnt mit letzten Alarmmeldungen: Das McCain-Lager hat Castros Statement, wonach er eine Präsidentschaft Obamas begrüßen würde, zu einem finalen Robocall für die Exilkubaner in Florida verwurstet.

Dann der zweite Aufreger: Bei CNN haben sich schon 52.000 Menschen gemeldet, die von kaputten Wahlmaschinen, stundenlangen Wartezeiten, von fehlenden Namen auf den Wählerlisten berichteten. Wolf Blitzer kündigt an, man werde diese Fälle den ganzen Abend verfolgen - wir hören nie wieder etwas davon.

Später gibt Obamas Wahlkampfmanager David Axelrod, der mehrere Tausend Anwälte verpflichtet hat, Entwarnung: "Keine großen Unregelmäßigkeiten", "das Übliche". Wie ruhig und vernünftig der Mann ist - ein Vorgeschmack auf den neuen Ton in der amerikanischen Politik.

In Kentucky und Virginia sind die Wahllokale geschlossen, die ersten Ergebnisse tröpfeln herein. Um den zähen Start zu beschleunigen, greift CNN zu dem absurdesten Gimmick der Wahlsaison. Es "beamt" die Reporterin Jessica Yellin aus Chicago als Hologramm herein. Wie eine gute Fee schwebt sie über einem roten Kreis, umgeben von einer Art Ganzkörper-Heiligenschein, doch sie hat nichts zu sagen. Also Werbung: Von Exxon Mobile und der Lobby für "saubere" Kohle, wie schon den ganzen Wahlkampf hindurch.

Als wäre die Wahl nicht aufwühlend genug, als würden wir nicht ohnehin am Bildschirm kleben, hat CNN noch einmal mit neuen Sound-Effekten und aggressiver Grafik aufgerüstet. Kometen rasen auf die Zuschauer zu, Trommelwirbel lassen die Lautsprecher scheppern, dazwischen erzwingt immer wieder ein "Wähleralarm" Aufmerksamkeit.

Neue Realitäten zum Verzweifeln

Als der Sender einen Sieg der Demokraten in den Neuenglandstaaten prognostiziert, sieht die Landkarte mit den vielen Obama-Köpfen aus wie ein Jackpot in Las Vegas. Wie trübsinnig dagegen das Bild bei den anderen Sendern, deren bunte Grafik an Quizshows erinnern. Nur NBC kann CNN noch übertreffen. Es hat die Wahlkarte in die Eislaufbahn am Rockefeller Center eingelassen.

Dass Elizabeth Dole, die Senatorin von North Carolina, ihre Wiederwahl grandios vergeigt, löst bei CNN kaum unterdrückte Schadenfreude aus.

Um zwanzig vor neun prognostizieren die Sender einen Obama-Sieg in Pennsylvania.

Obwohl die Lage in Virginia noch immer diffus ist, dem Staat, der in den letzten Tagen immer als früher Indikator für die Stimmung im Land genannt wurde, preist Rudy Giuliani auf ABC unverdrossen Sarah Palin, verabschiedet aber schon mal McCain: "Er war ein guter Kandidat. Seine Botschaft ging unter."

Die jungen Moderatoren auf dem erzrechten Sender Fox News verzweifeln indes an den neuen amerikanischen Realitäten: "Immer wenn von veränderter Demographie, von neuen Wählern die Rede ist, steht es schlecht für die Republikaner. Wo ziehen nur die ganzen Republikaner hin?"

Und später, als New Mexiko und Nevada an der Reihe sind, werden sie sarkastisch: "Junge, sind die Latinos auf Obama abgefahren." Dabei, so behauptet eine Fox-Blondine wütend, war McCain doch der Kandidat, der sich für die Immigranten stark gemacht habe.

Dennoch ist Fox der Sender, der als erstes wagt, den wahlentscheidenden Obama-Sieg in Ohio auszurufen. Die anderen Sender ziehen mit Verspätung nach.

Lesen Sie auf Seite 2, wie die Wahl die US-Fernsehsender reif für die Klapsmühle machte.

