Kultfigur Dalai Lama:Süßes Früchtchen

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Er wird gefeiert wie ein Pop-Star, rät seinen Anhängern, möglichst viel zu lächeln, und würde niemandem weh tun. Warum der Dalai Lama der perfekte Heilige für die Wellness-Gesellschaft ist.

Willi Winkler

Manchmal ähnelt er dem Gärtner, wie ihn der große Peter Sellers 1979 in dem Film "Willkommen Mr. Chance" von Hal Ashby gespielt hat. Der ohne die Welt, aber mit einem Fernseher alt gewordene Chance fällt Shirley MacLaine (die Dame fischt im wirklichen Leben selber gern im Drüben) vors Auto und wird unversehens zum Weisen und Politikberater. "Eine Pflanze muss regelmäßig gegossen werden", weiß er der staunenden Welt mitzuteilen. Alles nickt begeistert, ein Philosoph muss dieser Gärtner sein, der doch nur aus seinem Alltag berichten wollte. "Hinter unserer Fassade sind wir alle Kinder", fährt er in seinem naiven Singsang fort, und wieder hat der einfache Mann die Wahrheit gesprochen, die Wahrheit, nichts als die Wahrheit.

Für die einen ist das Leben ein langer, ruhiger Fluss, für den Gärtner Chance ein "Gemütszustand", für den Dalai Lama nun, wenn er ehrlich ist, ein einziges Wunder. Nachgerade zig Millionen zählen seine Anhänger auf der ganzen Welt, und alles nur, weil er sich nicht, wie es sein Recht wäre, weiter Richtung Nirwana reinkarniert, sondern sich lieber bei uns Menschen aufhält.

Noch immer dürfte er über die wunderbaren Wege des Herrn Buddha staunen, die den Buben aus seiner vielköpfigen Familie herausführten. Durch ein dubioses Ritual wurde Tenzin Gyatso als Gott entdeckt und zum 14. Dalai Lama erkoren, den Mao noch eifrig verhätschelte, bis er dann doch nach Indien fliehen musste.

Über die Jahre im Exil ist er ein Weltweiser geworden, der für Apple wirbt, den aber auch der Papst empfängt und mit dem die konservative Angela Merkel plötzlich radikale Politik macht. Schauspieler, deutsche B-Prominenz und andere Kulturschaffende in der ganzen westlichen Welt beten mit dem frommen Mann. Der gelbgewandete Mönch ist ein Popstar.

Der gewaltlose Dalai Lama führt außerordentlich erfolgreich einen asymmetrischen Krieg gegen das übermächtige China. Er ist eine One-Man-Guerilla, aber friedlich; seine Anhänger vergleichen ihn mit Mahatma Gandhi, mit Martin Luther King. In Peking hat man inzwischen so große Angst vor ihm, dass die Machthaber es für "illegal" erklärt haben, wenn jemand "ohne Zustimmung der Regierung ein lebender Buddha" wird. Aber rechtfertigt das den Wahn, mit dem sich alle Welt auf den unscheinbaren Mann in Safran stürzt, sich bekennt, ihn verehrt, als wäre er der wiedergekommene Messias?

Spruch für den Abreißkalender

Er ist doch nur ein Mönch, wenn auch einer, der vor den globalen Kameras aufs Laufband steigt, um den göttlichen Leib für den Fall zu stählen, dass es mit der nächsten Inkarnation doch nicht klappen sollte. Auch sonst gibt es viel zu tun. Zum Beispiel muss er seine nach langem Meditieren gewonnenen Weisheiten urbi et orbi bekanntgeben; es findet sich immer einer, der aufsammelt, was der Dalai Lama an Wortschätzen fallen lässt und es in sehr, sehr viele Bücher und Abreißkalender gießt.

"Wenn wir reich sein wollen", salbadert es (aus dem Tibetischen ins Französische oder Englische übersetzt und dann in ein ausgebuttertes Deutsch gelumpt), "gelingt es uns vielleicht, viel Geld zu verdienen, aber", der gütige Vater hebt mahnend den Zeigefinger, "aber eines Tages werden uns die Umstände daran hindern, noch mehr anzuhäufen, und das wird sehr frustrierend für uns sein."

O ja, Herr, danke, Buddha Gautama Lama.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was der Dalai Lama mit süß-sauren Früchten zu tun hat.

Der Prophet Jesus redete vor zweitausend Jahren in Gleichnissen, er nahm sie aus dem Umfeld seiner Jünger, sprach von Ackerbau und Viehzucht. Dem Dalai Lama wäre das zu kompliziert. Wenn er sich doch einmal zu einem Bild aufrafft, dann, um eine Plattitüde mit einer weiteren zu illustrieren. Es sei schlichtweg unmöglich, lässt er uns wissen, "durchs Leben zu gehen, ohne Problemen zu begegnen".

