Zentralabitur:Gesucht: die perfekte Prüfung

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Ein Schüler aus Hamburg soll sich seine Studienberechtigung künftig genauso hart erarbeiten wie einer aus Stuttgart. Mehrere Bundesländer planen deshalb ein gemeinsames Zentralabitur.

Birgit Taffertshofer

Analysieren Sie einen Text von Gerhart Hauptmann! Interpretieren Sie eine Szene von Georg Büchners Woyzeck! Vergleichen Sie ein Brecht-Gedicht mit Zeilen von Günter Grass! Mehr als 250.000 Schüler treten nun wieder zu den Abiturprüfungen an. Während Bundesländer wie Schleswig-Holstein oder Hessen ihre schriftlichen Tests schon hinter sich haben, brüten die Abiturienten in Sachsen und Bayern noch über dem Lernstoff. Und ebenso weit, wie die Abiturtermine auseinanderliegen, klaffen auch Lücken zwischen den Prüfungsanforderungen. Doch das soll sich bald ändern, versprechen einige Kultusminister. Sie steuern ein gemeinsames Zentralabitur an.

Abiturprüfung: Bayern und Baden-Württemberg brüsten sich, als sei ihr Abi das härteste und beste. Doch bisher weiß niemand, wie sich das Niveau in den Ländern unterscheidet. (Foto: Foto: ap)

Es klingt wie ein plötzlicher Sinneswandel. Gerade mal zwei Jahre ist es her, dass sich die Länder bei der Föderalismusreform mehr Autonomie bei Bildungsfragen erstritten. Nun schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung. Nicht nur die SPD-Länder Berlin und Brandenburg bereiten derzeit gemeinsame Abiturarbeiten vor, sondern auch einige Kollegen aus den konservativ regierten Ländern planen, ihre Abiturprüfungen zu vereinheitlichen. Auf Länderebene gibt es bereits fast überall zentral gestellte Aufgaben, nur Rheinland-Pfalz will an dezentralen Prüfungen festhalten. Vier Bundesländer im Süden streben nun erstmals ein Abitur an, das auch die Ländergrenzen überwindet.

Gleiche Abituraufgaben für alle

Das Abitur soll überall gleich viel wert sein, lautet das neue Mantra der Bildungspolitiker. Ein Schüler aus Hamburg soll sich seine Studienberechtigung künftig genauso hart verdienen wie sein Schulkollege aus Stuttgart. Eigentlich sollte das ja längst selbstverständlich sein. Schließlich richten sich Arbeitgeber und Hochschulen nach den Zeugnissen. Von den Noten hängen die Lebenschancen der Jugendlichen ab. Zwar einigte sich die Kultusministerkonferenz mittlerweile darauf, nationale Standards entwickeln zu lassen, aber das geht einigen Ministern nicht weit genug. Statt nur festzulegen, was Gymnasiasten am Ende ihrer Schulzeit beherrschen sollen, wollen sie gleiche Abituraufgaben für alle.

Auf dem Weg zu gerechteren Abizeugnissen wollen sich nun vor allem die Siegerländer des bundesweiten Pisa-Vergleichs profilieren. Bayerns Bildungsminister Siegfried Schneider (CSU) hat seine Kollegen aus Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen für kommende Woche nach München eingeladen, um die Suche nach der perfekten Prüfung zu starten. Angedacht ist, eine länderübergreifende Kommission mit Ministerialbeamten und erfahrenen Lehrern zu gründen, die Aufgaben für ein "Südabitur" festlegen soll. Sachsen-Anhalts Bildungsminister Jan-Hendrik Olbertz (parteilos) setzt sich zunächst nur für ein "mitteldeutsches Abitur" mit Sachsen und Thüringen ein. Den Kollegen aus dem Westen rät er, erst einmal die Probleme im verkürzten Gymnasium G 8 zu lösen.

Kein Ärger mit der Tourismusbranche

"Der Geist ist aus der Flasche", sagt Sachsens Kultusminister Steffen Flath (CDU), der seit langem für ein bundesweites Zentralabitur wirbt: "Für Bremser wird es schwer, sich auf Dauer herauszuhalten." Flath setzt darauf, dass sich dem Verbund im Süden bald weitere Länder anschließen, allen voran Sachsen-Anhalt. Zunächst sollen bis 2010 gemeinsame Abituraufgaben für die Fächer Deutsch und Mathematik entwickelt werden. Möglich wäre am Ende ein gleicher Prüfungstag für alle mit identischen Aufgaben oder ein zentraler Pool, aus dem die Länder unterschiedliche, aber gleichwertige Aufgaben ziehen könnten. Ein Vorteil der zuletzt genannten Lösung: Die Ferientermine könnten bleiben, wie sie sind. Womit sich die Politiker nicht nur enormen logistischen Aufwand ersparen würden, sondern auch Ärger mit der Tourismusbranche.

Auf der nächsten Seite: Warum ein Zentralabitur Noten-Ungerechtigkeiten nicht zwangsläufig aufhebt und einige Länder von der Idee nichts halten.

Drastisches Leistungsgefälle

Doch manche Länder zeigen sich weiterhin reserviert, wenn es um bundesweite Prüfungen geht, sei es, weil sie eine erneute Abi-Reform scheuen oder vor dem direkten Vergleich mit den Pisa-starken Bundesländern zurückschrecken. "Da geht Nordrhein-Westfalen nicht mit", sagt ein Ministeriumssprecher in Düsseldorf. Die geplanten Standards reichten aus, um eventuelle Unterschiede in der Qualität des Abiturs zu minimieren.

Bisher weiß niemand genau, wie sehr sich das Abiturniveau in den Ländern unterscheidet. Bayern und Baden-Württemberg brüsten sich zwar, als sei ihr Abitur das härteste und beste. Dafür gibt es aber lediglich Hinweise und keine soliden bundesweiten Studien. Selbst Pisa hilft nur bedingt weiter, weil hier 15-Jährige getestet werden. Ulrich Trautwein vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, ist einer der wenigen Forscher, die sich intensiv mit den Leistungen der Gymnasiasten im Abschlussjahr befassten. Mit Kollegen der Humboldt-Universität veröffentlichte er 2007 einen Vergleich zwischen Baden-Württemberg und Hamburg. In Mathematik zeigte sich ein "drastisches Leistungsgefälle von Süden nach Norden". Ähnliches gilt für die Naturwissenschaften. In Englisch dagegen ist der Vorsprung der baden-württembergischen Schüler nur gering.

"Solange das Abitur die Eintrittskarte zur Universität ist, muss es das Ziel sein, dass alle Abiturienten gleich streng benotet werden", sagt Trautwein. Deshalb sei die Idee des bundesweiten Abiturs nicht abwegig, allerdings hebe es Noten-Ungerechtigkeiten nicht zwangsläufig auf. "Trotz eines Zentralabiturs wird es noch Schüler geben, die zu schlechte oder zu gute Noten bekommen." Zumal die Prüfung nur ein Drittel der Abschlussnote ausmache. Ein Nachteil der zentralen Prüfung sei zudem, dass sich der Unterricht auf einen engen Kanon reduzieren könnte. Statt Hauptmann, Büchner, Brecht und Grass könnten bei bundesweiten Klausuren auf einmal nur noch Büchner und Brecht zum Prüfungsstoff zählen.

© SZ vom 7.4.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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