Uni München:Tanker der Wissenschaften

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Die Ludwig-Maximilians-Universität profitiert nicht nur von ihrer Größe, sondern auch vom Zusammenspiel mit anderen Münchner Instituten.

Von Christine Burtscheidt und Martin Thurau

Die Mitte liegt westwärts, dort wo die Stadt im Eigenheim-Teppich ausfranst. Hier sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten Universitätsinstitute für Gentechnik, Chemie und Biologie sowie ein Gründerzentrum gewachsen, in direkter Nachbarschaft zu Großklinikum und den Waschbetonterrassen der Max-Planck-Institute für Biochemie und Neurobiologie. Und drüben jenseits der Stadtgrenze mischen sich im Gewerbegebiet die Zweckbauten der etablierten Startups dutzendweise zwischen die windigen Kisten der Baumärkte und Discounter. Gentech und Gamsbart: Die Biotechnologie-Region Großhadern-Martinsried gilt als eine der führenden Europas.

Das Zauberwort

Die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) hat an dieser Entwicklung einen entscheidenden Anteil. Das Genzentrum, Anfang der 80er eingerichtet, und das Klinikum gelten als Brutkästen der biomedizinischen Forschung. Umgekehrt schafft der Standort mit seiner Größe ein günstiges Klima auch an den Instituten der Universität - eine befruchtende Wechselwirkung, wie LMU-Rektor Bernd Huber schwärmt.

Doch nicht nur die Max-Planck-Institute, auch die Nähe der Technischen Universität mit ihrem ebenfalls hervorragenden Ruf und dem ehrgeizigen, reformfreudigen Präsidenten Wolfgang Herrmann, facht den Wettbewerb an. Und vielleicht lässt sich mit dieser Ballung von Tausenden von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen am ehesten das Zauberwort von der "kritischen Masse" versinnbildlichen. Hochschulpolitiker führen dies oft als wichtiges Erfolgsgeheimnis der LMU an, eine der größten unter den Anwärtern auf den Titel der deutschen Eliteuniversität.

Dabei ist die Universität, gemessen an den altehrwürdigen Lehranstalten Tübingen und Heidelberg, eher jung. Zwar wurde sie als erste bayerische Universität bereits 1472 von Herzog Ludwig dem Reichen in Ingolstadt gegründet. Aber erst 1826 kam sie, nach einem Zwischenaufenthalt in Landshut, endgültig nach München und wuchs dort, dank der Unterstützung durch Ludwig I., rasch zu einem bedeutenden Zentrum der Wissenschaft.

"Die LMU ist die Nummer eins", behauptet Huber. Dem Wettbewerb der Bundesregierung, bei dem die fünf besten deutschen Universitäten mit jeweils 50 Millionen Euro jährlich bedacht werden sollen, begegnet der Rektor mit großer Gelassenheit. Das liege auch an der Qualität des Standortes. Bis zur Wiedervereinigung sei München mit seiner Fülle auch außeruniversitärer Einrichtungen ohnehin das deutsche Wissenschaftszentrum gewesen; jetzt habe sich jedoch Berlin zu einem, wie Huber sagt, "echten Wettbewerber" entwickelt, der an wissenschaftlicher Größe und kulturellem Gewicht durchaus mithalten könne. Elite ist im übrigen kein Wort, das der Finanzwissenschaftler gerne benutzt. Er spricht lieber von "wissenschaftlicher Exzellenz" und "Spitzenforschung", die die LMU auszeichneten. In diesem Zusammenhang verweist er gerne auf die Summe der Rankings, die seine Hochschule ganz weit vorne sehen, nicht nur in den biomedizinischen Fächern.

In Rankings immer vorne

Dem wichtigen Ranking der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zufolge fährt die LMU nach der Technischen Hochschule Aachen die meisten Drittmittel ein. Misst man allerdings den absoluten Geldbetrag an der Zahl der Professoren, rutscht sie auf Platz 26 ab. Weshalb sich die Frage stellt, welchen Anteil die Masse an der Qualität hat. Doch auch andere Maßstäbe als die Drittmittel lassen die Universität gut dastehen. So stellt sie die meisten Gutachter für die DFG, was ein Hinweis auf das Renommee unter den deutschen Forschern ist. An der LMU arbeiten zudem die meisten ausländischen Gastwissenschaftler, die mit der Humboldt-Stiftung ins Land kommen. Das spricht für den guten internationalen Ruf - selbst wenn die Hochschule weltweit gesehen über das Mittelfeld nicht hinauskommt. Ein Ranking des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh sieht die LMU gar vor der Berliner Humboldt-Universität als forschungsstärkste Hochschule in Deutschland. In zehn von 13 gewerteten Fachbereichen - von der Anglistik bis zur Volkswirtschaft - gehört sie zu den Top Ten.

