Werbung:Die Ideen-Produzenten

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Ein Anglist, eine Weltreisende und ein Praktikant auf dem Weg zum Kreativdirektor: Wer in die Werbung will, muss mehr können als Sprüche klopfen.

Von Berit Schmiedendorf

Eine schnelle, eine schicke Branche. Irgendwie wäre man ja gerne selber dort: in der Werbung. Würde mit einem Audi TT von einem Meeting zum nächsten kurven und zwischendurch die Kollegen in der Agentur mit den dollsten Ideen beeindrucken. Man wäre nicht reich, aber begütert und - zumindest in der kleinen, feinen Szene - bekannt.

Ausschnitt aus einem Werbeplakat für die Computermesse Systems. (Foto: Foto: dpa)

Ist es so? Wenn man Benedikt Hüttel zuhört, könnte man meinen, er schliddere mit voller Fahrt Richtung Burn-Out-Syndrom: Sein Job schmerzt ihn. Fast alles, was er sich ausdenkt, landet im Papierkorb. Die enge Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Georg erinnert ihn mitunter an eine Ehe, da ähnlich konfliktträchtig. Und dann "muss man immer irgendwie seine Birne anstrengen", selbst vom Fahrrad auf dem Weg nach Hause springt Benedikt manchmal ab und kritzelt sich schnell ein paar Notizen in seinen Block. Dabei hat der 35-Jährige seit Februar einen Traumjob: Er ist Texter bei McCann Erickson, der größten Werbeagentur der Welt.

"Die Fliegenpreise der neuen Condor." Diesen und weitere Slogans für die Frankfurter Charterfluggesellschaft hat Benedikt Hüttel sich ausgedacht. Er hat die Fliege und das Fliegen, das ja irgendwie absolut Naheliegende, zusammengebracht. Und sich mit seiner Idee gegen Dutzende andere Condor-Claims bei der Kundenpräsentation durchgesetzt. Für jemanden, der erst im Frühjahr als Junior Copywriter angefangen hat, ist das ein schöner Erfolg.

Doch die Fliegenkampagne ist eben nicht alles. Auch Microsoft, Cathay Pacific und die Swiss Air erwarten Woche für Woche eingängige Headlines. "Unter Zeitdruck eine Idee zu haben, das ist einfach beschissen harte Arbeit. Und fast noch größer ist die Herausforderung, damit fertig zu werden, auch mal keine Idee zu haben", sagt Juniortexter Hüttel.

Keine Idee zu haben ist auf Dauer schlecht. "Seit 2001 verzeichnet die Werbebranche eine rückläufige Beschäftigtenentwicklung", sagt Matthias Schönert vom Bremer Institut für Wirtschaftsforschung (BAW). Zwischen 2001 und 2003 hat mehr als jeder Zehnte seinen Arbeitsplatz in der Werbung verloren. Das entspricht zirka 13.700 Beschäftigten.

Inzwischen werden zwar wieder vereinzelt Jobs vergeben, doch der Weg zur Neueinstellung ist zäh: "Es war ein langer Kampf und mein Glück, dass just im richtigen Moment noch ein Etat dazu gewonnen wurde", sagt Sabine Hentrich. Seit Anfang August darf sich die 25-Jährige mit dem Titel "Assistant to Management" bei McCann Erickson schmücken und ein winziges Büro ihr eigen nennen. Zuvor war die Diplom-Betriebswirtin, die ihren Abschluss an der Fachhochschule in Mainz gemacht hat, ein halbes Jahr Praktikantin bei der Frankfurter Werbeagentur - für 400 Euro im Monat.

