Zeitarbeit:Umstrittener Klebeeffekt

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Gabriele Altmann arbeitet seit 13 Jahren für Zeitarbeitsfirmen. Immer wieder wurde sie von einem Entleihunternehmen zum nächsten weitergereicht. Eine Übernahme kam für ihre Chefs meist nicht in Frage.

Sebastian Knoppik

Immer wieder klingelt das Telefon von Gabriele Altmann: "Altmann, Deutsche Messe", meldet sich die 49-Jährige routiniert. In ihrer Stimme schwingt Stolz mit. Seit Mai ist sie bei der Deutschen Messe AG in Hannover angestellt, als Assistentin des internationalen Marketings. An ihrem Arbeitsplatz sitzt sie aber schon seit Oktober vergangenen Jahres - sie hat als Zeitarbeiterin angefangen.

Zeitarbeit: Für Gewerkschafter immer noch Teufelszeug. (Foto: Foto: dpa)

Dass Altmann nun fest bei der Messe AG angestellt ist, liegt auch an Tina Voß. Sie leitet ein Zeitarbeitsunternehmen in Hannover. Fast zwei Jahre war Altmann bei der Tina Voß GmbH beschäftigt und wurde an verschiedene Firmen ausgeliehen. Recht schnell hat es dann mit der Übernahme geklappt.

Die "Arbeitnehmerüberlassung", wie die Zeitarbeit offiziell heißt, boomt. Nach einer Statistik des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin waren 2007 mehr als 700 000 Menschen bei den gewerblichen Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt. Ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um ungefähr 18 Prozent.

Allein im BZA, dem größten Zeitarbeitsverband, sind etwa 2200 Unternehmen vertreten. Von kleinen regionalen Mittelständlern bis zu den großen Konzernen wie Marktführer Randstad. Die gesellschaftliche Diskussion über Zeitarbeit ist stark von Ideologie geprägt. Während sie von der Wirtschaft als Allheilmittel zur Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt dargestellt wird, kritisieren die Gewerkschaften sie heftig.

Teufelszeug Zeitarbeit

Gabriele Altmann hat schon umfangreiche Erfahrungen in der Branche gesammelt. In ihrem Lebenslauf stehen mehrere Stationen bei Zeitarbeitsfirmen. Mit Unterbrechungen kommt sie auf etwa 13 Jahre. Dabei hat sie auch bei Branchenriesen wie Randstad und Manpower in Hannover und Frankfurt gearbeitet. Doch immer wieder wurde sie von einem Entleihunternehmen zum nächsten weitergereicht. Eine Übernahme kam für ihre Chefs meist nicht in Frage.

Das dürfte auch daran liegen, dass die meisten Zeitarbeitsfirmen eine Übernahmeprovision von bis zu drei Monatsgehältern von ihren Kunden verlangen. Ein Grund, warum für viele Gewerkschafter Zeitarbeit immer noch Teufelszeug ist.

"Die Zeitarbeitsunternehmen haben doch am Ende gar kein Interesse daran, den Mitarbeiter zu verlieren. Sie wollen ihn weiter verleihen und an ihm verdienen", sagt Reinhard Dombre, Leiter der Abteilung Tarifpolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Die gesetzliche Höchstdauer für Leiharbeit von zuletzt 24 Monaten ist weggefallen.

Dabei akzeptiert auch Dombre, dass Zeitarbeit in einem gewissen Umfang sinnvoll ist: um flexibel Mitarbeiter einzusetzen, wenn der Krankenstand hoch ist oder wenn sich im Unternehmen die Aufträge stapeln. "Dafür würde aber ein Zeitarbeitsanteil von zehn Prozent am Gesamtpersonalbestand ausreichen. In einigen Betrieben ist es schon ein Drittel der Belegschaft. Da unterstelle ich, dass Zeitarbeit auch dazu genutzt wird, um die Löhne zu drücken."

Da mag ihm auch Zeitarbeits-Unternehmerin Voß nicht widersprechen. "Ein Zeitarbeitsanteil von 20 Prozent oder mehr ist ungerecht", sagt sie. Voß geht es aber bei ihrem Unternehmen um etwas ganz anderes: "Zeitarbeit ist ein Mittel der Personalauswahl und -flexibilisierung. Wir machen es erst möglich, dass Geringqualifizierte beschäftigt werden."

