Zukunft der Arbeit:Die Anrede - ein glattes Parkett

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Werden wir künftig im Arbeitsleben alle "Du" zueinander sagen?

Sylvia Englert

(SZ vom 16.01.2001) Der tröstliche Rahmen der alten Konventionen bröckelt in der New Economy. Unter die kleinen quälenden Unsicherheiten des Arbeitslebens reiht sich längst auch die Frage, wen man denn nun duzen und wen siezen soll: Die Fettnäpfchen lauern überall.

Chic , Chip und Du

Fest steht: Das Du liegt im Trend wie einst nach dem wilden Jahr '68.

Mit verantwortlich dafür ist der Internet-Boom: Sich im Chat zu siezen würde so befremdlich wirken, als würde man in einem Gespräch mit den Ohren wackeln. Auch die Globalisierung hat neben weltweit agierenden Konzernen einen Vormarsch der Vertraulichkeit gebracht.

In den angelsächsischen und skandinavischen Ländern gibt es entweder überhaupt kein "Sie" oder es wird kaum benutzt. In den deutschen Niederlassungen bleibt das nicht folgenlos: "Als ich bei Plessey Semiconductors in München gearbeitet habe, war es dort Usus, dass sich alle Leute geduzt haben. So richtig wohl war aber nicht allen dabei. Das hat zu der Mischform geführt, dass sich alle mit Vornamen genannt und gesiezt haben", erzählt der 35-jährige Christian Münker, heute Entwicklungsingenieur beim Chiphersteller Infineon.

Auch bei Nokia, Hennes & Mauritz und Ikea wird aus Prinzip geduzt - das beginnt schon in der Stellenanzeige. "Jeder, der bei uns anfängt, wird darauf hingewiesen. Es ist aber kein Bestandteil des Arbeitsvertrags, sondern ein Gentlemens' Agreement", erklärt Mathias Gedun, 33, Pressesprecher von H&M. "Das Duzen hat sich sehr bewährt, man kann sich Dinge viel schneller sagen, weil alles nicht so förmlich ist. Außerdem ist es ja sehr motivierend, wenn die Aushilfe den Vorstandsvorsitzenden duzen darf."

Klage abgelehnt

Doch nicht alle waren glücklich mit dieser Situation: H&M war der Schauplatz der ersten gerichtlichen Auseinandersetzung über die korrekte Anrede.

"Unser Mandant legt Wert darauf, dass korrekte Umgangsformen gewahrt werden und er sich nur mit denjenigen Freunden und Mitarbeitern duzen muss, die er hierfür auswählt", schrieb der Anwalt eines H&M-Mitarbeiters 1997 an die Bekleidungsfirma - auf dem Spiel stehe für den Mitarbeiter nichts weniger als seine Menschenwürde.

Doch das Gericht schmetterte die Klage ab: Schließlich habe der Angestellte das Du vorher schon zwei Jahre lang klaglos ertragen.

Knigge 2000

In vielen Redaktionen, Agenturen und kleineren IT-Unternehmen hat sich das allgemeine Du schon durchgesetzt, munter werden auch völlig Fremde aus anderen Firmen beim Vornamen genannt.

In anderen Branchen - zum Beispiel in Banken, wo ja auch noch die Kleiderordnung floriert - bleibt das Du ein seltener Ritterschlag. Oft gewöhnen sich gerade ältere Mitarbeiter nur schwer an die wahllosen Vertraulichkeiten.

Hilfe bei der delikaten Etikettefrage sucht so mancher im gute alte Knigge, zum Ratgeber "Knigge 2000" aufgemöbelt von der Benimm-Expertin Franziska von Au. "Das Du bietet im Betrieb der Höherstehende an oder die Dame dem Herrn - diese Grundregel gilt immer noch", ist sie überzeugt. "Aber das Parkett ist glatter geworden."

Das erfuhr Sabine Koke, Personalchefin bei der SinnerSchrader AG in Hamburg, am eigenen Leib: Bei ihrem ersten Vorstellungsgespräch nannte sie der Chef zu ihrer Verblüffung sofort "Biene" - ein Kosename, den sonst nur ihre Eltern und ihre Freunde verwenden.

Jung, dynamisch, duzen?

Mit damals 70 Angestellten war SinnerSchrader, das für andere Unternehmen Internet-Auftritte gestaltet, gerade der hemdsärmeligen Start-up-Phase entwachsen. Heute duzen sich die mittlerweile 200 Mitarbeiter zwar immer noch, aber bei Bewerbern ist man mit der Anrede selektiver geworden: "Erfahrene Consultants zum Beispiel duzen wir nicht mehr, weil sie dann meist etwas verwirrt waren", meint Koke.

Werden wir uns in zehn Jahren im Arbeitsleben alle duzen? Der Bamberger Germanistik-Professor Helmut Glück, bei der Gesellschaft für deutsche Sprache Experte für Anredekonventionen, glaubt nicht daran: "Das Vordringen des Du ist unbestreitbar, aber das Sie hat ein stabiles Hinterland. Und es hat neue Freunde bekommen, seit es seine Front zurückverlegen musste."

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