"Ich hätte kein Praktikum mehr gemacht", meint Benedikt Hüttel. Er war 34 Jahre alt und bereits Papa, als er 20 Bewerbungen an diverse Kreativ-Agenturen im Frankfurter Raum versendete. Eine feste Stelle hatte er bis dato nicht, aber reichlich Erfahrung: Buchhändlerlehre, Studium der Anglistik und Soziologie, freier Korrektor, Besuch einer Texterschule, Praktikum bei Leo Burnett. "Eigentlich wollte ich immer Bücher machen", erzählt er, auch über ein Dissertationsprojekt hat er monatelang nachgedacht. Zu guter Letzt hat er sich für's Geld verdienen entschieden.

Zwischen 2000 und 2500 Euro beträgt das Monatssalär für Berufseinsteiger in der Kreation, Beratungsjobs wie der von Sabine Hentrich liegen ähnlich. "Man verdient in der Werbung relativ lange wenig Geld, aber wenn einmal der Schalter umgelegt ist, macht man einen extrem großen Satz", sagt Ruber Iglesias, Direktor der Frankfurter McCann Erickson-Niederlassung. Ein gestandener Texter oder Kreativdirektor könne locker 5000 Euro im Monat kassieren, so Iglesias.

Doch unabhängig von Einkommen und Position wird voller Einsatz von allen verlangt: Selbst Praktikanten unterwerfen sich den branchenüblichen Arbeitszeiten, die selten vor 19 Uhr enden. Und in den Wochen vor einer Präsentation, dem Pitch, ist oft genug Nacht- und Wochenendarbeit angesagt.

In seiner Frühjahrsumfrage unter deutschen Agenturchefs erkundigte sich der Gesamtverband der Kommunikationsagenturen, GWA, nach dem Thema Ausbildung und Nachwuchs und stellte fest: "Insgesamt nimmt die Akademisierung in der Branche zu." Der Umfrage zufolge verfügen beispielsweise im Bereich Beratung vier von zehn Mitarbeitern über einen Hochschulabschluss. Erstaunlich groß ist aber auch der Anteil von Mitarbeitern, der eine Lehre als höchsten Abschluss vorweisen kann: immerhin jeder Zehnte in Kreation und Beratung und jeder Zweite in den Bereichen Media und Administration.

Der kostenlose Rohdiamant

Mediengestalter für Digital- und Printmedien, das ist genau das, was Jonas Grünarml, 20, werden will. Seit Mai ist er Praktikant in der Grafikabteilung bei Ad Mission, einer kleinen Werbeagentur in Dieburg bei Darmstadt, die die Zeitarbeitsfirma Randstad sowie Hersteller von Computerspielen als Kunden betreut. Als Jonas im Frühsommer bei Ad Mission begann, hatte er von Photoshop und Pixeln keine Ahnung. Jetzt, ein halbes Jahr später, ist er ein gefragter Logoentwickler: Zuerst hat er das Layout für ein neues Computerspiel entwickelt. Dann durfte er sich an einem Firmenlogo für einen Knochenzementhersteller wagen.

"Jonas ist unser ungeschliffener Rohdiamant, er ist unfassbar kreativ", sagt seine Chefin Alessandra Pogadl über ihren Praktikanten. Gerne würde sie ihn in seinem Traumberuf ausbilden, "doch im Moment haben wir nicht die Kapazität". Dabei sah es eigentlich ganz gut aus für Jonas. Wochenlang habe man ihm Hoffnungen gemacht auf einen Ausbildungsplatz, sagt Jonas. Als die Agenturgesellschafterin ihm Ende August dann schließlich mitteilte, dass es dieses Jahr nichts mehr wird mit seiner Lehrstelle, "war das ein ziemlicher Schock", sagt Jonas. Also sitzt er erst mal weiterhin als unbezahlter Praktikant vor seinem Bildschirm in Dieburg. Von dem Geld, das Ad Mission für sein Computerspiel-Logo erhalten hat, sieht Jonas nichts: "Dass er das Logo entwickelt hat, ist in unserer Branche mehr Wert als 3000 Euro auf die Hand", findet Frau Pogadl. Praktikantenschicksal.