Die Auswüchse von Zeitarbeit sind auch BZA-Vorstandsmitglied Sebastian Lazay ein Dorn im Auge. "Zeitarbeit sollte als flexibles Instrument der Personalpolitik eingesetzt werden, nicht um Löhne zu drücken", sagt er.

Ein Viertel der Zeitarbeiter wird übernommen

Wenn es nach ihm ginge, sollte Zeitarbeit vor allem als Job-Motor dargestellt werden. Tatsächlich werden laut einer vor kurzem erschienenen Studie des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag BZA ein Viertel der Zeitarbeiter vom jeweiligen Betrieb übernommen. Weitere 20 Prozent bekommen demnach von einem anderen Arbeitgeber nach der Zeitarbeit einen festen Job angeboten.

Doch die Antwort auf die Frage, wie hoch der Anteil der übernommenen Kollegen sei - in der Branche sagt man "Klebeeffekt" -, ist umstritten. Nach Angaben von Gewerkschafter Dombre liegt sie bei nur zwölf Prozent. Tina Voß hingegen hat nach eigenen Angaben eine Übernahmequote von etwa 60 Prozent vorzuweisen, auf eine Provision verzichtet sie.

Gerade das aber können die meisten Zeitarbeitsfirmen nicht, meint BZA-Vorstandsmitglied Sebastian Lazay. "Diese Provision ist für unsere Mitglieder ein Schutz." Es bestehe die Gefahr, dass die Firmen die Zeitarbeit dazu ausnutzen, geeignete Mitarbeiter zu finden und so die hohen Kosten für die Personalakquise besonders von Fach- und Führungskräften zu sparen.

Zeitarbeit bringt Menschen in Lohn und Brot. Dabei verdrängt sie zumindest teilweise auch die Stammbelegschaft. Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung wurden zwischen 2005 und 2007 in etwa einem Viertel der Betrieben regulär Beschäftigte durch Leiharbeiter ersetzt.

Gabriele Altmanns Bezahlung als Stammbeschäftigte bei der Messe-Verwaltung ist deutlich besser als in der Zeit als Zeitarbeiterin bei gleicher Tätigkeit. Eigentlich sieht das Gesetz vor, dass Leiharbeiter bei gleicher Tätigkeit das gleiche Gehalt bekommen wie ihre fest angestellten Kollegen im selben Betrieb. Doch eine Gesetzesklausel ermöglicht es, das auszuhebeln. Wenn nämlich Tarifverträge zwischen Arbeitnehmern und Gewerkschaften in der Zeitarbeitsbranche geschlossen werden, dürfen die Löhne und Gehälter auch niedriger sein.

"Equal pay ist gar nicht möglich", erklärt Unternehmerin Voß. Denn die Zeitarbeitsfirmen haben zwei Schrauben, mit denen sie ihre Kalkulation regulieren können. Die eine Schraube ist der Aufschlag, den sie ihren Kunden für die Überlassung berechnen und mit dem sie sämtliche Kosten wie die Sozialversicherung der Mitarbeiter bestreiten müssen.

Die andere Schraube ist der Stundenlohn, den der Arbeitnehmer erhält. Da der Aufschlag nicht zu hoch sein darf, wenn sich die Beschäftigung eines Zeitarbeiters für den Kunden noch lohnen soll, bleibt nur die andere Schraube: "Da kann man nur bei den Löhnen ansetzen", sagt Voß. Allerdings ist die Spanne zwischen den einzelnen Anbietern oftmals sehr groß.

"Als Zeitarbeiter wird man nie vollwertiger Kollege"

Assistentin Altmann freut sich nicht nur über die bessere Bezahlung als Festangestellte. Für sie ist es ein ganz neues Gefühl, nun endlich fest zum Team zu gehören. "Als Zeitarbeiter wird man nie als vollwertiger Kollege angesehen. Wenn es Neuerungen gibt, heißt es oft: Das müssen wir der gar nicht erklären, die ist ja eh bald wieder weg", sagt sie.

Trotz aller Nachteile möchte sie die Phase der Zeitarbeit nicht missen. Denn Zeitarbeit sei ein Türöffner in viele Unternehmen. "Man lernt unheimlich viel kennen. Ich könnte Romane schreiben", sagt Altmann. Die Leiharbeit bei der Messe AG sei für sie zudem der Schlüssel für die Festanstellung gewesen, meint sie, bevor sie wieder zum Telefonhörer greift: "Ich denke, ohne die Zeitarbeit hätte ich diesen Job nicht bekommen."

© SZ vom 7.6.2008/mei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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