65. Filmfestival Venedig:Gala fürs Autorenkino

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Erinnerungsstücke statt Action-Premieren: Das 65.Filmfestival in Venedig sucht Abstand zur Glamoursucht in Cannes und geht zum Start trotzdem auf Nummer sicher mit George Clooney und Brad Pitt.

Susan Vahabzadeh

Filmfestdirektoren können nicht immer zeigen, was sie wollen. Wenn es nicht genug Stars zu sehen gibt auf dem roten Teppich, gibt es Ärger mit den lokalen Geldgebern; laufen im Wettbewerb lauter Blockbuster, meutern die Kritiker und die Verleiher bleiben weg, weil alle Filme längst verkauft sind; wird das nationale Kino nicht ausreichend berücksichtigt, mault die heimische Filmbranche.

Festivaldirektor Marco Müller will die 65. Mostra nicht als Anti-Blockbuster-Festival verstanden wissen: Die Lebensgeister des Kinos sind für ihn "in populären Arbeiten genauso zu finden wie im Autorenkino". (Foto: Foto: dpa)

Marco Müller hat es in Venedig zur Zeit relativ bequem. Er wurde vom neuen Biennale-Chef Anfang 2008 für vier weitere Jahre unter Vertrag genommen, den erneuten Regierungswechsel in Rom konnte er also gelassen nehmen, das Konkurrenz-Festival in Rom schwächelt und bekommt kaum noch Unterstützung, und dazu soll nun endlich die Grundsteinlegung für den neuen Festivalpalast in Venedig erfolgen. Müller hat also mehr Grund zur Coolness als je zuvor.

Und hat dementsprechend Zeichen gesetzt für die 65. Mostra: Zu den großen Ereignissen zählt "Les plages d'Agnès" - Agnès ist Agnès Varda, und die achtzigjährige Filmemacherin kehrt noch einmal an all die Strände zurück, an denen sie gedreht und gelebt hat.

Ein lang erwartetes Erinnerungsstück, und dass es hier als große Gala mit rotem Teppich gezeigt wird, ist ein Statement. Auch der neue Film von Claire Denis ist dabei, " 35 rhums", und "Cry me a River" des Workaholics Jia Zhangke, dessen "Still Life" vor zwei Jahren den Goldenen Löwen in Venedig bekommen hat und von dem vor ein paar Monaten in Cannes "24 City" zu sehen war.

Ein Zwitter, der es allen recht machen soll

Einen größeren Abstand zur kompromisslosen Glamoursucht von Cannes, zu den großen Action-Premieren à la "Indiana Jones" und "Da Vinci Code", kann man kaum halten.

Als Anti-Blockbuster-Festival will Marco Müller das aber nicht verstanden wissen, die Lebensgeister des Kinos sind für ihn "in populären Arbeiten genauso zu finden wie im Autorenkino".

Natürlich gibt es im Wettbewerb auch amerikanisches Starkino, halt weniger als gewohnt - was auch mit den Folgen des Hollywood-Autorenstreiks zu tun hat.

Inzwischen macht es sich bemerkbar, dass im vorigen Herbst viele Projekte verschoben werden mussten. Zudem herrscht Rezession in Hollywood, und Festivalpremieren kosten viel Geld. Universal soll Variety zufolge im Vorjahr eine Million Dollar ausgegeben haben für die Venedig-Eröffnung mit "Atonement".

Egal was es kostet, zur Eröffnung am Mittwoch gibt es erst einmal einen typischen Festival-Zwitter, der es bitte allen recht machen soll, "Burn after Reading", von den Brüdern Coen.

Zwei Fitnesstrainer geraten an die Memoiren eines CIA-Agenten, es spielen George Clooney, Frances McDormand, Tilda Swinton, John Malkovich und Brad Pitt.

