Uni Karlsruhe:Akademische Katalog-Lüge

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Baden-Württembergs Unis streichen und straffen - nun wollen sich Karlsruher Hochschüler ihren alten Studiengang zurückklagen.

Von Frank van Bebber

(SZ vom 15.9.2003) Eine Katalog-Lüge war bislang eine Spezialität der Reiserechtler, wenn Touristen in der Ferne statt eines Traumstrandes eine Bauruine vorfanden. In Karlsruhe müssen sich am Mittwoch nun Verwaltungsrechtler mit einer Klage wegen falscher Versprechungen befassen. Vor Gericht zieht eine Schar internationaler Studenten: Maria Burgueno aus Mexiko, Melda Atakhan aus der Türkei, Ana Lopez aus Bolivien sowie weitere Hochschüler aus der ganzen Welt. Sie alle kamen in den vergangenen Semestern an die Universität Karlsruhe, um dort Regionalwissenschaft zu studieren.

Doch statt eines tadellosen Lehrplans fanden sie in der Ferne eine hochschulpolitische Baustelle vor: Der einzige Lehrstuhl und weitere2 Stellen an dem 1966 gegründeten Institut für Regionalwissenschaft waren gestrichen, übrige Posten verwaist oder neu besetzt - und das ehedem fachübergreifende Institut plötzlich Teil einer Ingenieurwissenschaftlichen Fakultät. "Wir hätten nie gedacht, dass solche Sachen in Deutschland geschehen können", empörten sich die Studenten.

Doch in Baden-Württemberg gehört Straffen und Streichen seit Jahren zum Universitäts-Alltag. Anlass für die Kürzungen bei der Regionalwissenschaft war der so genannte Solidarpakt, ein Grundpfeiler der Hochschulpolitik im Südwesten. Mitte der neunziger Jahre garantierte das Land den Universitäten für zehn Jahre fixe Etats, im Gegenzug strichen diese jede zehnte Stelle.

Die Regionalwissenschaft in Karlsruhe ist da nur einer von vielen betroffenen Studiengängen. Dennoch machen die Studenten aus ihrem Protest einen Prozess. "Der Inhalt des Studiengangs ist jetzt ganz anders, als wir es auf den Internet-Seiten und in den Studienplänen gelesen haben", sagt Ana Lopez. Deshalb will sie mit den anderen vor Gericht die frühere personelle Ausstattung und den alten Studienstoff einklagen.

Erbitterter Streit

Was die 28-jährige Bolivianerin und ihre Mitstudenten bei ihrer Einschreibung nicht wussten: Um den viersemestrigen Aufbaustudiengang wird seit dem Sparbeschluss erbittert gestritten. Auf der einen Seite kämpft der Ex-Lehrstuhlinhaber und frühere Institutsleiter Claus Heidemann. Der 70-Jährige spricht von einem Fall "nahe am Ausbildungsbetrug" und fürchtet um sein Lebenswerk. Der "Wesenskern" des Faches, der Verbund von gesellschaftlichen und natürlichen Entwicklungen, sei in der neuen Ingenieurwissenschaftlichen Fakultät aus den Lehrplänen verschwunden.

Auf der anderen Seite verteidigt der Karlsruher Rektor Horst Hippler die Einschnitte. "Die Alternative wäre gewesen: Man macht den Verein ganz dicht." Über Heidemann sagt er, wer emeritiert sei, müsse auch loslassen. Der Streit füllt längst viele Ordner. Neulich trafen sich die Universität und Heidemann wieder einmal vor Gericht. Kurz zuvor hatte Hippler das Dienstzimmer des Emeritus leer räumen lassen. Am Ende bekam Heidemann sein Zimmer nicht zurück, aber eines gleicher Größe, "in einem Radius bis zu 400 Meter" vom alten entfernt.

Der Rektor hält nun auch die klagenden Studenten für eine Truppe des Altprofessors, die Klage gehe aus "Vaterbeziehung und Gruppendynamik" hervor. "Die deutschen Studenten sind relativ erwachsen und unabhängig, das ist in andern Ländern nicht so", sagt Hippler, "mit deutschen Studenten würde das so nicht passieren".

Lästige Störung

Gut 40 Studenten, vom Geografen bis zur Medizinerin, sind in Karlsruhe in Regionalwissenschaft eingeschrieben. Alle haben bereits einen Studienabschluss. Seit 1972 gab es 277 Absolventen, mehr als vier Fünftel von ihnen sind Ausländer, nicht wenige machten Karriere in ihrer Heimat. Sie kamen aus 56 Nationen, meist aus Entwicklungs- und Schwellenländern, deren regionalen Verhältnisse die Lehre prägen sollten.

Nun aber stehen die Verhältnisse der Universität im Mittelpunkt. Im Dezember entschied der Stuttgarter Landtag in einem Petitionsverfahren, die Zielsetzung des einst fachübergreifenden, internationalen Studienganges solle anders als "ursprünglich vorgesehen" erhalten bleiben. Ist sie, sagt Hippler, es gehe weiter um Regionalwissenschaft. Ist sie nicht, sagt Heidemann, nur die Überschrift sei gleich. "Wenn einer eine Lehrveranstaltung anbietet über öffentliches Recht, dann redet der auch nicht über Herzchirurgie."

Hippler kontert, gleiche Vorlesung bedeute nicht gleicher Inhalt. Den Streit um das Institut hält der Physiker ohnehin nur für eine lästige "Störung im Bereich des Rauschens." Dann aber wird auch er grundsätzlich: "Die Strukturentwicklung liegt in den Händen der Universität, bei Senat und Rektorat." Er will bis zur letzten Instanz hart bleiben: "Wir gehen bis vor das Verfassungsgericht."

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