Trend-Scout:Fachkräfte fürs Künftige

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Windige Wichtigtuer oder Kundschafter des Kommenden? Trend-Scouting kann man jetzt auch studieren.

Von Chris Löwer

Sie hat es vor allen anderen gewusst. Damals, vor fast 15 Jahren, als die "Fantastischen Vier" noch niemand kannte und sich die Combo durch kleine Clubs rappte, war die 16-jährige Melanie Mende schon sicher: "Die werden einmal ganz fat." Das heißt: Die Band wird groß rauskommen. So erzählt es Melanie Mende noch heute. "Ich war schon immer ein absoluter Musik-Freak. Jetzt ist mein Ziel, für eine große Plattenfirma junge Talente zu entdecken und aufzubauen."

So gut ihr Riecher für Trends sein mag - eine Karriere in der arg gebeutelten und kapriziösen Musikindustrie kommt nicht in Gang, indem man einmal kurz auf die Play-Taste drückt. Um dem Erfolg nachzuhelfen, lässt sich die 29-jährige Stuttgarterin nun ganz offiziell zum Trend-Scout ausbilden. Noch ein paar Monate, und sie wird ein Zertifikat in der Hand halten, das ihr die gefühlte Kompetenz schwarz auf weiß bestätigt.

Teure Fehlprognosen

Nicht nur für Melanie Mende wurde es Zeit für eine professionelle Ausbildung, sondern für die Branche insgesamt. Das meint jedenfalls Roman Retzbach. Der 40-Jährige hat vor einem Jahr die Trend-Akademie in Stuttgart gegründet, die sich ziemlich großspurig "Internationale Universität für Zukunfts- und Trendforschung" nennt. Retzbach, der auch als Direktor des Stuttgarter Future-Institutes fungiert, ist von seiner Idee überzeugt: "Die Akademie bietet den Studierenden einen Beruf mit Zukunft."

Doch so leicht lässt sich eine neue Disziplin nicht etablieren. Die Trendforschung gilt als Tummelplatz für Schwätzer und Scharlatane, als fröhliche Pseudo-Wissenschaft, die kaum verlässlichen Daten liefert. Der Bielefelder Medienpädagoge Dieter Baacke hält sie sogar für nichts weiter als "ein geistreiches Unterhaltungsspiel der Gegenwart". Zu oft haben selbst ernannte Trendforscher Unternehmen mit teuren Fehlprognosen in die Irre geleitet. Den Image-Schaden, den windige Wahrsager dem visionären Berufsstand beigebracht haben, sollen nun zertifizierte Trend-Scouts mit dem Abschluss "Master of Trend Business Management" ausbügeln. "Das Vertrauen in Trendforscher ist geschwunden, da viele nur schnelles Geld damit machten", sagt Roman Retzbach, der seit 15 Jahren im Geschäft ist. "Jetzt muss die Qualität gesichert werden."

Schnüffeln in der Szene

Denn trotz aller Vorbehalte setzen viele Unternehmen weiterhin auf Trend-Scouts, die sich vor Ort durch die Szene schnüffeln. Bei Tagessätzen von 3000 ist 5000 Euro, die Retzbach nach eigenen Angaben realisiert, scheint schnelles Geld immer noch möglich. Allein den Bedarf von Werbeagenturen schätzt der Trendforscher auf deutschlandweit 500 Mitarbeiter. Und der immer schnellere Produktwechsel in der Industrie werde die Bedeutung der Fachkräfte fürs Künftige noch steigern. Kein großes Unternehmen von Adidas bis VW verzichte inzwischen auf eine "Abteilung für Langzeitforschung". Gern zitiertes Beispiel: Der Smart war das richtige Auto zur falschen Zeit - also hat der Konzern Daimler Chrysler einen Trend aus dem poppigen Stadtauto gemacht, um den drohenden Flop zu stoppen. Das Experiment gelang.

Zu solchen Coups sollen auch die Stuttgarter Absolventen einmal in der Lage sein. Das erste gute Dutzend hat sich - auf den Spuren von John Naisbitt, Faith Popcorn, Gerd Gerken und Matthias Horx, den Gründern und Gurus der Szene - selbstständig gemacht oder einen Job in Agenturen, Redaktionen und Marketing-Abteilungen gefunden. Dort beschäftigen sie sich damit, was morgen im Entertainment, bei Konsumgütern, Reisen, Multimedia, Werbung und Wellness angesagt sein wird.

Auflistung der -ings

Melanie Mende gibt allen Anwärtern einen Rat mit auf den Weg: "Man muss genau wissen, in welche Branche man will, zielstrebig darauf hinarbeiten und sich mit so viel wie möglich Information versorgen." Bei ihr ist die Sache schon lange klar: Die gelernte Sozialversicherungsfachangestellte, die gerade bei dem Modeladen GAP als Schaugewerbegestalterin arbeitet, produziert nebenher selbst Musik, macht Band-Booking und legt Platten in einem Club auf. An der Akademie lernt sie, ihren Riecher zu verfeinern.

In der berufsbegleitenden Online-Variante kostet der Lehrgang 100 Euro monatlich, für die Vollzeit-Ausbildung mit 30 Stunden in der Woche verlangt die Akademie 400 Euro Studiengebühren. Immerhin: Stipendien und Bafög werden gewährt. Der Lehrplan liest sich wie eine Auflistung der -ings: Branding, Monitoring, Naming, Scanning, Ranking, Rating, Reporting, Zukunfts-Szenaring. Die Teilnehmer analysieren die Entwicklung von Trends in ausgewählten Bereichen, suchen auf Leitmessen nach kommenden Moden und schärfen ihre Beobachtungsgabe. Und sie lernen, wie man Experten richtig befragt, Studien erstellt und Szenarien entwirft. Außerdem steht ein Persönlichkeitstraining auf dem Kurs-Programm.

Doch der Verheißung, per Lehrgang selbst zum Trend-Setter zu werden, erteilt Akademie-Chef Retzbach eine Absage: "Man kann Trends registrieren und unterstützen - etwa, indem man daraus ein Verkaufskonzept für ein Kaufhaus entwickelt. Aber niemand kann einen Trend entstehen lassen."

© SZ vom 20.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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