Ein toller Cast für eine Festivaleröffnung - von Tilda sind alle begeistert, die Coens stehen weiter unter Kunstverdacht und Brad Pitt ist ein Superstar, auch wenn dieser Status inzwischen eher auf geschickter Manipulation der Klatschpresse basiert als auf schauspielerischen Leistungen.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie sich das selbstbewusste italienische Kino in Venedig präsentiert.

21 Filme konkurrieren um die Löwen dieses Jahr, den Juryvorsitz hat Wim Wenders inne. Was außer Konkurrenz im Wettbewerb läuft, das kommt, sehr oft bei den großen Festivals, aus Hollywood und ist symptomatisch für die ewige Balance zwischen Glamour und Kinokunst, die Befriedigung der Paparazzi und der Schaulustigen, ohne sich vor den Cineasten zu blamieren.

Die verstärkte Realitätssuche, die in Cannes zu spüren war, wird sich in Venedig nicht wiederholen - dort war das Programm durchsetzt mit Filmen, die mit Mischformen von Dokumentation und Fiktion experimentierten.

In Venedig hat man sich für zwei japanische Zeichentrickfilme im Wettbewerb entschieden - "Ponyo on the Cliff by the Sea" vom alten Meister Hayao Miyazaki und "The Sky Crawlers" von Oshii Mamoru.

Italienisches Kino im Aufwind

Zumindest zahlenmäßig ist das italienische Kino stark präsent - da will man nach Cannes, wo "Gomorra" und "Il Divo" liefen, eins draufsetzen -, unter anderen durch Pupi Avati mit "Il papa di Giovanna" und "Un giorno perfetto" von Ferzan Ozpetek, dazu gibt es eine Retrospektive mit dreißig restaurierten, der Entdeckung harrenden Filmen zwischen 1946 und 1975.

Zumindest zu Hause ist das italienische Kino im Aufwind wie lange nicht mehr, mit einem Marktanteil von 33 Prozent.

Es sind dann aber doch fünf amerikanische Filme im Wettbewerb gelandet, nicht ganz vom Coen-Kaliber. In Darren Aronofskys "The Wrestler" spielt Mickey Rourke die Titelrolle. Kathryn Bigelow, eine der wenigen Hollywood-Action-Frauen, hat einen Irak-Kriegsfilm gedreht - "The Hurt Locker" erzählt von amerikanischen Soldaten, der Bedrohung, mit der sie im Einsatz täglich leben müssen.

So spektakulär wie Brian De Palmas "Redacted" im vorigen Jahr wird dieser Film aber wohl kaum werden. Jonathan Demme, der mit "Manchurian Candidate" und seinem Jimmy-Carter-Film "Man from Plains" schon in Venedig war, wird "Rachel Getting Married", mit Anne Hathaway, im Wettbewerb präsentieren.

Zwei deutsche Regisseure im Wettbewerb

Die zwei anderen Amerikaner sind auf jeden Fall eine Überraschung: Für den Drehbuchautor Guillermo Arriaga - er hat "21 Gramm" geschrieben - ist "The Burning Plain", mit Charlize Theron und Kim Basinger, das Regiedebüt.

Und auch der Regisseur von "Vegas: Based on a True Story" ist zugereist. Amir Naderi war in Iran in den Achtzigern ein renommierter Regisseur - seit er in den USA im Exil lebt, ist der Venedig-Auftritt seine erste richtig große Premiere.

Zwei deutsche Regisseure haben es in den Wettbewerb geschafft, Werner Schroeter mit "Nuit de Chien" und Christian Petzold mit "Jerichow". Die Heldin spielt, wie schon oft bei Petzold, Nina Hoss - es geht um einen Soldaten, der aus Afghanistan zurückkehrt, sich in eine verheiratete Frau verliebt und den anderen Mann ausschalten möchte. Dass die Geschichten, die Petzold erzählt, gut an den Lido passen, weiß man seit 2000 - als "Die innere Sicherheit" in einer Nebenreihe lief.

© SZ vom 27.08.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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