Wissenschaft und Forschung:Mit 356 Jahren endlich erwachsen

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Bereits beim G-8-Gipfel in Heiligendamm hat die Leopoldina als Stimme der deutschen Wissenschaft gesprochen.

Christopher Schrader

Immer wieder kommt es im Familienleben vor, dass Kinder im Teenageralter Aufgaben übernehmen, derer sie das Gesetz noch gar nicht für fähig hält. Die Erwachsenen freuen sich über ihre großen Kinder und tolerieren, wenn die Heranwachsenden ihre Äußerungen mit übermäßigem Pathos garnieren.

Den Tag der Volljährigkeit erleben die Teenager dann meist mit großem Selbstbewusstsein. So wie jetzt die Leopoldina, die ehrwürdige Akademie der Naturforscher in Halle an der Saale. Sie wird, im Alter von 356 Jahren, in dem Sinn volljährig, dass sie als Nationale Akademie der Wissenschaften eine internationale Stimme bekommt.

Vor gut einem Jahr hatte die Gelehrten-Gesellschaft diese Funktion schon einmal ausgefüllt. Zwei Monate vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm, von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Mai 2007 organisiert, berief die Leopoldina ein Gipfeltreffen der Wissenschaftsakademien ein. Sie berieten einen gemeinsamen Aufruf an die Regierungen zum Thema Klima und Energie.

Die Zusammensetzung der Konferenz folgte der gleichen Formel, die später im Ostsee-Bad gelten sollte: G 8+5. Neben den Akademien aus Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Russland und den USA waren die Counterparts aus den fünf großen Schwellenländern vertreten: China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika. Für Deutschland unterschrieb Volker ter Meulen, Präsident der Leopoldina.

Es war nicht das erste Mal, dass die Akademie in Halle Deutschlands Wissenschaft vertreten hatte, das war 2005 und 2006 vor den Gipfeln in Gleneagles und St. Petersburg auch schon geschehen. Aber zum ersten Mal hatte die Leopoldina als Gastgeber die Federführung.

Der Text im zweiseitigen Abschlussdokument war mit drei rosafarbenen Energiesparlampen unterlegt - sinnfällig, aber etwas pathetisch und kitschig. Der Aufruf weist den Industriestaaten der G 8 die Verantwortung für den hohen Energieverbrauch und den damit verbundenen Klimawandel zu; die 13 Akademien ermahnen dann aber alle ihre Regierungen, Lösungen für die Zukunft zu finden, neue Technologien zu fördern, Wälder zu schützen und das Energiesparen durch verbindliche Standards zu forcieren.

Womöglich entschied Forschungsministerin Annette Schavan nach dieser Erklärung, die Leopoldina tatsächlich zur Nationalen Akademie zu erheben. Allerdings hat die Konferenz Volker ter Meulen auch Kritik eingetragen. Als "Aktion mit Geschmäckle" hat Manfred Neumann, Präsident der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, den Aufruf aus Halle in einem Leserbrief bezeichnet.

Schließlich stammte die Idee dazu von Hans Joachim Schellnhuber, dem Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Berater der Bundesregierung. Die Wissenschaft müsse aber jeden "Anschein vermeiden, dass sie sich zur Magd der Macht machen lässt", mahnte Neumann. Ter Meulen hat darauf inzwischen geantwortet: Die Leopoldina fühle sich nicht verpflichtet, Aufträge aus der Politik auch anzunehmen, sagte er der Süddeutschen Zeitung.

© SZ vom 14.7.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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