Das ist scharf beobachtet. Probleme, so man sie nicht selber zu lösen vermag, trägt man zum Doktor, denn vom großen Lehrer kommt - was? Das: "Nehmen Sie zum Beispiel einen Menschen, der gerne süße Dinge isst und nichts Saures mag. Nun gibt es eine bestimmte Frucht, die dieser Mensch besonders gern isst. Diese Frucht ist hauptsächlich süß, hat aber auch ein wenig Säure. Dieser Mensch mag jedoch weiterhin die Frucht, er hört nicht auf, sie zu essen, weil sie einen leicht sauren Geschmack hat.

Süße Frucht Religion

Wenn er diese Frucht genießen möchte, muss er das kleine bisschen Säure hinnehmen. Sie können das Süße vom Sauren der Frucht nicht trennen, es wird immer miteinander verbunden sein. Und so", lautet der Schluss wenig überraschend, "ist auch das Leben. Solange Sie leben, wird das Leben gute Dinge bieten, aber auch ein paar Probleme, die Ihnen zu schaffen machen." Nach einer solchen Obstkur geht es einem natürlich gleich besser. Religion in dieser Spielart ist nicht mehr Opium für das Volk, sondern eine süße Frucht, die auch ein wenig Säure enthält.

Wer hätte das gedacht? Das aber scheint der eigentliche Appeal dieser windelweichen Religion zu sein: Denken muss keiner mehr, Denken macht alt und faltig (ein Grund, warum Schauspieler damit nicht gern behelligt werden), und außerdem synthetisiert der Dalai Lama praktischerweise alle Religionen in seiner, Islam, Christentum, Kabbala, Taoismus, Buddhismus: Alles ist im Dalailamaismus.

Schauspieler, gern auch berühmte wie Richard Gere oder Brad Pitt oder Uma Thurman, sogar die weltgewandte Madonna, leiden am Gefühl der eigenen Nichtigkeit. Wenn sie sich an etwas Größeres attachieren, an ein weltgeistlich und zugleich jenseitig brimborierendes Ommanepadmehum, so geht es ihnen gleich viel besser. Damit ist der Dalailamaismus immerhin wesentlich weniger schädlich als der branchenübliche Drogen-Abusus, und auch ist er längst nicht so nervig wie das geräuschvolle Adoptieren möglichst vieler mehr oder weniger schwarzer Negerkinder.

Möglichst viel lächeln

Die europäische Philosophie, das westliche Denken, alle Religion ist leider Gottes von der nördlichen Blässe des Gedankens angekränkelt. Keiner hat das deutlicher ausgesprochen als der melancholische Pfarrerssohn Friedrich Nietzsche, wenn er Zarathustra den christlichen Priestern ins Gewissen predigen lässt: "Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne: erlöster müssten mir seine Jünger aussehen!"

Daran fehlt es den Freunden des Dalai Lama nicht. Viel zu lange mussten die Europäer und die Amerikaner an den "schwarzen Teichen" leben, "aus denen heraus die Unke ihr Lied mit süßem Tiefsinne singt" (Nietzsche). Der Dalailamismus hingegen macht - endlich - gedankenfrei und ist damit die ideale Religion für den daseinserschöpften Westler. Sie verpflichtet den Gläubigen, dem die Füße schon beim Gedanken an den Jakobsweg wehtun, zu nichts mehr, als sich einen inneren Gebetsraum einzurichten und ansonsten möglichst viel zu lächeln.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was ein T-Shirt für zehn Euro mit Menschenrechten zu tun hat.

Nichts zeigt den Niedergang des Spiegel sinnfälliger als sein jüngster Eifer, einfach nur wundergläubig zu staunen, wo früher an allen hohen Festtagen gezweifelt wurde. Für den Spiegel ist der Dalai Lama "Der Gott zum Anfassen". Vom derart haptischen Glücksgefühl ist die Redaktion offenbar zu berauscht, dass sich jeder Zweifel an der fernöstlichen Fünf-Pfennig-Weisheit als gotteslästerlich verbietet.

Das Schöne am Dalai Lama ist, dass er niemandem wehtut, allen wohlwill und zu allem dieses naive Gesicht macht. "Außerdem", so fährt er fort, "hat alles seine Grenzen" - und die Wurst hat ja sogar zwei. "Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass das Leben eines Menschen kurz ist" - ja, so ist das mit dem Leben, aber der Dalai Lama geht kühn noch weiter: "und wir aus dieser kurzen Zeit auf Erden besser etwas Nützliches machen sollten, für uns und für die anderen." "Alles eins und drum auch Wurscht"

Kein vernünftiger Mensch würde daran zweifeln, dass es zwei Geschlechter gibt, dass Mann und Frau sich um ein halbwegs manierliches Zusammenleben bemühen sollten etc. Gott nimmt, Gott gibt, Mohammed ist sein Prophet, oder waren es Ying und Yang? Hare Krishna, Jesu Wunden und Luthers Gnadenwahl, Butter und Hare Rama, es ist alles eins und drum auch Wurscht.

