Weiterbildung:I schwätz Hochdeutsch

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Daumen in den Mund, Lippen spitzen: Wie Schwaben üben, ihre Mundart loszuwerden.

Von Bernd Dörries

Stuttgart, im Juli - Tim P. hat sich in den vergangenen Wochen den Daumen in den Mund gesteckt, beim Sprechen die Lippen zu einem Ring geformt und abends dem Sprecher der Tagesschau genau zugehört. Das waren seine Übungen. Er spricht nun den Satz, der einer der schwierigsten von allen sein soll. "Die Eltern waren Sportler, die Kinder waren Sportreporter." Tim P. ist in Stuttgart geboren und spricht auch so. Er ist 27 Jahre alt, arbeitet in einer großen Bank und möchte seinen richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Weil die Kollegen und die Familie nichts davon wissen. Tim P. versucht, sein Schwäbisch loszu- werden. Dafür besucht er einen Kurs.

Schöne Kampagne, auch wenn es nicht ganz stimmt. Hochdeutsch können Schwaben schließlich auch, wenn sie denn wollen. (Foto: Foto: AP)

Über Jahre hinweg wurde er immer wieder darum gebeten, doch etwas deutlicher zu sprechen und langsamer. Und wenn er abends die Tagesschau sah, dann dachte er, es wäre doch schön, so sprechen zu können. Richtig hochdeutsch. Sauber und erhaben klinge das, sagt er. "Das strahlt schon eine andere Kompetenz aus als Schwäbisch." Das wirke oft etwas dümmlich, hinterwäldlerisch. So möchte er nicht rüberkommen. Deshalb sitzt Tim nun mit fünf anderen Teilnehmern beim Sprachinstitut "Fon" im Kurs: Ein Unteroffizier ist dabei, eine Lehrerin, ein Bauleiter und eine Software-Spezialistin. Sie alle sagen, dass sie privat gerne schwäbisch sprechen. Nur im Beruf sei es eben eher von Nachteil.

"Wir können alles, auch Hochdeutsch", hat die Sprachtrainerin Ariane Willikonsky den Kurs genannt. Die Nachfrage sei groß, sagt sie. Führungskräfte von DaimlerChrysler und Siemens seien bei ihr gewesen. Manche Firmen bezahlten ihren Mitarbeitern den Kurs. Der Titel des Kurses ist die Umkehrung der Image-Kampagne von Baden-Württemberg, die unter dem Titel "Wir können alles. Außer Hochdeutsch" auf die positiven Seiten des Landes aufmerksam machen will und dafür auch einige Preise bekommen hat. Nur die Attraktivität des hiesigen Dialekts hat sie nicht verändern können.

Im Berufsleben ist er nicht unbedingt ein Karrierevorteil. Der Bauleiter sagt, bei Besprechungen stelle er schon fest, dass die Leute besser zuhören, wenn er nun laut und deutlich spreche. Die Lehrerin sagt, sie habe oft Vorwürfe von Schülern und Eltern bekommen, wegen ihres Dialektes. "Die haben schlechte Diktate geschrieben und sagten, es liege an meiner undeutlichen Aussprache." Sie sitzen im Sprachinstitut an einem großen Tisch und tragen ihre Hausaufgaben vor. "Auf der Bahn sitzt ein Hahn und schaut mich an", lautet einer der Übungssätze. Ariane Willikonsky, die Kursleiterin, steht vorne an der Tafel und trägt eine weiße Hose, wie es Ärzte im Krankenhaus tun. Sie verspricht Heilung in zehn Kursstunden. Die Diplom-Sprecherzieherin garantiert jedem, der ihren Kurs besucht, am Ende die Hochlautung zu beherrschen, so heißt das hochdeutsch in der Fachsprache.

"Schwaben und Sachsen sprechen beide dorsal, sie bilden die Laute weit hinten in der Kehle", erklärt Willikonsky. Das hört sich oft so an, als hätten sie Schnupfen oder hielten sich die Nase zu. "Es führt auch zur Kopfstimme, die hoch und piepsig klingt." Weil die Wörter so weit hinten gebildet werden, klinge das Schwäbisch immer etwas defensiv und manchmal klosig-weinerlich. Anders sei es mit dem Bairischen oder dem Berlinern. Beide Dialekte werden ganz vorn im Mund gebildet. Das gibt ihnen etwas forsch Selbstbewusstes. "Die sprechen mit dem Brustton der Überzeugung."

Ihre Kunden lässt Ariane Willikonsky nun den Daumen in den Mund stecken, damit der beim Sprechen weit geöffnet ist. Sie lässt die Lippen spitzen, damit der Dialekt nicht so breit wirkt. Aber eines, sagt sie, habe sie nicht vor. "Wir wollen nicht, dass man das Schwäbisch verlernt." Es gehe nur darum, in bestimmten Situationen von Schwäbisch auf Hochdeutsch umzuschalten. "Ich bin eigentlich ein großer Fan des Schwäbischen", sagt sie.

Dass der Ruf des Dialektes so schlecht ist, hängt für sie auch damit zusammen, das oft ein falsches Schwäbisch verbreitet werde. Im Tatort aus Stuttgart zum Beispiel. "Wir echten Schwaben können den Kommissar Bienzle im Fernsehen nicht ertragen", sagt sie. Der spreche ein künstliches und falsches Schwäbisch. Ariane Willikonsky sagt, sie könne ihren Kurs auch umgekehrt anbieten: Hochdeutschen das Schwäbische beibringen. Das sei allerdings etwas komplizierter.

© SZ vom 12.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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