Huber selbst nennt als besonders erfolgreiche Disziplinen neben den Bio- vor allem die Nanowissenschaften. Die Hochschule habe ihre Kräfte mit einem eigenen Zentrum gebündelt, einem fakultätsübergreifenden Forschungsverbund. Daneben sind laut Huber die Anglistik und die Geschichtswissenschaften bundesweit in der Spitzengruppe, ebenso die Wirtschaftswissenschaften.

Fluch und Segen

Die LMU ist als so genannte Volluniversität ein Tanker unter den bundesdeutschen Hochschulen. 47.700 Studenten, gut 160 Fächer von Assyriologie bis theoretische Linguistik, 700 Professoren und 4800 wissenschaftliche Mitarbeiter. Dabei ist die schiere Größe Fluch und Segen zugleich. Einerseits befördert sie den wissenschaftlichen Austausch und den interdisziplinären Dialog - eine Voraussetzung für gute Forschung und Lehre. Auf der anderen Seite wird die Mammut-Universität entsprechend viele Stellen abgeben müssen. Damit wird es aber immer schwieriger, die Vielfalt zu hegen.

Denn Bayern spart inzwischen drastisch an der Infrastruktur und der Personalausstattung seiner Hochschulen. In diesem Jahr sind es fünf Prozent, die Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU) zur Konsolidierung des öffentlichen Haushalts beitragen soll. 280 Stellen müssen die neun staatlichen Universitäten abtreten, ungefähr ein Viertel davon allein die LMU. Bis 2008 könnten es nochmals zehn Prozent sein. Ohnedies sind die Hochschulen aufgefordert, intern neu zu gewichten und umzuschichten. Und so viel ist klar: Diese, von der Politik beschönigend als "Profilbildung" bezeichneten Kürzung wird ihren Tribut fordern.

Lehrstühle in Gefahr

Das zeigt das Beispiel der Historiker. Mit ihrem hohen Drittmittel-Aufkommen - bis zur Hälfte der staatlichen Förderung - rangiert das Münchner Historicum bundesweit ganz vorne. Als unlängst der Dekan der Geschichts- und Kunstwissenschaftlichen Fakultät, Winfried Schulze, dem Minister Goppel vorschlug, das zu honorieren und bei den Kürzungen differenzierter vorzugehen, wehrte der CSU-Mann brüsk ab. So müssen die erfolgreichen Historiker wie alle anderen Fakultäten an der LMU ihren Etat zusammenstreichen - um 235.000 Euro allein in diesem Jahr. Das entspricht immerhin zwei Professuren.

Zugleich steigen die Studentenzahlen. "Wir haben bereits eine Auslastung von 215 Prozent", sagt der Dekan. Durchschnittlich betreut ein Professor 70 Studenten - "sieben Mal so viel wie an den amerikanischen Spitzenhochschulen", sagt Schulze. Noch schlechter wird das Verhältnis, wenn die Staatsregierung bei ihren rigiden Kürzungsplänen bleiben sollte. Dann, so der Dekan, würden drei weitere Lehrstühle wegfallen.

Schulze verfolgt die neue Debatte über deutsche Eliten mit Skepsis. Was solle er als ehemaliger Vorsitzender des deutschen Wissenschaftsrats auch davon halten, dass sich der Staat immer mehr aus der Grundfinanzierung der Hochschulen zurückziehe? Zugleich spreche die Politik ständig von Spitzenforschung und glaube, dies mit Sonderprogrammen zu erreichen, die auf die rudimentäre Ausstattung draufgesattelt werden. Würde die Politik ihre Forderung nach Eliteuniversitäten ernst nehmen, müsste sie endlich die Ausgaben für Bildung von bundesweit 2,4 auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben, sagt er. "50 Millionen Euro Sondermittel pro Universität sind doch grotesk." Auf jeden Fall sollte der Staat, rät Historiker Schulze, in die fünf herausragenden deutschen Universitäten "mit langem Atem" investieren.

Wenn Deutschlands Hochschulen zur internationalen Spitze aufschließen wollten, setze dies die Bereitschaft voraus, den Universitäten konstant mehr Geld zur Verfügung zu stellen, sagt auch LMU-Rektor Huber: "Mit einem einmaligen Strohfeuer ist es nicht getan." Man müsse die Wissenschaft, vor allem die Grundlagenforschung, unterstützen, ohne gleich vermarktbare Anwendungen zu erwarten und dürfe nicht einfach Geld "ins System schütten". Außerdem hält der Universitäts-Chef weitere Reformen für dringend erforderlich. Er will für seine Hochschule größere Autonomie. Außerdem soll sie ihre Studenten selbst aussuchen können.

© SZ vom 9.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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