Wohlfühlen am Arbeitsplatz:Orte des Schreckens

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Deutsche Büros sind so eingerichtet, dass sich Mitarbeiter nicht darin wohlfühlen. Statt Individualität demonstrieren Firmen lieber die Corporate Identity durch einen uniformen Möbel-Auftritt.

E. Dostert

Die Seelenqualen sind dem Professor anzusehen. "Die meisten Büros in Deutschland sind so eingerichtet, dass sich die Mitarbeiter darin nicht wohlfühlen können", sagt Rudolf Schricker, Professor an der Fakultät für Design der Hochschule Coburg und Präsident des Bundesverbandes Deutscher Innenarchitekten (BDIA).

Büroalltag: Wer Herr über seinen Arbeitsplatz ist, fühlt sich wohler als andere. (Foto: Foto: dpa)

Er hat sich etliche Büros angesehen und mit vielen Menschen geredet - mit Azubis, Sekretärinnen und den Chefs. Alle Arbeitgeber und Vorgesetzte reden von Motivation und Leistungsbereitschaft, aber das dazu nötige Wohlgefühl kann Schricker zufolge an den meisten Arbeitsplätzen gar nicht aufkommen. "In der Regel gilt: Je niedriger ein Mitarbeiter in der Firmenhierarchie angesiedelt ist, umso weniger erfüllt sein Arbeitsplatz individuelle Ansprüche."

"Das" perfekte Büro gibt es ohnehin nicht. "Es hängt immer davon ab, was man wie mit wem tut", sagt Schricker. Er wirkt so, als hätte auch er eine Weile nach dem für alle wohlgefälligen perfekten Büro gesucht. Für das Wohlgefühl des Einzelnen spielen Schricker zufolge sozio-psychologische Aspekte eine weit größere Rolle als visuell-ästhetische Faktoren.

Dass Möbel schön aussehen, reicht nicht. "Herr über den eigenen Arbeitsplatz" zu sein, stärke das Wohlbefinden. Diese Hoheit gewähren aber die meisten Unternehmen ihren Mitarbeitern nicht. Der Wunsch, die Identität der Firma, die Corporate Identity, durch einen global uniformen Auftritt bis hin zum Büromobiliar zu demonstrieren, erscheine ihnen unvereinbar mit dem Streben der Mitarbeiter nach Individualität. "Und die Einkaufsabteilung bestellt 600 Mal den gleichen Schreibtisch im Glauben, der Großauftrag ist billiger als die individuelle Bestellung", sagt Schricker.

Von der Autobranche lernen

Von der Autoindustrie könnten die Büromöbelhersteller viel lernen, sagt Schricker. Die habe vorgemacht, wie man dem Nutzer eines weitgehend standardisierten Produktes ein individuelles Gefühl verleihe. "Die teuren Teile wie Motor oder Plattform sind einheitlich, dafür hat der Kunde für den Innenraum ein Höchstmaß an Auswahlmöglichkeiten: Leder oder Kunststoff, Holz- oder Alu-Optik bei den Armaturen."

Das Prinzip lasse sich auch in der Büroausstattung verwirklichen, sagt Schricker. Kabelschächte und Tischkanten könnten unterschiedliche Farben haben, schließlich handele sich nur um Cent-Artikel. Büros ließen sich mit der gleichen Lampe ausstatten, das Farblicht könnten dann die Mitarbeiter je nach Tagesform wählen. Die Wahl der Bilder und Pflanzen sollte ohnehin jedem Einzelnen überlassen sein, empfiehlt der Innenarchitekt.

Nicht alle seine Theorien kann der Professor mit repräsentativen Studien belegen, wohl aber mit Erfahrungen. "Die betriebswirtschaftlichen Kosten von Kopfschmerz und anderem Unbehagen lassen sich eben schwerer kalkulieren als der Preis eines neues Schreibtisches." Schricker ist sich sicher, dass sich das Wohlgefühl für die Firma auszahlt, weil ein "wohlgestimmter Mensch leistungsbereiter und motivierter ist". Zum Wohlgefühl trügen gutes Licht, ein angenehmer Geruch und die beste Akustik bei.

Auf der nächsten Seite: Mit welch einfachen Tricks die Lärmbelastung am Arbeitsplatz verringert werden kann.

Schallisolierter Schreibtisch

Die Lärmbelästigung am Arbeitsplatz ist eines der Lieblingsthemen von Schricker, im allgemeinen aber ein Tabu. Schricker kann stundenlang darüber dozieren. Der Nachhall, also die von Wänden, Decken, Fenstern oder Mobiliar reflektierten Schallwellen von Sprache und anderen Geräuschen dürfe in Büros nur 0,9 Sekunden betragen, in Call-Centern darf die Differenz zwischen direkt gehörtem Schall und reflektiertem Schall nur bei 0,6 Sekunden liegen.

Tatsächlich liege die Belastung in den meisten Büros deutlich darüber. Dabei wäre das Problem leicht ganz ohne teure bauliche Maßnahmen zu lösen. Gemeinsam mit Partnern aus der Industrie haben Schricker und seine Studenten einige Produkte entwickelt.

Der Besprechungsraum im zweiten Stock des alten Hofbräuhauses, dem Sitz seines Lehrstuhles in Coburg, steht voll von solchen Produkten. Die meisten fallen gar nicht auf. Schricker greift nach einer blauen durchlöcherten Matte aus elastischem Schaum. Die schlucke - unter der Schreibtischplatte befestigt - jede Menge Lärm. Vereinfacht ausgedrückt muss man sich das so vorstellen: der Schall dringt durch die Löcher in den Kunststoff ein und wird im Inneren absorbiert. Mittlerweile gebe es auch Büromöbel mit perforierten Oberflächen.

Essen ist Tabu

Essen am Arbeitsplatz sei auch so ein Tabu, sagt er. Dabei habe fast jeder irgendwo in seinem Büro Lebensmittel deponiert. "Bei mir liegen Schokolade und Kekse in der obersten Schublade", gesteht Schricker. Und die fettigen Marken der Butterstulle und die braunen Ränder der Kaffeetasse auf Mobiliar oder Akten belegen, dass viele Beschäftigte auch im Büro essen und trinken. Auch darüber haben sich der Professor und seine Studenten Gedanken gemacht. So haben sie eine sogenannte Gastrobox entwickelt, die ihren festen Platz im Büro hat, aber auch mit nach Hause genommen werden kann, um sie zu füllen. Das Projekt ist geheim.

Bei der Orgatec, der Fachmesse für Büroeinrichtung, will Schricker gemeinsam mit dem BDIA, Studenten aus Coburg sowie Schülern der Schauspielschulen Köln und Essen richtig Theater machen. "Wir haben den Konrad-Adenauer-Saal, einen der größten Säle auf dem Veranstaltungsgelände, gemietet. Den werden wir in schwarzen Tüll hüllen und auf der Bühne diskutieren." Und in Sketchen sollen echte Büromenschen ihr wahres Arbeitsleben spielen.

© SZ vom 21.10.2008/heh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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