Wissenschaft:Heftiger Gegenwind

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Schlechtere Beziehungen, weniger Geld, tief sitzende Vorurteile: Wie Frauen in der Forschung ausgebremst werden.

Von Gaby Mayr

Die Nobelpreisträgerin schüttelt es noch heute, wenn sie an den Anruf zurückdenkt. Am anderen Ende war ein Direktorenkollege von der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), der eine Tagung über Embryonenforschung organisierte. Christiane Nüsslein-Volhard müsse unbedingt kommen, beschwor er die renommierte Embryologin, sie hätten festgestellt, dass sie überhaupt keine Frau auf der Tagung hätten. "Denen ist vorher nicht eingefallen, dass ich Embryologin bin", erinnert sich die Direktorin des Tübinger Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie. Ein Beispiel für die Ignoranz männlicher Wissenschaftler gegenüber der Kompetenz ihrer Kolleginnen - und beileibe kein Einzelfall.

"Es fehlt nicht an qualifizierten Frauen, sondern an Wertschätzung für ihre Leistung": Je höher die Positionen im Wissenschaftsbetrieb, desto geringer ist zurzeit noch der Frauenanteil. (Foto: Foto: ddp)

"An deutschen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen wird ein enormes Potenzial vergeudet, weil Wissenschaftlerinnen nach wie vor nicht die gleichen Möglichkeiten haben wie ihre männlichen Kollegen", sagt Andrea Löther vom Bonner Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS). Wie Diskriminierung beim Einstieg in die Karriere funktioniert, haben Oldenburger Sozialwissenschaftlerinnen anhand von 10.000 Doktorarbeiten an niedersächsischen Hochschulen zwischen 1995 und 2000 untersucht. Sie nahmen die finanzielle Absicherung der Promotionen unter die Lupe, weil sich viele Absolventen eine Dissertation nur leisten können, wenn sie Geld bekommen. Staatliche Stipendien wurden zu Beginn des Untersuchungszeitraumes überwiegend an Männer vergeben, von 1998 an lagen allerdings die Frauen vorn. Grund war ein Erlass des niedersächsischen Wissenschaftsministeriums, der eine gleiche Graduiertenförderung für beide Geschlechter verlangte. "Da hat eine Frauen fördernde Maßnahme deutlich gewirkt", urteilt Untersuchungsleiterin Karin Flaake.

Mehr Mittel für Männer

Wie hilfreich derartige Programme sind, beweist nach Ansicht der Oldenburger Professorin eine schwedische Studie, wonach ein Förderantrag eher positiv beschieden wird, wenn angenommen wird, er stamme von einem Mann. Eine andere Möglichkeit, eine Promotion finanziell abzusichern, ist die wissenschaftliche Mitarbeit. Über die Besetzung dieser Stellen entscheiden Professoren weitgehend im Alleingang. In Niedersachsen, so das Oldenburger Ergebnis, suchen sich die überwiegend männlichen Professoren zu zwei Dritteln männliche wissenschaftliche Mitarbeiter aus.

Nicht selten spielt in Deutschlands Wissenschaftsbetrieben bei der Entscheidung für den Mann und gegen die Frau auch die Kinderfrage eine Rolle. Kinder und Wissenschaft gehen nicht zusammen, jedenfalls nicht für Frauen und nicht oberhalb der Promotionsebene, lautet das Vorurteil. Dem erliegt auch MPG-Vizepräsident Herbert Jäckle, dem eine Ehefrau den Rücken freigehalten und drei Kinder aufgezogen hat, wenn er mit treuherzigem Augenaufschlag sagt, dass es "schwer ist, Familie und Beruf aus Sicht der Frau zu vereinbaren". Zwar sei er sich keiner Schuld bewusst, bei Bewerbungsgesprächen eine Frau benachteiligt zu haben, aber "ich bin ein Mann und sicher habe ich das getan."

Fehlende Kleinkindbetreuung, zu wenige Kindergärten und Ganztagsschulen, mangelndes Engagement der Väter und ein international nahezu einmaliger Muttermythos sind tatsächlich Hindernisse für hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen mit Kindern. Aber "die Unvereinbarkeit von Mutterschaft und Wissenschaft wird vor allem von Entscheidungsträgern und Vorgesetzten überschätzt", fasst CEWS-Mitarbeiterin Inken Lind die Ergebnisse einschlägiger Studien zusammen.

Andere Barrieren, die sich vor Wissenschaftlerinnen auftürmen, würden dagegen unterschätzt. Frauen müssen, selbst wenn sie ihre Leistungsfähigkeit bereits vielfach unter Beweis gestellt haben, dennoch gegen die Meinung ankämpfen, sie seien zeitlich weniger verfügbar und nicht so zielstrebig wie Männer - zwei Vorurteile, die eine 2003 erschienene Studie über die Integration von Frauen in die MPG widerlegt. Zumindest jene Frauen, die den Schritt in die Elite-Forschung gewagt haben, unterscheiden sich in ihrem Karriereverhalten nicht maßgeblich von Männern.