Aber: der Dalai Lama ist ein Friedensbotschafter, rufen seine Anhänger. Völlig gewaltlos kämpft er für seine Heimat, prangert den "kulturellen Genozid" an, der in Tibet stattfindet und wirkt auf den Westen ein wie eine Gesichtscreme, damit die Fremdherrschaft endlich beseitigt werde. Es ist schon komisch, wie leichthändig der friedfertige, ewig lächelnde Mann die halbe Welt in finster entschlossene, wenn auch sehr friedliche Widerstandskämpfer verwandelt hat.

Das Schöne daran ist: Dieser Widerstand kostet absolut nichts, denn China, das Tibet seit 1950 besetzt, Mönche umgebracht und Klöster zerstört hat, wird da nicht so schnell wieder weggehen. Praktischerweise hält der Mann, an den der Widerstand delegiert ist, auch nichts von Gewalt. So bleibt alles, wie es ist, wenn auch dummerweise daheim Mönche abgeschlachtet werden.

Unterstützungs-E-Mails für Tibet

Denn wie ist es? In der Volksrepublik China herrscht ein turbokapitalistisches Regime, das mit seinen Gegnern kurzen Prozess macht; im Jahr 2005 wurden schätzungsweise dreitausend Menschen und vermutlich noch viel mehr hingerichtet. China ist der ehrfürchtig bewunderte Wirtschaftsfaktor der Zukunft; und dass er es mit den allerschlimmsten Menschenrechtsverletzungen geworden ist und gar nicht die Absicht hat, über Nacht dem Liberalismus der langnasigen westlichen Teufel nachzueifern, das wissen wir Teufelchen doch selber am besten.

Der Deutsche im Jahr 2008 versteht unter seinem Menschenrecht das haufenweise Versenden von Unterstützungs-E-Mails für Tibet (Wieso immer nur Tibet? Wieso nicht Darfur, Russland, Tschetschenien?) an seine Freunde - und auch versteht er unter seinem Menschenrecht, aus kaum ethnoromantischen Gründen, sondern für die private Vorsorge in chinesische Fonds zu investieren (300 Prozent Wachstum!).

Und ebenso versteht er unter seinem Menschenrecht, dass ein T-Shirt im Schlussverkauf nicht mehr als zehn Euro kosten darf, und so sind dann auch die Arbeitsbedingungen, unter denen diese günstigen Textilien entstehen. Was China im Sudan anstellt, um die Verfügungsgewalt über die dortigen Ölreserven zu behalten, das interessiert weder Lieschen Müller noch Richard Gere noch Madonna noch Roland Koch, der sich schon lange zu den Verehrern des frommen Bruders gesellt hat. "Geld ist nicht alles"

An seinem immerwährenden Wort zum Sonntag wird nicht die Welt und nicht einmal China genesen, nur kommt leider all' die feine Religionskritik zuschanden, die in Europa seit der frühen Aufklärung formuliert wurde. Voltaires grimmiger Humor, Lessings Witz, Feuerbachs Strenge, Nietzsches Revolution, selbst vorsichtige Korrekturen wie die von Bultmann und Barth erwiesen sich an dieser Wohlfühl-Botschaft aus Dharamsala als sinnlos; der Brei ist stärker.

Wenn der Katholizismus oder auch der Islam in seiner fundamentalistischen und barttragenden Observanz dem Gläubigen die strenge Kammer offeriert, so schließt der Dalai Lama den Sinn- und Gottsuchern, den frei flottierenden Religions-Shoppern den Wellness-Bereich auf: "Ich zum Beispiel bin Buddhist, aber gleichzeitig achte und schätze ich das Christentum und die anderen Religionen."

Nichts für denkende Menschen

Und von oben, von links und rechts, sogar von unten braust, summt und ommt es: So ist das Leben. Endlich sagt mal einer, wie es ist: "Geld ist nicht alles", "Ein wahrer Freund sollte ein Herzensfreund sein", "Güte und Freundlichkeit sind für den inneren Frieden unentbehrlich." Stundenlang könnte man da lauschen, und die Massen tun's bei seinen Versammlungen. Derlei stand früher auf der Rückseite des täglichen Blatts im Kalender der Raiffeisenkasse. Der war aber umsonst und deshalb nichts wert.

Am Ende dieser irdischen Himmelfahrt durchs transzendentale Wellness-Becken ergeht es einem nicht besser als dem Münchner Dienstmann Alois Hingerl, den Ludwig Thoma vor einem Jahrhundert aus erzählerischen Gründen in den Himmel versetzte. Aber wie ihm da die Augen aufgehen in der überirdischen Glückseligkeit: "Frohlocken!" soll er dauernd und ein mantraiges "Hosianna!" wird ihm nebst Harfensaitenspiel abverlangt. Nein, nein, er kann es einfach nicht.

Der Himmel ist nichts für den denkenden Menschen.

© SZaW vom 05./06.04.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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