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Zurück auf CNN: Im Biltmore Hotel in Phoenix, wo McCains fassungslose Fans warten, schrammelt Hank Williams Jr. Country-artiges. "Wissen die McCain-Fans, dass Obama Ohio gewonnen hat?" - "Nein, sie wissen es nicht", sagt die Reporterin. "Das McCain-Team hat das Fernsehen abschalten lassen."

Bei CNN entlädt sich die Anspannung der Talking Heads in kaum unterdrücktem Gekicher. John King spielt an der großen Touchscreen-Karte einen Erdrutschsieg für McCain im Westen durch - und trotzdem kann er nicht mehr gewinnen. "Auf unserer Website können Sie es zu Hause versuchen", scherzt Blitzer. "Vielleicht finden Sie ja die geheime Siegesformel für McCain."

Nun herrscht auf allen Kanälen eine gute Stunde lang Schizophrenie: McCain kann nicht mehr gewinnen, heißt es. Und: Obama hat noch nicht gewonnen. Die Sender erinnern sich noch an die traumatischen Erfahrungen der beiden letzten Wahlen, als man den Exit Polls vertraute - und am Ende falsch lag.

Auf CBS ist man am deutlichsten: "Du glaubst, der Kuchen ist gebacken?", fragt Katie Couric. Bob Schieffer: "Yeah." Die Blogs haben diese Sorge nicht. Slate kürt Obama schon um 9.27 Uhr zum Präsidenten. The Page folgt eine Minute später und schreibt: "Was die Sender Ihnen nicht sagen: Obama ist der nächste Präsident."

MSNBC, der sich als linke Antwort auf Fox News etabliert hat, läuft derweil durch die jubelnde Menge in Chicago, heute der Schauplatz von Obamas Siegesfeier, vor 40 Jahren der Schauplatz der Krawalle rund um den Kongress der Demokraten. Keith Olberman, sonst der Meister des donnernden Sarkasmus, wird angesichts der Bilder eines schwarzen Mädchens und dessen Mutter ganz ernst: "Das hübsche Mädchen: Das ist das Bild des heutigen Amerika."

Für die Republikaner in der CNN-Expertenrunde ist dies das Signal, sich auf die neuen Realitäten einzustellen. Ihre Schlacht ist verloren, aber sie wollen weiter mitmachen. Also feiern auch sie nun den "historischen Moment".

Jahrhundertdenken

Alex Castellanos: "Wir haben unsere Marke zerstört. Wir standen für nichts." Bill Bennett: "It's a great country, it's a great country." Doch nicht nur die Republikaner sind besiegt, auch die alte Garde der Demokraten. John Kerry, John Edwards, Al Gore, vor allem die Clintons. Wo sind sie? Es gibt nur noch Obama.

Je klarer Obamas Sieg wird, desto länger die Übertragungen aus Chicago. Nachdem dann McCain unter den Palmen von Arizona zum letzten Mal "My friends" sagt, sehen wir Jesse Jackson, eine Zigarre rauchend und weinend.

Die Sender passen ihren Sound im Viertelstundentakt an die Ereignisse an. Wie die "wiedergeborenen ländlichen Wähler in Virginia" im Vergleich zu den "Joe the Plumbers" in Ohio abgestimmt haben, interessiert nun keinen mehr.

Eben dachte man noch in Minuten, jetzt schon in Jahrhunderten. Fox tut, als sei dies eine Wahl Schwarz gegen Weiß gewesen. Irakkrieg? Wirtschaft? Nein, dies ist der Jahrhunderterfolg der Bürgerrechtsbewegung. So kann man sich die Sache auch zurechtlügen.

MSNBC zeigt tanzende Menschen in Kisumu in Kenya, wo Obamas Großmutter wohnt. Obama spricht auf seiner gigantischen Bühne. Und die Historikerin Doris Kearns Goodwin strahlt über beide Ohren: "Happy Days are Here Again."

© SZ vom 06.11.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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