Wissenschaftler:Stetes Tricksen höhlt den Schein

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Alltägliche Mogeleien schaden der Forschung mehr als großer Betrug.

Von Holger Wormer

Daten erfinden, Daten fälschen, Daten klauen: Diese drei Methoden der Manipulation zählen zu den schwersten Delikten, die ein Wissenschaftler bei seiner Arbeit begehen kann. Gelegentlich fliegen solche Fälscher auf, zum Beispiel der Nanowissenschaftler Jan Hendrik Schön oder die deutschen Krebsforscher Herrmann und Brach. Doch womöglich richten Forscher mit alltäglichen Sünden größeren Schaden an als mit spektakulären Manipulationen; das jedenfalls legt eine anonyme Befragung von 7000 US-Wissenschaftlern aus der Biomedizin nahe (Nature, Bd. 435, S. 737, 2005).

Anders als in früheren Studien hatten die Autoren Wissenschaftler nicht über das Verhalten von Kollegen befragt, sondern sie zur - wenn auch anonymen - Selbstanzeige aufgefordert. Immerhin jeder zweite der mehr als 7000 angeschriebenen Wissenschaftler beantwortete die Anfrage. Jeder dritte Teilnehmer gab zu, in den vergangenen drei Jahren mindestens eines der "Top-Ten-Vergehen" begangen zu haben, die die Autoren in ihrem Fragebogen aufgelistet hatten. Die Liste dieser Vergehen hatten sie zuvor zusammen mit Vertrauensleuten großer Universitäten erstellt.

Fälschungen eigener Daten in den vergangenen drei Jahren gab weniger als jeder 300. Teilnehmer zu, Plagiate gestand etwa jeder 70. ein. Auffällig häufig nannten die Befragten jedoch ein Vergehen, das die Zweifel an der Unbestechlichkeit vieler Wissenschaftler nährt: Mehr als jeder siebte gab an, auf Druck eines Geldgebers schon einmal Methodik oder Resultate seiner Forschungsarbeiten verändert zu haben. Ähnlich häufig ließen Wissenschaftler in eigenen Studien "unpassende" Daten unter den Tisch fallen oder sahen über fragwürdige Daten von Kollegen hinweg.

Besonders die häufigen "kleineren" Sünden sind für die Autoren der Befragung bedeutsam. Sie halten die Ergebnisse sogar für eine vorsichtige Schätzung; immerhin könne die Zahl der Vergehen bei jenen, die den Fragebogen aus Angst vor Sanktionen erst gar nicht beantwortet haben, weitaus höher liegen als bei den Teilnehmern der Studie. "Der moderne Wissenschaftler sieht sich einem enormen Wettbewerb ausgesetzt und trägt ferner die Bürde schwieriger, manchmal unzumutbarer behördlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Forderungen", schreiben sie. Dieser Druck führe auch diesseits von schweren Datenfälschungen und Plagiaten zu vielfältigen Abstrichen an der wissenschaftlichen Integrität. "Die scientific community kann nicht länger selbstgefällig mit dieser Art von Fehlverhalten umgehen", sagen die Autoren.

Einstiegsdroge

Ulrike Beisiegel, neue Ombudsfrau für wissenschaftliches Fehlverhalten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG , sieht sich mit dieser Einschätzung bestätigt. Die Dunkelziffer der kleinen Vergehen von Wissenschaftlern sei zweifellos auch in Deutschland deutlich höher als die der spektakulären Fälschungen.

Gerade kleineren Verstößen ließe sich durch eine gute Ausbildung besser vorbeugen als schweren Fällen, die "kriminelle Energie" voraussetzten - ähnlich wie sich in der Gesellschaft Ladendiebstähle eher vermeiden lassen als schwere Kapitalverbrechen. Christoph Schneider, der sich bei der DFG seit Jahren mit dem Thema Qualität in der Forschung beschäftigt, unterstreicht indes, Schlampereien und kleinere Vergehen seien eine mögliche "Einstiegsdroge" für schwere Datenmanipulationen.

Detaillierte Schätzungen über leichte und schwere Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens gibt es in Deutschland bisher jedoch nicht, sagt Beisiegel: "Eine solche Befragung von Forschern wäre daher auch für uns mal eine gute Idee."

© SZ vom 9.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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