Warum die Männerquoten bei Hochschulprofessuren mit annähernd 90 Prozent und bei den MPG-Direktorenstellen mit über 95 Prozent immer noch an realsozialistische Wahlergebnisse erinnern, erklärt Lind mit "einer Anhäufung scheinbar kleiner Benachteiligungen". Bei Berufungsverfahren werden ihre Qualifikationen geringer bewertet, sie erhalten schlechtere Verträge mit kürzerer Laufzeit und geringerer Ausstattung und ihre Fachbeiträge werden nicht wahrgenommen oder abgewertet.

An einer Hochschule im Ruhrgebiet etwa wurde eine hochqualifizierte Informatikerin auf den ersten Platz einer Berufungsliste gesetzt. Die Inhaberin einer gut ausgestatteten Stelle in den USA wollte gerne nach Deutschland zurückkehren, sagte aber trotzdem ab, weil Personal- und Sachmittel unattraktiv waren. Ein paar Monate später erhielt ein Mann die Stelle - und es wurde bekannt, dass die Universität ihm eine wesentlich bessere Ausstattung zugesagt hatte. Wissenschaftlerinnen mit Billigtarifen abzuspeisen ist ein probates Mittel, ihnen die Karriere zu erschweren oder, wenn sie schon Karriere, vorzugsweise im Ausland, gemacht haben, die Rückkehr nach Deutschland zu verleiden, sagt Lind.

Gute Chancen für Ziehsöhne

Noch heftigeren Gegenwind als an Hochschulen bekommen leistungsstarke Wissenschaftlerinnen bei der MPG zu spüren. Dort ist die Besetzung der Direktorenposten besonders von persönlicher Einflussnahme und Unterstützung abhängig, denn ein Großteil der ranghöchsten Posten wird nicht ausgeschrieben. Statt dessen sucht man in der internationalen Wissenschaftsgemeinde nach geeigneten Kandidaten, anschließend muss sich der Ausgewählte vor einem hochkarätig besetzten Symposium bewähren.

"Unser Ziel ist, den Frauenanteil auf ein international vergleichbares Niveau zu erhöhen", versichert Personalreferatsleiterin Susanne Mellinghoff. Allerdings ist in europäischen Vergleichsstudien belegt, dass die Chance für Frauen, sich in einer männlich geprägten Institution durchzusetzen umso höher ist, je formalisierter und nachprüfbarer das Auswahlverfahren ist.

Immerhin wurden bei der MPG in jüngster Zeit mehr Wissenschaftlerinnen eingeladen, und dann ist die Enttäuschung jedes Mal groß, wenn eine von ihnen absagt. Hausintern besteht durchaus der Vorwurf, dass manche Absage in Kauf genommen wird, weil man eine zu renommierte und etablierte Frau anfragt. Und während Wissenschaftlerinnen sich vielfach bewährt haben müssen, bevor sie auf eine MPG-Einladung hoffen dürfen, würde bei den Männern gerne mal ein "Shooter" angesprochen, der sich bis dahin erst mit einer Idee international hervorgetan hat. Oder es wird gleich der Ziehsohn des alten Direktors installiert, auch wenn es Proteste führender MPG-Wissenschaftlerinnen hagelt, so geschehen am Berliner Institut für Bildungsforschung.

Unterhalb der Direktorenebene hat sich der Frauenanteil zwar in den vergangenen Jahren erhöht, er nimmt aber mit jeder Karrierestufe rapide ab. "Es fehlt nicht an qualifizierten Frauen, sondern an Wertschätzung für ihre Leistung", folgert MPG-Gleichstellungsbeauftragte Marlis Mirbach aus dem Auseinanderklaffen von Qualifikation und Karriere bei Wissenschaftlerinnen.

Eine beachtliche Doppelkarriere hat Antje Boetius hingelegt. Die 37-jährige Expertin für Meeresbakterien ist Arbeitsgruppenleiterin am Bremer Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie und hat eine Professur an der International University Bremen. "¸Ganz klar habe ich mehr Doktorandinnen in meiner Arbeitsgruppe als die Kollegen", stellt sie lachend einen Zusammenhang zwischen ihrem Geschlecht und dem ihrer Mitarbeitern her. Sie selber hatte ebenfalls eine renommierte Mentorin. Vorherrschend sind aber auch in Antje Boetius' Fach männliche Seilschaften, erst kürzlich gut zu beobachten, als das Redaktionsgremium für eine neue europäischen Fachzeitschrift für Geowissenschaften zusammengestellt wurde: "Das besteht, trotz Kritik aus dem Ausland, zu fast 90 Prozent aus Männern und entspricht damit überhaupt nicht der Zusammensetzung in dieser Wissenschaft."

Christiane Nüsslein-Volhard jedenfalls hat inzwischen beschlossen zu handeln. Sie hat kürzlich eine Stiftung gegründet, die Wissenschaftlerinnen Geld geben will - nicht für Forschung, sondern für die Kinderbetreuung oder eine Haushaltshilfe. So kann es auch keinen Anlass mehr für den Verdacht geben, Frauen seien nicht engagiert genug.

© SZ vom 7.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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