Uni Konstanz:Attraktiver Ankerplatz am See

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Kleinheit ist die Stärke der Reformuniversität im Südwesten, deren Forscher besonders viele Drittmittel einwerben.

Von Wulf Reimer

Bei klarer Sicht kann der Rektor von seinem Dienstzimmer im neunten Stock des Verwaltungsgebäudes bis zum Säntis in den Schweizer Alpen sehen. Ein großartiges Panorama. Wenn man Rektor Gerhart von Graevenitz indes nach der exklusiven Grundbedingung für den hohen Standard der Universität Konstanz fragt, ist sein Blick fest nach innen gerichtet, auf den akademischen Mikrokosmos: Der Campus auf dem Gießberg ist, obwohl sich die einst geplante Zahl von 3000 Studenten längst auf das Dreifache erhöht hat, überschaubar geblieben. Uni ohne Institute

Im Vergleich mit München oder Berlin, selbst Heidelberg, Freiburg und Tübingen ist die Uni am Bodensee klein - und darin liegt ihre Stärke. Hörsäle, Kursräume, Labors und Werkstätten sind, ein paar Kilometer außerhalb der Stadt, auf engem Raum versammelt. Man läuft sich oft über den Weg. Der Rektor trifft und kennt die knapp 180 Professoren. "Man geht über den Flur, schon ist der Biologe beim Informatiker", schildert Graevenitz den Vorzug solcher Nachbarschaften. Der bald 60-jährige Germanist, dessen Lehrstuhl bei den Literaturwissenschaftlern steht, könnte ebenso gut Beispiele aus dem eigenen Fach nennen.

Gefördert wird die akademische Teamfähigkeit durch eine weitere Besonderheit: Es gibt weder die üblichen Institute noch Seminare - und deshalb auch keine institutionellen Hindernisse. Stattdessen sind 40 Fächer drei Sektionen zugeordnet. Das Fehlen von Institutsbarrieren ist Voraussetzung für ein weiteres Spezifikum des attraktiven Ankerplatzes am See: Alle Bücher stehen in einer zentralen Bibliothek - und diese ist von Montag bis Freitag rund um die Uhr, an Wochenenden und Feiertagen immerhin von 9 bis 23 Uhr geöffnet. Wie die für das Jahr 2003 am Nachteingang statistisch erfassten 83.742 "Betretungen" belegen, wird der Service rege genutzt, vor allem von allein erziehenden Müttern und Examenskandidaten. Der Bestand ist in kaum vier Jahrzehnten auf mehr als zwei Millionen Bände angewachsen.

Sprudelnde Geldquellen

Das von der Campus-Situation begünstigte dichte wissenschaftliche und soziale Gefüge in Konstanz liefert eine der möglichen Erklärungen für einen Spitzenplatz bei nationalen Rankings. Insbesondere bei Drittmitteln pro Kopf liegt Konstanz ganz vorne. Offenkundig motiviert das freundliche Betriebsklima am See zu Höchstleistungen, was sich an kräftig sprudelnden Geldquellen zeigt. Über den vom Land Baden-Württemberg bewilligten Etat von 73 Millionen Euro hinaus erwartet die Universität im laufenden Jahr ungefähr 25 Millionen Euro an Drittmitteln, mehr als die Hälfte davon von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Anerkennend hat Die Zeit festgestellt: "Die Denker vom Bodensee werben in den Geistes- und Sozialwissenschaften fast doppelt so viele DFG-Drittmittel ein wie die Konkurrenz." Trotz knapper werdender finanzieller Ressourcen konnten 2003 fast zehn Prozent mehr Drittmittel an Land gezogen werden als im Jahr davor.

Was den Rektor angesichts des international anerkannten Begutachtungsverfahrens der DFG zu der Bemerkung veranlasst, "dass die Steigerung hier die Exzellenz Konstanzer Wissenschaft dokumentiert". Wie zum Beweis dieser Behauptung hat mit dem Literaturwissenschaftler Albrecht Koschorke bereits zum fünften Mal ein Konstanzer den höchstdotierten deutschen Förderpreis erhalten, den Leibniz-Preis der DFG. Der Philosoph Jürgen Mittelstraß übrigens hat mit der üppigen Leibniz-Dotation den Aufbau eines Philosophischen Archivs, wo der Hans-Jonas-Nachlass aufbewahrt wird, finanziert - ein Beispiel für Konstanzer Universitätssinn.

Ob der damalige Stuttgarter Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger solche Früchte seiner politischen Landschaftspflege erahnt haben mochte, als er 1959 anlässlich einer Bauernkundgebung bei Singen dem Landrat Ludwig Seiterich eine handschriftliche Notiz zuschob? Auf den Zettel hatte er notiert: "Ich habe vorhin (Stadtrat) den Gedanken - falls Universitätsgründungen notwendig werden - Konstanz für unser Land vorgeschlagen." Was immer auch Kiesinger intendiert haben mochte, ist jenes Blatt Papier heute Teil der "Schöpfungslegende".

Letzter Überlebender aus dem Kreis der Gründungsprofessoren, die die Reform-Hochschule konzipiert und im Frühjahr 1967 im Insel-Hotel den Lehrbetrieb begonnen haben, ist Ralf Dahrendorf. Der Lord-Soziologe hält Verbindung zur früheren Wirkungsstätte und ist gern gesehener Gast in einer von seinen Nachfolgern veranstalteten "Meisterklasse". Manches vom ursprünglichen Reformentwurf ist entweder nicht ernsthaft versucht worden oder aber gescheitert. Dies gilt zum Bedauern einiger nach Bremen abgewanderter Hochschullehrer für das Modell einer demokratisch verfassten Gruppenuniversität. Die meisten jedoch sind zufrieden.

Fruchtbare Tischgespräche

Gleichwohl weht ein frischer Wind auf dem Gießberg. Pioniergeist ist zu spüren, wenn die für die Lehre zuständige Prorektorin Astrid Stadler, Inhaberin eines Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht, die zum Teil bewältigte Umstellung auf neue Bachelor- und Master-Studiengänge frohgemut mit dem Satz kommentiert: "Wir liegen in Baden-Württemberg deutlich vorn." Wie der Rektor sieht auch die Juristin den kleinen Campus als Vorteil an. "Viele Projekte werden in der Mensa beim Mittagessen besprochen."

Walter Salzburger würde sofort zustimmen. Der 29-jährige Biologe, glänzend promoviert und ausgestattet mit einem EU-Stipendium, war bereits in Harvard und wird bei Gelegenheit wieder in die USA gehen. Doch Salzburger, der die Evolution der Buntbarsche in ostafrikanischen Seen erforscht, will zurückkommen. Der Österreicher findet die Atmosphäre inspirierend in Konstanz, wo er Mitglied ist im Forschungszentrum für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Dieses bietet jungen Postgraduierten, unter anderem beim wöchentlichen Jour fixe, ein Forum für eigene Projekte.

Wem es zu eng wird, wer der Nahsicht auf die Blumeninsel Mainau und der Fernsicht auf den Säntis müde wird, kann ausweichen an die Internationale Bodensee-Hochschule. Der Verbund reicht von Konstanz über St. Gallen bis Zürich. Diese Perspektive mag hinwegtrösten über Regenwasser, welches durch marode Flachdächer dringt, für deren Sanierung das Geld fehlt. "Flachdächer der 70er Jahre", sagt Rektor von Graevenitz, "sind so ziemlich die größte Katastrophe, die einen treffen kann."

© SZ vom 16.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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