Wissenschaftliches Fehlverhalten:Von Forschern und Fälschern

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Wie die deutschen Universitäten mit Lug und Betrug umgehen: Ombudsleute und Verhaltensregeln sollen unehrlichen Wissenschaftlern das Handwerk legen.

Marco Finetti

Nein, es sind nicht die Kaliber vom Schlage eines Hwang Woo Suk, mit denen sich Ulrike Beisiegel befassen muss. Spektakuläre Fälschungsskandale wie der des südkoreanischen Stammzellenforschers, der rund um Weihnachten Wissenschaft und Öffentlichkeit in aller Welt schockierte, "könnten sich zwar auch an den deutschen Hochschulen ereignen", sagt die Sprecherin des Ombudsman-Gremiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), einer zentralen Anlaufstelle für Forscher in allen Fragen wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Bislang aber gingen die Hamburger Medizinerin Beisiegel und ihre Kollegen weniger aufsehenerregenden Fällen nach - die freilich über den Alltag im Hochschulbetrieb und seine Anfälligkeit für Lug und Betrug mehr aussagen als der "Fall Hwang".

Mal geht es um das Diagramm in einer Publikation, das nach Ansicht mehrerer Forscher fehlerhaft und womöglich gefälscht ist; mal um einen Förderantrag, der vor Jahren wegen des Verstoßes gegen gesetzliche Bestimmungen abgelehnt wurde und nun noch einmal gestellt wird. Da ist der Professor, der sich darüber beschwert, dass ein Kollege Forschungsergebnisse ohne sein Wissen übernommen und als eigene ausgegeben hat. Oder die Mitarbeiterin an einer Uniklinik, die entdeckt, dass sich Experimente nicht wiederholen lassen und ihre Ergebnisse offensichtlich gefälscht sind.

Spitze des Eisberges

Fälle wie diese finden sich ebenso in den Jahresberichten der drei Ombudsleute der DFG wie der des Doktoranden, der erheblichen Anteil an einem Fachbeitrag hat, aber von seinem Professor nicht als Mitautor genannt wird, oder der des Habilitanden, dessen Manuskript durch die Herausgeber eigenmächtig und sinnentstellend verändert wurde.

Insgesamt mehr als 150 Mal ist das Ombudsman-Gremium bislang angerufen worden, seit es im Juli 1999 nach dem "Fall Herrmann/Brach", dem bislang größten Fälschungsskandal in der deutschen Wissenschaft, eingesetzt wurde. Die Zahl der Fälle ist kontinuierlich gestiegen, alleine 2004 waren es 45 - und alle Beteiligten sind überzeugt, dass dies nur die berühmte Spitze des Eisbergs ist.

Die meisten Fälle kommen aus der Medizin und der Biologie; besonders oft geht es um Plagiate und die Autorenschaft bei Veröffentlichungen, handfeste Manipulationen von Daten sind eher selten.

Wann immer sie eingeschaltet werden, prüfen die drei Ombudsleute der größten deutschen Forschungsförderorganisation die rechtliche Lage - mehr noch aber, ob gegen geschriebene oder ungeschriebene Regeln des wissenschaftlichen Anstandes verstoßen wurde. Manches entpuppt sich als unbegründet, wo sich dagegen der Verdacht auf Fehlverhalten erhärtet, gibt das Gremium die Fälle an Untersuchungsausschüsse der DFG oder der betroffenen Hochschulen ab, die dann die eigentlichen Ermittlungen führen.

So wie die Forschungsgemeinschaft verfügen nahezu alle deutschen Universitäten inzwischen über Ombudsleute - sichtbarstes Zeichen für einen neuen Umgang mit dem heiklen Thema: Die Hochschulen hierzulande haben erkannt, dass Betrug und Fälschung in der Wissenschaft ein Problem sind - und dass sie selber Maßnahmen treffen müssen, um beides zu verhindern oder zumindest im Nachhinein aufzuklären und zu ahnden.

Danach hatte es lange nicht ausgesehen. Manipulationen und Mogeleien hatte es zwar auch an den hiesigen Hochschulen seit jeher gegeben - doch über Jahrzehnte wurden sie verdrängt oder schlichtweg geleugnet. Das änderte sich erst mit dem "Fall Herrmann/Brach", bei dem die beiden Hoffnungsträger der deutschen Krebsforschung in den neunziger Jahren mit mehr als 90 manipulierten Studien Ruhm, Fördergelder und Professuren ergattert hatten. Seit diesem Schock - und durchaus auch aus Angst vor einem Eingreifen der Politik und einem weiteren Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit - stellen sich die Unis dem Thema offener und selbstkritischer.

Besseres Bewusstsein

Fast überall gibt es neben Ombudsleuten und Untersuchungskommissionen auch Verhaltensregeln für so genannte "gute wissenschaftliche Praxis". In ihnen ist etwa festgelegt, wie Experimente dokumentiert und Mitarbeiter einer Studie als Autoren genannt werden sollen - an sich Selbstverständlichkeiten, die im Hochschulalltag jedoch offensichtlich oft aus dem Blick geraten sind.

Mehr und mehr setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass es in vielen Fällen die Mechanismen des modernen Forschungsbetriebes sind, die zu Betrug und Fälschung führen - der immer irrwitzigere Wettlauf um Fördergelder etwa ebenso wie der Zwang zu immer mehr und schnelleren Veröffentlichungen oder der immer größere Erwartungsdruck von Politik, Medien und Öffentlichkeit.

"Das Bewusstsein für das Problem und seine Ursachen ist besser geworden", sagt auch Ulrike Beisiegel - um sogleich hinzuzufügen: "Aber es ist noch nicht gut genug!" Was sich leicht an der Arbeit der drei DFG-Ombudsleute und ihrer Kollegen an den Unis zeigen lässt. Sie sind noch immer nicht unumstritten, auch wenn die Zahl derer gesunken ist, die schon ihre bloße Existenz als Angriff auf die vom Grundgesetz geschützte Forschungsfreiheit ansehen. Mitunter, so beklagt das Ombudsman-Gremium in seinem letzten Jahresbericht, wird die Aufklärungsarbeit sogar regelrecht boykottiert, wenn etwa eine Hochschulleitung auch konkreten Manipulationsvorwürfen nicht nachgehen will.

Das größte Hindernis sieht Ulrike Beisiegel freilich an anderer Stelle: "Die Ombudsman-Gremien sind noch längst nicht flächendeckend bekannt." Das liege zum Teil an ihnen selber. "Es reicht nicht, wenn man hinter seinem Schreibtisch darauf wartet, dass jemand mit Fällen oder Verdachtsfällen kommt." Unterm Strich, so die Medizinerin, "gibt es noch zu viele Einrichtungen, in denen der Ombudsmann nicht in Anspruch genommen wird. Das heißt aber nicht, dass es dort keine Fälle gibt."

© SZ vom 9.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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