Weiterbildung:Schluss mit dem falschem Ermessen

Lesezeit: 2 min

Wem noch nicht klar sei, dass Legastheniker zwar die Logik der Wörter nicht kapieren, dafür die Programmiersprache , fragt eine Münchnerin. Und darf einer Schwangeren der Deutschkurs verwehrt werden, weil sie bald Mutter ist?

"Gefangen auf der Schulbank" vom 29./30. Juli und "Grob verschätzt" vom 13. Juli:

Besonderes Talent erkennen

Es ist nicht zu verstehen, weshalb über lange, unfruchtbare Zeiträume an der Politur des Bewerbungsschreibens von Arbeitslosen gearbeitet wird, nicht aber an deren nachhaltiger Qualifizierung. Es ist doch klar, dass nur eine intensive Weiterbildunge über zirka zwei Jahre eine relative Erfolgsgarantie bei der Jobsuche gibt. Umso erstaunlicher, dass die Agentur für Arbeit kaum auf die Anbieter staatlicher beruflicher Weiterbildungen setzt. Bei denen wird, wie beispielsweise beim staatlich geprüften Techniker oder Betriebswirt, auch ohne vorherige Berufsausbildung ein neuer, manchmal sogar der erste Berufsabschluss erreicht. Außerdem bin ich darüber schockiert, dass die Agentur die Ausbildung zum Fachinformatiker wegen bestehender Legasthenie ablehnt. Es muss sich doch mittlerweile herumgesprochen haben, dass viele Menschen, die von einer Lese- und Rechtschreibschwäche oder von Legasthenie betroffen sind, einseitig logisch-mathematisch begabt sind. Die Buchstabenabfolge in Wörtern ist nämlich unlogisch, die Zeichenabfolge in einer Programmiersprache aber gerade nicht. Daher gibt es Betriebe, die sehr gern diese sonderbegabten Legastheniker als Programmierer einstellen. Ebenso gibt es Betriebe, die bevorzugt Mitarbeiter mit Autismus im Controlling einsetzen.

Dr. Claudia Eisinger-Schmidt, München

Altmodisches Ermessen

Die Vergabe von Weiterbildungsmaßnahme der Bundesagentur für Arbeit ist vom einzelnen Sachbearbeiter abhängig und unterliegt anscheinend keinen klaren Leitlinien mit entsprechenden Kontrollen. Meine Schwiegertochter hat den Integrations-und B1-Kurs "Deutsch als Fremdsprache" erfolgreich absolviert. Von der zuständigen Abteilungsleiterin der Caritas wurde ihr empfohlen, den berufsbezogenen Deutschsprachförderungskurs bei der Arbeitsagentur zu beantragen, da sie einen Ausbildungsplatz als Kinderpflegerin erhalten hat. Die Sachbearbeiterin hat den Kurs aber verweigert, weil meine Schwiegertochter zum Antragszeitpunkt im vierten Monat schwanger war. Die Begründung: Sie solle sich erst einmal um ihr Kind kümmern. Wie kann es sein, dass 2017 die Schwangerschaft als Begründung einer Behörde herangezogen wird, eine Fortbildungsmaßnahme zu verweigern? Diese Art Entscheidung steht für die widersprüchliche deutsche Politik: Einerseits will man Abschied nehmen von der Versorgerehe, gleichzeitig sind die strukturellen Benachteiligungen, wie fehlende Kinderbetreuung oder eben die abgelehnte Fortbildungen wegen Schwangerschaft, so gravierend, dass weiter gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen antiquierter Familienbilder tradiert werden und das Verwaltungshandeln prägen.

Dr. Nina Oxenius, Köln

Nichtsnutzige Prognosen

Die zuverlässige Inkompetenz und Praxisfremdheit der Lehrerbedarfsprognosen produziert seit Gründung der Bundesrepublik eine personelle Unterversorgung des deutschen Schulwesens. Während meines Referendariats (1985 - 87) wurde uns vom Schulrat beschieden, es bestünde angesichts der Schülerzahlenentwicklung auf anderthalb Jahrzehnte hinaus keinerlei Einstellungschance. Fünf Jahre später war die Aussage dieses Experten nichts mehr wert: 1990 war der Lehrermarkt leergefegt, weil wir alle eingestellt worden waren, so wie es eine unserer Ausbilderinnen vorhergesagt hatte: "Diese Bedarfszahlen haben noch nie gestimmt. Geben Sie nix drauf - es kommt immer anders." Wäre es denn so schlimm, wenn sich jedes Bundesland eine grundsätzliche Lehrerreserve zulegte und die Klassenstärken runterführe, anstatt ständig alles auf Kante zu nähen? Würden wir Bildung wirklich so wichtig nehmen, wie allseits betont wird, wäre es doch nicht nur sinnvoll, sondern geradezu Pflicht, immer Lehrer in der Hinterhand zu haben und in Zeiten eines Lehrerüberflusses einfach mal zwei Fachlehrer in eine Klasse zu stecken (was erfahrungsgemäß alle Beteiligten ungemein entlastet).

Michael Lohr, Ettringen

© SZ vom 17.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: