Uni-Abschluss:Das war's also

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Der letzte Tag an der Uni, die Prüfung ist geschafft! Ist nun die schönste Zeit des Lebens vorbei? Ein Erfahrungsbericht.

Gökalp Babayigit

Das war's dann also, Studium beendet. Ernüchternd, das Ende meiner fast fünf Jahre währenden Zeit als Student - ernüchternd und erleichternd zugleich. Müsste ein Regisseur mein Studentenleben verfilmen, ihm würde ein glänzender Showdown am Ende fehlen.

Nach meiner letzten, das Studium abschließenden mündlichen Prüfung warten keine Kommilitonen mit Sekt und guter Laune auf mich. Sie sind entweder schon seit einigen Tagen fertig oder noch am Lernen. Die Party fällt aus. Nein, sie muss verschoben werden. (Das ist noch nicht ganz klar, am Ende hat man keine Zeit, sich über so etwas Gedanken zu machen).

Es warten stattdessen die Gänge des Instituts, die einen schon immer zum sofortigen Verlassenwollen des Gebäudes genötigt haben. Also nun das letzte Mal durch die schummrigen Flure des Instituts geeilt, das letzte Mal durch die Glastür in die Freiheit, das letzte Mal den Bus erlaufen, der einen vom Institut wegbringt und der seit fast fünf Jahren immer zum falschen, also zu frühen oder zu späten Zeitpunkt kommt.

Während beschäftigte und weniger beschäftigte Studenten meinen Weg kreuzen, schwirren die Fragen im Kopf herum - als ob ich gerade eben, in der letzten Mündlichen nicht schon genug Fragen gehört habe. "Was soll das bedeuten? Das war's also? Das soll es jetzt gewesen sein?"

Eine Busfahrt lang nehme ich mir Zeit, diese Fragen zu beantworten. Wenn ich schon nicht ganz fassen kann, was ich jetzt mein Eigen nennen darf - einen Uni-Abschluss -, gehe ich durch, was ich jetzt nicht mehr habe. Und das macht Spaß. Nein, zuhause warten keine Texte mehr, die gelesen werden wollen, keine Hausarbeit, deren Einleitung und Schluss noch fehlt, keine Diplomarbeit, die ich nie und nimmer fertig bekomme. Keine Abgabetermine mehr, keine Sprechstunden mit schlechtgelaunten Professoren, keine Kämpfe mit Kommilitonen um Kursanmeldungen, Referats-Themen, Sitzplätze, keine Vorlesungen, Seminare, Übungen.

Stattdessen habe ich nun ein Diplom von der Ludwig-Maximilians-Universität und es fühlt sich an wie ein Geburtstagsgeschenk, dessen echten Wert man nach dem Auspacken zunächst nicht abschätzen kann. "Freust Du Dich denn gar nicht?" ist die klassische Frage des Schenkers in solch einem Augenblick, und man erwidert höflich, ja sicher freue man sich, während man am liebsten sagen würde: "Hmmm, naja, eigentlich schon, aber vom Hocker haut's mich noch nicht."

Andererseits: Wenn ich sehe, wie die Studenten hastig in den Bus ein- und aussteigen, mit grauen Büchern aus der Staatsbibliothek in der Hand, Referatspapiere durchlesend, bekomme ich eine Ahnung davon, dass ich mich schon sehr bald über meine neu gewonnene Freiheit freuen werde. Aber ist es wirklich eine neue Freiheit?

Die Busfahrt bringt also kein eindeutiges Ergebnis. Es dauert bis zur letzten Kreuzung vor meiner Straße, dass ich endlich zu wissen glaube, was das alles nun zu bedeuten hat. Auf meinem Heimweg, an der besagten letzten Kreuzung vor meiner Straße, steht eine Schülerlotsin, signalgelbe Jacke und Kelle in der Hand. Sie weist den Kindern einer naheliegenden Schule die sichere Überquerung der Straße.

Für mich hat sie freilich noch nie den Verkehr aufgehalten, auch heute nicht. Niemals habe ich mir Gedanken darüber gemacht. Wieso sollte die Frau auch einem Uni-Absolventen über die Straße helfen? Doch heute ist es anders. Heute, an meinem letzten Tag als Student, scheint alles eine Bedeutung zu haben. Ich habe schon verstanden, liebe Lotsin - von nun bin ich auf mich allein gestellt, ohne Führung, ohne Weisung.

Während sich die Schülerlotsin vermutlich noch über mein Lächeln wundert, geht es zu Hause angekommen doch schneller als gedacht. Beim Aufräumen meines mit Lernunterlagen überhäuften Schreibtisches gefällt mir das gerade ausgepackte Geschenk immer besser und besser. Gut, dass alles vorbei ist - und gut, dass ich trotzdem meine letzte Frage mit "ja" beantworten kann (oder muss): War das die schönste Zeit des Lebens, die da gerade vorüber gegangen ist, in dem kalten Institut mit den schummrigen Gängen?

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