Die Suche nach dem Abschluss

Wie also kommt man nun rein in die Welt der Labels und Logos, der Teasers und Testimonials? Neben einer Berufsausbildung oder einem Studium gibt es noch einen weiteren Weg: die Ausbildung an einer Privatschule. Die BAW München und Nürnberg, die WAK in Köln oder die WAM in Dortmund bilden beispielsweise Kommunikations- und Marketingwirte aus. Die Klassen sind überschaubar, die Lehrpläne straff und praxisorientiert, das Studium effizient: An der WAM zum Beispiel erfolgt die Abschlussprüfung bereits nach sechs Semestern. Allerdings kostet der Besuch Geld. In Dortmund etwa müssen die Studierenden der WAM zwischen 530 und 560 Euro Studiengebühren im Monat berappen.

In der Branche sind Kommunikations- und Marketingwirte begehrt: Arbeiteten 1999 noch 78.000 MaWis in Deutschland, so sind es mittlerweile annähernd 100.000. Doch die Zeiten, in denen jeder Absolvent bereits vor seinem Abschluss einen Job in der Tasche hatte, sind vorbei. "Es gibt immer mal welche, wo es nicht ganz so rund läuft", sagt Daniel Poznanski, stellvertretender Akademieleiter der WAM. Zur Zeit habe "zwischen einem Drittel und der Hälfte der Absolventen nach Abschluss des Studiums nicht sofort eine feste Stelle".

Kurzfristige Bedürfnisse

Bei Larissa-Madeleine Probst läuft es rund. Gerade mal zwei Jahre ist es her, dass die 24-Jährige ihren Abschluss als Kommunikationsdesignerin an der WAM abgelegt hat. Heute organisiert sie Studentenpartys an der Dortmunder Uni, veranstaltet Ski-Reisen und arbeitet ehrenamtlich im Marketing für Amnesty International. Gleich nach dem Diplom wollte die Dortmunder Agentur six4media Larissa fest als Art Director verpflichten, doch "direkt nach dem Diplom arbeiten? Nö." Larissa ging erst mal auf Weltreise. Nach sieben Monaten kam sie zurück und nahm die Stelle an: Graphik, Kundenkontakte, Eventmanagement. Mittlerweile ist sie eine von sechs Gesellschaftern bei der Agentur für Hochschulmarketing und findet es gar nicht mehr schlimm, höchstens für eine Woche im Jahr zu verreisen.

"Ich glaube, jeder kann einen Job finden, man muss nur Kompromisse schließen", sagt Larissa. "Die, die während des Studiums gearbeitet haben, haben den Einstieg gut gepackt und auch eine Arbeit bekommen." Und die anderen? Viele Absolventen ihres Jahrgangs suchen noch nach einer Festanstellung.

Oft ist es einfach auch nur der berühmte Zufall, ob man einen Job in einer Agentur bekommt. "Die Kommunikationsbranche hat häufig kurzfristige Bedürfnisse, deshalb rekrutieren Agenturen ihr Personal auch per E-mail oder Aushang in den Schulen", sagt Poznanski von der WAM. Ein wichtiger Treffpunkt ist auch der jährliche Werbekongress in Berlin, eine Nachwuchsveranstaltung, bei der immer wieder Jobs vergeben werden.

War da noch was? Oh ja, die tröstliche Nachricht zuletzt: Quereinsteiger haben in der Werbebranche gute Chancen. Sebastian Turner, Vorsitzender des Art Directors Club und Kreativchef bei Scholz & Friends, gilt als WerbeGuru - und ist Autodidakt. Die meisten der 108 Agenturchefs, die der Gesamtverband in seinem Ausbildungsmonitoring befragte, geben "Unqualifizierten" ebenfalls eine Chance: "Die Chancen für talentierte Quereinsteiger sind nach wie vor groß: Für 59 Prozent der Agenturen spielt in der Kreation der Abschluss keine Rolle. Was zählt, ist allein die erbrachte Leistung."

© SZ vom 23.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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