SZ-Serie:Gütesiegel für fleißiges Aufschreiben

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Was ist eigentlich "Total Quality Management"?

Christine Demmer

(SZ vom 12.3.2002) Einen Fehler kann sich jeder mal leisten - auch ein Unternehmen geht daran nicht gleich zugrunde. Aber anhaltende Qualitätsmängel können die Bilanzen erheblich trüben. Seit den sechziger Jahren haben Betriebe und vor allem Unternehmensberater daher immer neue, häufig konkurrierende Verfahren entwickelt, die Qualität von Produkten und Dienstleistungen zu verbessern.

Kostspielige Gruppendynamik

In Deutschland kannte man bis Anfang der achtziger Jahre nur "Qualitätszirkel". Das hieß: Kollegen setzten sich in ihrer Arbeitszeit zusammen, diskutierten über ihre Erzeugnisse und grübelten, was man noch besser machen könnte. Als die weltwirtschaftlichen Böen an Stärke zunahmen, verging den Unternehmen allerdings die Lust an der kostspieligen Gruppendynamik.

Greifbare Ergebnisse mussten her. "Wie greifbar?", fragte der britische Consultant Mike Robson, der sich auf dieses Thema spezialisiert hatte, seine Kunden. "Sehr greifbar", antworteten die Vorstände, "am liebsten möchten wir jeden einzelnen Mitarbeiter bei den Schultern schütteln können, wenn er Ausschuss produziert." Das war die Geburtsstunde von Total Quality Management (TQM). Nach Robson bezeichnet TQM das Prinzip, jedem einzelnen Mitarbeiter individuell Verantwortung zuzuweisen, also den Qualitätsgedanken auf das gesamte Unternehmen auszuweiten, und wenn möglich auch noch auf seine Zulieferer.

Kiloschwere Handbücher

Der Ansatz besticht - aber wie in der Praxis vorgehen? Das genau beschreibt die Genfer International Standardisation Organization in kiloschweren Handbüchern. Die Abkürzung ISO dient inzwischen auch als Prüfzeichen für herausragende Qualität bei Produkten und Prozessen.

Wenn ein Vorstand glaubt, alles richtig zu machen, und ein hinreichend großes Budget für die Schaffung einer Qualitätsorganisation zur Verfügung stellt, kann er seinen Betrieb bei der ISO für eine Art "Qualitätsexamen" anmelden. Die Grundannahme solcher Zertifizierungen nach den diversen ISO-Normen ist, dass man Prozesse in Firmen nach einem festen Schema organisieren und bewerten kann.

Alles, was sich im Unternehmen bewegt, wird dokumentiert. Jeder einzelne Ablauf kommt auf den Prüfstand, denn vielleicht kann man daran ja noch etwas feilen. Beurteilt wird zuletzt aber keineswegs die Qualität des Ablaufes - wie auch, von Genf aus - sondern dessen vollständige Dokumentation. Wer also fleißig aufschreibt, wie und auf welchem Weg der neue Stempel aus dem Materiallager auf den Schreibtisch gelangt, hat bei den ISO-Prüfern gute Karten.

Wer sich mit dem Siegel ISO 900x schmücken darf, der hat dokumentiert, dass sein Qualitätsmanagement solide Arbeit garantieren könnte. Über die Qualität der Leistung selbst sagt das ISO-Zertifikat freilich gar nichts aus, denn es kommt nicht auf das Ergebnis an, sondern auf die Art und Weise, wie es entstanden ist. Die wird dann regelmäßig neu begutachtet - "Nachauditierung" nennt das der Fachmann.

Teurer Normierungswahn

Mit dem Normierungswahn machen die zugelassenen Zertifizierer richtig Kasse. Pro Opfer werden im Schnitt um die 12.000 Euro fällig. Dazu gesellen sich die Gebühren für die regelmäßig zu überstehenden Nachprüfungen. Wer die Prüfungen abnimmt - unter anderem die Technischen Überwachungsvereine und spezialisierte Unternehmensberater -, verfügt über eine rege sprudelnde Einnahmequelle.

Neid beflügelt den Geist, und der Wettbewerb gibt auch der Konkurrenz eine Chance. Weiterentwicklungen von TQM sind "Six Sigma" und das aus Japan stammende "Poka-Yoke", beides ebenfalls Managementphilosophien samt einem Bündel von Methoden, Werkzeugen und Systemen. Auch sie werden von Weltkonzernen seit Jahren eingesetzt.

General Electric behauptet, 1999 durch die Anwendung von "Six Sigma" Einsparungen von 750 Millionen Dollar erzielt zu haben. Nicht überliefert ist, wie hoch die Lizenz-, Beratungs-, Implementierungs- Dokumentations- und Prüfungsgebühren waren. Vor der Phalanx der Qualitätsprediger haben kritische Unternehmer und Manager längst kapituliert. "Unsere Kunden verlangen das", sagen sie achselzuckend. Eine Begründung, die vermutlich ebenfalls standardisiert ist.

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