Wissensmanagement:Herrschaftswissen teilen lernen

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Der Ansporn zu individueller Arbeitsleistung und Wissensvorsprung des Einzelnen steht der Idee vom lebenslangen Lernen im Wege.

Sabine Hense-Ferch

(SZ vom 13.10.2001) Vor einigen Monaten schlug das Bochumer Institut für angewandte Innovationsforschung Alarm: "Deutschland gehen die Innovatoren aus", heißt der Titel einer Studie des Instituts, die belegt, dass der Wandel in der Arbeitswelt nicht mehr allein durch den Austausch älterer durch besser ausgebildete jüngere Mitarbeiter bewältigt werden kann. Denn es gibt einfach zu wenig Nachwuchs. Die Konsequenz: Lebenslanges Lernen als Programm für die Älteren, sonst klafft bald eine riesige Lücke auf dem Arbeitsmarkt. Jedoch - auch das sagt die Studie - gehe das Weiterbildungssystem an den Bedürfnissen der Wirtschaft vorbei. Vor allem fehle es an praktischen Erfahrungen in den neuen Arbeitsfeldern.

Pauken bringt's nicht

Dabei haben die Unternehmen längst die Bedeutung von lebenslangem Lernen und Weiterbildung im Betrieb erkannt: Nach einer Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) haben vier von zehn Betrieben ihren Mitarbeitern im Jahr 1999 Schulungen angeboten.

Mittlerweile qualifizieren alle Großunternehmen ihr Personal weiter. Bei DaimlerChrysler beispielsweise hat im vergangenen Jahr jeder Mitarbeiter im Schnitt vier Tage Weiterbildung absolviert - während der Arbeitszeit. Politiker, Manager und Wissenschaftler beschwören Wissen als wichtigste Ressource der Zukunft und verkünden, dass der Weg in die "Wissensgesellschaft" nur über ständiges Lernen führe.

"Das Problem ist, dass Lernen bei uns noch immer mit Pauken assoziiert ist. Und das funktioniert bei den meisten Erwachsenen nicht mehr", so Heinz Mandl, Professor für pädagogische Psychologie an der Universität München. "Man lernt eben nicht nur aus Büchern, sondern vor allem aus Situationen heraus. Dieser situationsgebundene, praktische Ansatz muss viel mehr gefördert werden."

Die Art, wie wir in Schule und Uni Wissen anhäuften, nämlich "auf Vorrat für das künftige Berufsleben", widerspreche dem Prinzip des lebenslangen Lernens. Viel wichtiger, so Mandl, sei es, rechtzeitig Strategien zum selbst gesteuerten Lernen mit auf den Weg zu bekommen und Problemlösungen zu entwickeln. "Solche Schlüsselqualifikationen müssen besser geschult werden."

Lernen in konkreten Arbeitssituationen

Aber Unternehmen und Weiterbildungsträger gingen so meist nicht vor, sagt Gerhard Fischer, Informatikprofessor und Leiter des Centers for Lifelong Learning & Design der University of Colorado in Boulder (USA). "Viele Firmen reißen ihre Mitarbeiter aus Arbeitsprozessen heraus, um sie auf Veranstaltungen zu schicken. Dort werden sie von Personen unterrichtet, die von der konkreten Arbeitssituation der ,Schüler' keine Ahnung haben. Wie sie die neuen Informationen dann in ihre Arbeitstätigkeit einbauen, bleibt ihnen meist selbst überlassen".

Besser sei es, so Fischer, wenn Lernen in konkreten Arbeitssituationen stattfinde, wo Mitarbeiter sich untereinander austauschen könnten.

"Voneinander zu lernen ist besonders schwierig in einem System, in dem die individuelle Leistung und der persönliche Wissensvorsprung betont werden", so DaimlerChrysler-Sprecher Marc Binder. "Dennoch fördern wir dieses Lernen durch funktionsübergreifende Projektarbeit, interkulturelle Teams, Communities of Practice und gemeinsame Lernplattformen wie bei der DaimlerChrysler University."

Auch andere Unternehmen wie SAP, Reemtsma oder Motorola haben firmeneigene Hochschulen, Corporate Universities, als einen Arm ihrer Weiterbildungsaktivitäten gegründet, an denen Mitarbeiter teils von externen Dozenten, teils aber auch von erfahrenen, höher positionierten Kollegen profitieren sollen.

Dass Wissen innerhalb einer Firma weitergegeben wird, ist aber nicht selbstverständlich: Eine Studie der Universität Witten-Herdecke und der Berliner Unternehmensberatung Market Lab unter 112der 500 größten deutschen Unternehmen kommt zu dem Ergebnis, dass nur die Hälfte der Unternehmen neue Erkenntnisse aus dem Umfeld an die eigenen Mitarbeiter weitergibt. 15 Prozent gaben sogar an, Informationen in der obersten Führungsetage zu behalten.

Erklären kostet Zeit

Voneinander lernen, Austausch von Information unter den Kollegen - gerade da tun sich viele schwer. Warum eigentlich? "Andere am eigenen Wissen teilhaben zu lassen, funktioniert nur dort, wo eine Kultur des Vertrauens herrscht", sagt Professor Mandl. "Schon in der Schule macht man die Erfahrung, dass Wissen Macht bedeutet. Das setzt sich an der Uni und später im Beruf fort. Wenn ich Wissen abgebe, kann das negative Konsequenzen haben, weil mein Konkurrent mein Wissen zu seinem Vorteil nutzt. Hinzu kommt: Mit dem eigenen Wissensvorsprung kann man Konkurrenten am Arbeitsplatz auflaufen lassen", so der Pädagoge.

Und er fügt hinzu: "Ein anderer Aspekt ist der Zeitfaktor. Andere am eigenen Wissen teilhaben zu lassen und mit ihnen zu reden, kostet Zeit."

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